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A Ciambra – Kritik

Ein gestohlenes Auto hat Regisseur und Drehbuchautor Jonas Carpignano dazu bewegt, sein jüngstes Werk in der italienischen Hafenstadt Gioia Tauro anzusiedeln. Die dort beheimatete Romafamilie Amato war verantwortlich für den schicksalhaften Diebstahl, der nun auch schemenhaft in A Ciambra zu erkennen. Nach seinem aufmerksamen Langfilmdebüt Mediterranea taucht Jonas Carpignano erneut in ein Milieu voller Gegensätze ein und verfolgt dabei insbesondere den Werdegang des 14-jährigen Pio (Pio Amato), der zwischen den Machenschaften seines Clans, im Kreis der Einheimischen und afrikanischen Flüchtlingen aufwächst. Dabei dominiert ein Gefühl für Familie und Zusammenhalt, während gleichzeitig Hass und Vorurteile gegenüber den Fremden dafür sorgen, dass sich Situation in den staubigen Straßen niemals entspannt.

In dokumentarisch angehauchten Aufnahme folgt Jonas Carpignano dem alltäglichen Treiben in Gioia Tauround beobachtet grundverschiedene Menschen, die sich nichts zu sagen haben und trotzdem jeden Tag aufs Neue in diesem winzigen Kessel der Gesellschaft aufeinandertreffen. Dann wird geschrien, geflucht und gepöbelt. Jeden Augenblick könnte die Situation eskalieren, meistens lenkt jedoch der Einsatz bebender Popmusik von den eigentlichen Problemen ab, wenngleich eine grundlegende Anspannung niemals verschwindet. Ständig geht es darum, sich zu beweisen. Das hat auch Pio längst erkannt und markiert mit harten Sprüchen ein Revier, das er womöglich noch gar nicht verteidigen kann, wenngleich ihn sein Ehrgeiz dazu drängt, endlich das Spiel der Erwachsenen mitzuspielen. Als sein Vater und sein großer Bruder, zu dem er besonders aufblickt, im Gefängnis landen, steht er aber plötzlich ganz alleine da.

Unmittelbar fängt die Kamera die Angst in Pios Gesicht ein. Mit allen Mitteln versucht er, diese zu überspielen. Endlich in der Position angekommen, in der er als starker Mann die Familie ernähren muss, wird Pio mit der bitteren Realität seiner Coming-of-Age-Geschichte konfrontiert, die einer Sackgasse gleicht, anstelle ein Leben voller Chancen und Möglichkeiten zu offenbaren. Ehe er sich versieht, versinkt der Junge noch tiefer in den dominierenden Machtstrukturen, kämpft um jedes bisschen Respekt und erfährt im Rahmen seiner notgedrungenen Raubzüge nichts als Widersprüchlichkeiten. War er eben noch das unschuldige Kind, das (angeblich) versehentlich den Ball über die Mauer der Reichen gekickt hat, findet er sich im nächsten Moment inmitten luxuriöser Wohnungen wieder und nimmt mit, was er tragen kann.

Die Sehnsucht nach einen Ausbruch aus diesem Sumpf der Hoffnungslosigkeit scheint unmöglich, da die sonst so schützende Familie zunehmend zur Geisel wird. Wer das Gemeinschaftsgefühl im Clan missachtet, bringt sich in Verlegenheit. Gleichzeitig positioniert Jonas Carpignano seinen Protagonisten immer wieder als einen der wenigen, die zwischen den verhärteten Fronten wandeln können, ohne sich zu verstellen. Stattdessen schlummert tief in Pios Innerem ein Gedanke an die Zukunft, der sämtliche Konflikte der Gegenwart hinter sich zurückgelassen hat. Umso niederschmetternder ist die Erkenntnis, wenn nach knappen zwei Stunden im Gedränge dieses erbarmungslosen Mikrokosmos selbst der letzte Funken Idealismus erloschen ist, weil er nie wirklich als solcher erkannt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde geraten sie dennoch in Vergessenheit, die staubigen Straßen, wenn sich Dan Romers im Funkenflug steigert.

A Ciambra © DCM