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Spectre – Kritik

Nur wenige Worte finden ihren Weg in Spectre, den mittlerweile vierten Ausflug von Daniel Craig als Agent im Geheimdienst ihrer Majestät. Dabei entpuppte sich gerade die letzte Mission, namentlich Skyfall, als überraschend redselig. Doch davon ist nun lediglich eine Schachtel in Paketgröße übrig geblieben, lässt man die emotionalen Nachwirkungen des Vorgängers beiseite. Nachdem er es von Moneypenny (Naomi Harris) überreicht bekommen hat, lässt Bond besagtes Überbleibsel geradezu lieblos wie beiläufig auf den Tisch fallen. Erst später schenkt er dem Inhalt seine Aufmerksamkeit, ebenfalls abseits erklärender Worte.

Dementsprechend ist es auch ein Foto – sprich: Bild – das die Richtung des weiteren Verlaufs von Sam Mendes Agenten-Blockbuster vorgibt, der trotz des mitunter dröhnenden Scores aus der Feder von Thomas Newman in erster Linie von einem unüberwindbaren Schweigen geprägt ist. Stattdessen sind es die Bilder von Kameramann Hoyte van Hoytema, die die Narration über weite Strecken übernehmen. Kein einziger Dialog vermag der Wucht dieser Instanz auf der großen Leinwand auf vergleichbarer Augenhöhe gegenübertreten – zu einnehmend ist Schönheit der einzelnen Frames, die selbst in Anbetracht der furiosesten Action-Sequenz absoluten Stillstand erzeugt.

Insgesamt wirkt Spectre, als hätte jemand sehr sorgfältig das James Bond-Franchise auf seine elementaren Bestandteile untersucht und die Essenz eines jeden Segments präzise herausgearbeitet. Auf gewisse Weise versiegelt Spectre somit eine Reihe, die seit mehr als fünf Dekaden in unterschiedlichster Ausprägung existiert. Ironischerweise findet sich der Film dabei weniger in der Tradition seiner radikalen Vorgänger wieder als der Aura gewählter Retro-Eleganz. Nie sah ein Vertreter seiner Gattung dermaßen unnahbar aus wie Spectre.

Wo Roger Deakins ein Inferno dezent überbordender Farbenpracht auslöste und zwischen den unergründlichen Weiten urbaner Hintergrunde sowie dem tosenden Feuer der Apokalypse in ländlicher Idylle überlebensgroße Silhouetten aufeinandertreffen ließ, beobachtet und enthüllt Hoyte van Hoytema vor allem eines: Die Gesichter, die zuvor im Reich der Schatten kämpften. Jede Regung bedarf plötzlich der gesamten Wahrnehmung der Kamera, völlig unabhängig wie stoisch sie ist. Dennoch legt sich ein undurchsichtiger Schleier über die Welt von Spectre, als wären jegliche Farben in stummer Erinnerung verblasst oder gänzlich aus dem Bild verschwunden.

Mit der rohen Entschlossenheit von Martin Campbells schwarzweißem Opening in Casino Royale hat Sam Mendes ambitionierte Vision jedoch nichts mehr gemein, denn sein Bond hat sich in einem unterirdischen Labyrinth verirrt, das entgegen der Annahme von Sackgassen ausschließlich unendliche Gänge offenbart. Oft weiß der Film gar nicht, was er sein und erzählen will. Ein unendliches Vorspiel voller Verweise und Andeutungen, die allerdings nie ihr Versprechen einlösen, denn selbst im Augenblick der Eskalation wird das Ungewisse in Ausblick gestellt.

Das holprige Stückwerk erfolgt im Rahmen des eingangs erwähnten Stillstands, der sich wie ein roter Faden durch das zweieinhalbstündige Epos zieht und die losen Enden sämtlicher Stricke in atemberaubender Überhöhung zusammenführt. Bereits in der schlichten Konstruktion einer Action-Szene beginnt die bedingungslose Hingabe zum Mythos: Sam Mendes scheint weniger an der direkten Ausführung interessiert zu sein als den einer klaren Idee, die sich dahinter verbirgt. Stets verfolgt er in seiner Inszenierung Hoyte van Hoytemas sagenhaften Bilder und erweckt sie mittels deutlicher Motive – wie etwa das rasender Objekte oder sinnlicher Fast-Berührungen – zum Leben.

Im Spektrum der Übertreibung lässt sich Spectre also gar nicht mehr einschätzen, da Sam Mendes von Anfang an alle Register seines Könnens zieht, konkret in Form einer umfangreichen Plansequenz. Zudem erklärt er bewusst jegliche Dimension von Logik und Unfug als obsolet, denn was am Ende zählt, ist das Bild. Das Bild eines Mannes, der sich über den Asphalt der Straße zieht, als würde er im schlammigen Dreck verzweifelt nach einem festen Ast greifen. Oder das Bild einer Geheimbasis in den Untiefen eines Meteoritenkraters, der gleichzeitig zum Schwarzen Loch und Wunderland jeder Bond-Fantasie avanciert.

Unter einer geheimnisvollen Kuppel verbirgt sich bloß ein Stein aus dem All, der sogar James Bond verunsichert, ob er sich denn nun beeindruckt zeigen soll oder nicht. Ein trockener One-liner seitens Daniel Craig, der von Léa Seydoux mit ergänzender Mimik und Gestik bestätigt wird, tatsächlich aber als Spiegelbild am Ende einer Entwicklung von 24 Filmen steht und die entscheidende Frage stellt: Ist das wirklich beeindruckend oder einfach nur lächerlich, völlig irrelevant und lediglich Plattform, um auf abstrakter Ebene das – wortwörtlich – familiäre Grundgerüst zu zu sprengen. Denn zum Schluss befindet sich Bond wieder am Anfang, ist ausgebrochen und trotzdem für immer im Kreislauf gefangen.

Spectre © Sony Pictures