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Non-Fiction – Kritik

Einer der vielen kleinen Subplots von Non-Fiction dreht sich um einen Kinobesuch, der so weit in der Vergangenheit zurückliegt, dass inzwischen mehrere Versionen der Geschichte existieren. Was genau passiert ist, wird dabei später von den Betroffenen genauso diskutiert, wie der Film, der auf der großen Leinwand zu sehen war. Star Wars: The Force Awakens oder Das weiße Band von Michael Haneke? Was auf den ersten Blick wie popkulturelles Namedropping wirkt, offenbart sich kurze Zeit später als Anstoß für einen weit größeren Diskurs über Kunst und Kultur – und steht damit exemplarisch für sämtliche Ereignisse in Olivier Assayas’ neuem Film.

In Non-Fiction erzählt der französische Regisseur und Drehbuchautor von einer Zeit der Umbrüche. Die Digitalisierung verändert die Welt und stellt Traditionen auf den Kopf. Deshalb baut der Verleger Alain Danielson (Guillaume Canet) auf die Expertise der jungen Laure d’Angerville (Christa Théret), die als Beraterin für digitale Strategie engagiert wurde und sein Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen soll. Zu dieser Zukunft gehören E-Books und Hörbücher, der Autor Léonard Spiegel (Vincent Macaigne) wohl eher aber nicht: Seine letzten Werke haben sich schlecht verkauft, vom sich ständig wiederholenden, semi-biografischen Inhalt ganz zu schweigen.

Dabei pflegen Alain und Léonard eigentlich eine freundschaftliche Beziehung, die viele Jahre zurückreicht, doch diverse Konflikte und Affären treiben die beiden immer weiter auseinander. Spätestens an diesem Punkt kommt auch Alains Ehefrau Selena (Juliette Binoche) ins Spiel. Sie ist eine Schauspielerin, die in einer extrem populären Krimiserie im Fernsehen zu sehen ist, vorzugsweise würde sie sich aber lieber anspruchsvolleren Stoffen widmen. Im Theater erhält sie allerdings nur noch die Rollen, die durch die Blume signalisieren, dass sie auch nicht mehr zu den Jüngsten gehört. Ein unerwartet garstiges, düsteres, ja, abgründiges Bild wirft Oliver Assayas hier auf die Leinwand.

Es wird diskutiert und gestritten, während jeder um sein eigenes Überleben in dieser sich radikal verändernden Welt rennt und versucht, als erster das gelobte Land der Digitalisierung zu erreichen. Was sie dort genau erwartet, wissen sie nicht, die Menschen in Non-Fiction, die trotzdem niemals mit dem Reden aufhören. Es ist gleichermaßen vergnüglich wie erschlagend: Olivier Assayas feuert im Sekundentakt neue Gedanken in den filmischen Raum, der von 16mm-Aufnahmen eingefangen wird, die das Gezeigte stets vor unseren Augen verschwimmen lassen. Wahrheit und Fiktion treffen hier aufeinander. Am Ende soll der deutsche Titel des Films, Zwischen den Zeilen, recht behalten.

Zwischen den Zeilen verstecken sich die spannendsten Impulse. Ausgerechnet da, wo nichts direkt greifbar ist, entdeckt Oliver Assayas das Wahrhaftige. Wenngleich Non-Fiction auf den ersten Blick wenig mit seinem vorherigen Werk, dem fantastischen Personal Shoppen, gemein hat, spiegeln sich hier doch einige Motive. In beiden Filmen geht es darum, etwas zu (be-)greifen, was anfangs nur aufgrund von Worten und Gedanken im Raum steht. Im Gegensatz zu Kristen Stewarts geradezu andächtigen Begegnung mit einem Geist in der Nacht entpuppt sich Non-Fiction als unaufhaltsames Dialogfeuerwerk, das schlussendlich nie eine vergleichbar aufwühlende Tiefe erreicht.

Die Bilder von Personal Shoppen waren größer, eindringlicher und geheimnisvoller. Non-Fiction sprudelt dagegen sehr direkt los, was fraglos auch einige Reize mit sich bringt, jedoch nach der ersten Welle der Begeisterung weniger im Gedächtnis nachhallt. Zu erbarmungslos marschiert das Drehbuch durch die einzelnen Weltvorstellungen seiner intellektuellen Figuren, die sich um Kopf und Kragen reden und dabei vergessen haben, für den entscheidenden Moment inne zu halten. Es ist fies, es ist herrlich: Am faszinierendsten bleibt aber Olivier Assayas Obsession, das digitale unserer Welt in analogen Bildern zu bündeln – und das macht er momentan so spielerisch wie kaum ein anderer Regisseur.

Non-Fiction © Alamode Film