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Adieu au langage – Kritik

„Ich mach dich fertig, du Scheißnutte!“, brüllt ein Mann vollkommen außer sich vor Wut, als er wie ein Gangsterboss aus dem schicken Wagen springt, der soeben mit quietschenden Reifen die Szenerie in Aufruhr versetzte. Unmittelbar darauf sekundiert er seinen gehässigen Wortschwall mit der Betätigung des Abzugs seiner Knarre und ein ohrenbetäubender Schuss erschüttert die Umgebung. Der Auslöser seines Zorns bleibt jedoch flüchtig, den Rücken zur Furie gewendet. Es folgen weitere Schreie, Flüche und garstige Auswüchse von unfassbar beleidigenden Satzbausteinen – und das, obwohl Jean-Luc Godard im Inbegriff ist, der Sprache eine Absage zu erteilen. Ein letzter Abschiedsgruß, kein auf Wiedersehen. Fortan hasten nur noch vereinzelte Fragmente gesprochener Worte durch den essayistische Bilderreigen, der in seiner pulsierenden Eigenart die Leinwand regelrecht zur zerreißen droht. Französische, deutsche sowie englische Zungen erklingen aus dem Off und verbrüdern sich willkürlich mit dem unzuverlässigen Untertitel. Eine Garantie von Verständnis existiert in dieser Welt nicht mehr.

Gleichzeitig eröffnen sich mit diesem Verlust von Verständnis ungeahnte Möglichkeiten. Einer kohärenten Erzählung folgt Jean-Luc Godard zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr und dennoch ist Adieu au langage  aka Goodbye to Language genauso viel Film wie jede andere Zusammenstellung von rohem Bildmaterial auch. Sobald die Hürde des Experiments überwunden ist, dreht Jean-Luc Godard komplett am Rad und tauscht etablierte Konventionen der Bewegung gegen abstrakte Montagen der Assoziation. Ein Gedankenstrom, wie er zuletzt bei Terrence Malick zu sehen war. Während der texanische Kinopoet mit To the Wonder allerdings einen zuvor mehrfach angedeuteten sowie unterschiedlich ausgeprägten Tonus komplett von seinen Fundamenten loslöste, ignoriert der Abschiedsgruß von Sprache und Verständnis jegliche Form, Struktur und Chronologie. Erkenntlich sind repetierende Motive in unberechenbarer Anordnung. Auf Adolf Hitler folgt eine nächtliche Autofahrt durch einnehmende Farbspektren und verregneter Straßen. Wenn ein Paar nicht gerade versucht, äußerst unbeholfen die Bettdecke mit dem dazu gehörenden Überzug zu vereinen, werden existenzphilosophische Gespräche nackt auf dem Abort mit außerordentlichem Sounddesign durchgeführt.

Immer wieder steuert ein Schiff den nahenden Steg an. Ob es den Anlegeplatz jemals erreicht, verwandelt Jean-Luc Godard in ein Geheimnis, das stellvertretend für den gesamten Film steht. Lediglich der Hinweis, dass sich im tollwütigen Rausch eine wuselnde Gruppe Menschen am vermeintlichen Ankerplatz versammelt hat, lässt auf den weiteren Verlauf der Bootsfahrt schließen. Dann kehrt die Sprache abermals zurück. Dieses Mal jedoch mit verstärktem Geräuschpegel auf der auditiven Ebene. Ein unverständliches Chaos aus Zitaten der Tonspuren, ebenso wie es bei der visuellen Gestaltung der Fall ist. Ludwig van Beethovens siebte Symphonie wird angerissen, wenngleich Jean-Luc-Godard kaum einem Takt seine Vollendung an der Seite des dreidimensionalen Monsters gewährt. Hier regiert nämlich die Ursuppe des Kinos. Farben brodeln, Räume entfalten sich und ein Hund suhlt sich freudig im Matsch. Eine Neudefinition von dem, was Film bedeuten kann, und dennoch weicht Adieu au langage kaum von zuvor getätigten Aussagen ab. Wie bereits eingangs beschrieben, greift Jean-Luc Godards auf sein eigenes Regelwerk zurück: Um einen Film zu machen, genügen eine Waffe und ein Mädchen.

Das Mädchen und die Waffe gehören wie der erwähnte Vierbeiner zu den wiederkehrenden – sprich: elementaren – Bestandteilen von Adieu au langage. Darüber hinaus ist die Inszenierung in 3D ein maßgeblicher Dominator dieser Neuentdeckung der Macht von bewegten Bildern. Die (verzerrte) Wahrnehmung des Raums ist eindringlicher denn je. Gleichzeitig verbietet Jean-Luc Godard dieser Konstante ihre Beständigkeit. Wenn sich nicht gerade die Kamera dreht und biegt, sind es zwei Projektionen, die sich übereinander lagern, um die Gesetzmäßigkeiten Kinos vollends außer Kraft zu setzen. Während ein Auge die Frau auf der Parkbank beobachtet, folgt ein zweites Bild dem dazugehörigen Mann, der sich kurz abwendet – schwindelerregend, obgleich so einfach und minimal konstruiert. Erst wenn beide Figuren in ihre Ausgangsposition zurückkehren, findet das Gezeigte zu seinem transparenten Ursprung zurück. Was man dazwischen gesehen hat, kann selbst nach mehrmaligem Augenzwinkern nicht vollständig geklärt werden. Adieu au langage fordert trotz leitgebender Gestaltungsmöglichkeiten der Filmkunst die eigene Vorstellungskraft gnadenlos heraus, selbst wenn womöglich nicht einmal Jean-Luc Godard eine Antwort auf diese Tour de Force der entfesselten Impressionen parat hat.

Adieu to langage © Wild Bunch