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A Monster Calls – Kritik

Immer wieder erkundigt sich Connor O’Malley (Lewis MacDougall), der 13-jährige Protagonist von A Monster Calls, was er denn etwas falsch gemacht habe. Ängstlich blicken seine Augen zum jeweiligen Gesprächspartner und mustern aufmerksam dessen Reaktion. Connor ist eingeschüchtert und komplett verunsichert. Seine Mutter (Felicity Jones) leidet an Krebs, sein Vater (Toby Kebbell) hat die Familie verlassen und die ungewohnte Präsenz seiner Großmutter (Sigourney Weaver) fördert nur weiteres Konfliktpotential zutage, vom ständigen Mobbing durch diverse Schulkollegen ganz zu schweigen. Conners Leben hat sich in einen persönlichen Albtraum verwandelt. Überall lauern Fallen und Gefahren – irgendjemand scheint es förmlich auf darauf abgesehen zu haben, ihm zu jeder Gelegenheit ein Bein zu stellen. Was hat er also falsch gemacht, dieser Connor O’Mailley, der sich bis ans Ende seiner Kräfte bemüht, das Richtige zu tun, wenngleich es ihm zunehmend als sinnlos erscheinen mag?

Wie es zuletzt Steven Spielberg mit The BFG und David Lowery mit Pete’s Dragon getan hat, versucht sich nun The Impossible-Regisseur J.A. Bayona mit einem Monster dem Trauma eines Kindes anzunähern, das aufgrund unzähliger Niederlagen am Kliff der Welt zu zerschellen droht. Seien es Riesen oder Drachen: Basierend auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Patrick Ness, der ebenfalls das Drehbuch zu A Monster Calls schrieb, beschwört J.A. Bayona Liam Neeson als titelgebende Urgewalt herauf, die Connor fortan auf seiner Reise durch emotionale Abgründe begleiten und ihn am Ende von all seinen Leiden erlösen soll – so zumindest die Fantasie, die sich sowohl bei der Hauptfigur als auch bei den Zuschauern mit fortschreitender Laufzeit anbahnt. Dabei wirkt das Monster anfangs mehr wie eine Furcht einflößende Schreckensgestalt, als es mit den großen Gesten eines klassischen Monsterfilms in Form eines sich wandelnden Baumes aus einem Friedhof tritt.

Erneut zittert Conner, beeindruckend gespielt von Lewis MacDougall, der nach einem kurzen Abstecher in Joe Wrights Fantasy-Abenteuer Pan hier zum ersten Mal die Bürde einer Hauptrolle stemmt. Sicherlich ist es kein Geheimnis mehr, dass Liam Neesons voluminöse Stimme zu den einprägsamsten Vertretern ihrer Art in Hollywood gehört. Nicht zuletzt liegt in ihren brummend feinen Nuancen sowohl das Bedrohliche als auch das Wohlige verborgen. Ohne Conners entsprechende Reaktion auf die Worte des Monsters sowie dessen Grunzen, Ächzen und Stöhnen wäre der Moment der Ankunft allerdings keineswegs so eindrucksvoll und eindringlich zu erleben. Entscheidend ist die starke Verbindung, die sich aus dem Spiel des jungen Nachwuchsstars und dem Voice-acting des erfahrenen Hollywood-Veteranen ergibt – inklusive den ersten ungewissen Minuten der Annäherung, wo auf beiden Seiten unklar ist, welchen Ausgang das nachfolgende Gespräch nehmen wird.

Entgegen aller Erwartungen verkörpert das Monster, das vom Friedhof kommt, nicht den Tod, sondern einen fordernden Begleiter für die bevorstehenden, schweren Tage und Wochen. Als stünde der Baum des Lebens sprichwörtlich im Garten der O’Malleys offeriert das Monster Connor einen Deal: Drei Geschichten bekommt der Junge zu hören, die später nicht nur in farbenfroher sowie detailverliebter Pracht vorgetragen werden, als wären sie die geistige Fortentwicklung des wundervollen Märchen-Exkurses in Harry Potter and the Deathly Hallows. Nein, die drei Geschichten bieten sich auch im parabelförmigen Bogen als Interpretation von Connors Gefühlszuständen gegenüber verschiedenen Personen in seinem Leben an. Gekonnt demonstriert J.A. Bayona in diesen Sequenzen sein Verständnis für Formen und Bewegungen und wie diese ineinander übergehen und mit der Geschichte verschmelzen können.

Aus ganz vielen verschiedenen Perspektiven will J.A. Bayona das Innenleben seines Protagonisten beleuchten, um die Situation, in der er sich befindet, begreifbar zu machen. Trotz hervorragender Vorarbeit stößt A Monster Calls im Bereich des Begreifbaren allerdings an seine Grenzen, da es dem Film selbst nicht so recht gelingt, die letzte große Hürde zu nehmen, ähnlich, wie sich Connor davor drückt, sich seiner eigenen Angst zu stellen. Das Monster wird nicht müde zu betonen, dass im finalen Akt der Erzählung eine vierte Geschichte wartet, die von Connor selbst erzählt werden muss. Es ist der Schlüssel zur Erlösung, die in Vergebung und Liebe schlummert. Ab diesem Moment wiegt sich der Film – und vor allem seine Dramaturgie – zu selbstsicher in der Gewissheit, das Trauma mit einem einfachen Gleichnis aufzuschlüsseln und somit zu eliminieren. Gerade aufgrund der vielschichtigen Auseinandersetzung zuvor hinterlässt diese schemenhafte Herangehensweise ein irritierend unvollständiges Gefühl.

Lediglich in den sanften, einfühlsamen Tönen von Fernando Velázquez’ Scores blitzt die Unendlichkeit zwischen den Zeilen auf, die A Monster Calls – entgegen der Ambition, ein vielschichtiges Porträt dieses unbeschreibliches Leidens zu werden – merkwürdigerweise weitestgehend ignoriert. Am Ende bleibt eine emotionale Tour de Force, die sich der düstersten Ecke verweigert und auf die Sicherheit des Abspanns zielt. Dennoch verstecken sich herausragende Augenblicke in A Monster Calls, insbesondere im Bezug auf die Figurendynamik. Dann ist es wieder die eingangs erwähnte Fragestellung, die mit ihrer Antwort verblüfft. Denn Connor hat nichts falsch gemacht. Was in aller Welt hätte er in seinem gutmütigen Streben bloß falsch machen können? Verdutzt blicken ihn die Erwachsenen aufgrund der gnadenlosen Selbstvorwürfe an, als müssten sie sich erst in seine Situation hineinversetzen. Aber genau um dieses Hineinversetzen, diese Annäherung, dieses Verständnis geht in J.A. Bayona und Patrick Ness. Und das ist etwas genauso Wertvolles wie Schönes.

A Monster Calls © Studiocanal