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Suspiria – Kritik

Wo sind sie, die Farben aus Dario Argentos Meisterwerk Suspiria, das Luca Guadagninos gleichnamiger Neuverfilmung zugrunde liegt? Anno 2018 haben sich einige Dinge verändert im Hinblick auf das Grauen, das eine Tanzakademie heimsucht, die gleichermaßen Mittelpunkt der Welt und trotzdem nicht weiter vom gesellschaftlichen Treiben dieser entfernt sein könnte. Nach der sommerlichen Schwerelosigkeit von Call Me By Your Name entwirft Luca Guadagnino ein Gemälde des Unbehagens und vergisst die schaurig verträumten Bilder, die einst das Freiburg im Original von 1977 offenbarte. Sein Suspiria ist ein roher, ein kantiger, ein ungemütlicher Film, der mit dem Fortlauf der Geschichte nicht nur geteilte Gedärme, sondern auch ein geteiltes Deutschland thematisiert. Im Berlin der 1980er Jahren findet sich dieses Mal die Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) ein, um ihrem trostlosen Ohio-Gefängnis zu entkommen und in der berühmten Choreographin und Tänzerin Madame Blanc (Tilda Swinton) eine Ersatzmutter zu finden. Was folgt, sind zweieinhalb Stunden, in denen jeder Schritt, jede Bewegung zur Prüfung wird, ehe sich alles in einem feuerroten Inferno entlädt.

An thematischen Motiven mangelt es diesem Remake nicht. Gemeinsam mit seinem A Bigger Splash-Drehbuchautor David Kajganich, der zuletzt in der eisigen Kälte der AMC-Serie The Terror ein tödliches Labyrinth am Ende der Welt heraufbeschwörte, greift Luca Guadagnino die zentralen Motive des ursprünglichen Films auf und bereichert seinen Suspiria um zusätzliche Ideen – inklusive einer Inszenierung, die sich Dario Argentos glühenden Aufnahmen mit grau-braunen Bildern entgegenstellt und dennoch die gleiche hypnotisierende Kraft in sich birgt. Am auffälligsten jedoch ist die Integration des RAF-Terrors, der ins Verhältnis mit dem finsteren Treiben des Hexenzirkels gesetzt wird, während Töchter nach ihren Müttern suchen und dabei drohen, den Verstand zu verlieren. Auf einmal sind da die Stimmen im Kopf, Stimmen aus dem Radio, Stimmen aus dem Jenseits. Die junge Patricia (Chloë Grace Moretz) kann in der aufwühlenden Eröffnungssequenz ihre Gedanken gar nicht mehr ordnen, redet schneller, als sie die Sätze formulieren kann, und springt durch die Wohnung ihres Psychiaters Dr. Josef Klemperer, gespielt von einem ominösen Lutz Ebersdorf.

Die Unruhe, die Luca Guadagnino in den ersten Minuten seines Films etabliert, spielt dem provozierten Unbehagen wunderbar in die Karten. Suspiria ist ein Fest von Verfremdung und Entfremdung, das in jeder Szene mindestens ein verführendes Element mit einem abstoßenden vereint. Eine Taktik, die sich besonders im Hinblick auf das abartige, gewaltige Finale auszahlt. Hier bannt Luca Guadagnino einen Albtraum auf die Leinwand, dem wir hilflos ausgeliefert sind. Die Bewegung der tanzenden Körper überträgt sich mit erschütternder Gewalt auf den Film selbst, der sich nach quälenden Beobachtungen plötzlich überschlägt und im Fassungslosen endet. Und dann der Regen. Regen, der unaufhörlich auf die Erde dieses brüchigen Berlins prasselt und all den Schlamm und Dreck von der Straße spült, sodass am nächsten Morgen nur sichtlich mitgenommene Gesichter von dem Grauen zeugen, das sich in der Nacht im Verborgenen zugetragen hat. We also erinnert sich in dieser Welt, die ihre eigene Geschichte verdrängt? Bei all den Fragen, die Luca Guadagnino in Suspiria stellt, gelingt es leider nur bedingt, im Rahmen seiner Antworten wieder elegant den Bogen zum Anfang zu schlagen.

Vielleicht ist es die eigene Größe, die Suspiria zum Verhängnis wird. Im Gegensatz zur Sogkraft von Dario Argentos Bildern, die aus weit aufgerissenen Augen ihren Grusel schöpften, will Luca Guadagnino ein bedeutend größeres Monument zum Einsturz bringen. Dabei verirrt er sich allerdings in den langen Gängen der Tanzakademie und verkennt die Bedrohlichkeit einer verblassenden Silhouette, die schnell wie ein Schatten von Zimmer zu Zimmer huscht. Sobald Suspiria konkret wird, verschwindet die Faszination für diesen unheilvollen Ort, der nur dann Gefühle zulässt, wenn sie auf der Klinge eines Messers balanciert werden. Was Luca Guadagnino in Call Me by Your Name und A Bigger Splash meisterhaft zwischen den Zeilen erzählte, spricht er in Suspiria in aller Deutlichkeit aus. Die größte Überraschung nach all den geheimnisvollen Andeutungen, die wir Zuschauer durch Susies Entdeckungen erfahren, gestaltet sich somit durch die Erkenntnis, dass mit dem Einsetzen des Abspanns kaum ein Geheimnis übrig bleibt. Lediglich die Kompositionen von Radiohead-Sänger Thom Yorke bewahren ein Mysterium, das sich nicht entschlüsseln lässt.

Thom Yorke tritt damit in die Fußstapfen seines Radiohead-Kollegen Jonny Greenwood, der in Zusammenarbeit mit Paul Thomas Anderson und Lynne Ramsay gleich eine ganze Reihe an eindrucksvollen Soundtracks geschaffen hat, die ihre Filme um eine gänzlich ungeahnte Ebene erweitern. Thom Yorke zeigt sich ähnlich experimentierfreudig und neugierig. Wenn er sich nicht gerade in psychedelische Klangwelten begibt und von einem fiebrigen Bewusstseinsstrom aus Gänsehaut erregenden Melodien treiben lässt, schwelgt Yorke in der Ungewissheit des Dissonanten. Wie geschaffen ist die Musik für diesen Film, obgleich sie ebenso einen weiteren Fremdkörper, ein weiteres Puzzleteil in dieser Symphonie der Unbehaglichkeit darstellt, die Suspiria ist. Selbst wenn Luca Guadagnino seinen Film vor unseren Augen entschlüsselt, gewinnt das sinnliche Erlebnis, das den Geist des Originals perfekt einfängt und gleichzeitig auf eigene Weise interpretiert. Auch dieser Suspiria ist ein Rausch, eine Höllenfahrt, ein bebendes Werk, in seinen lauten wie in seinen leisen Momenten. Vor allem aber ist er ein Zeugnis dafür, was für ein großartiges Team Lucas Guadagnino, Dakota Johnson und Tilda Swinton sind. 

Suspiria © Capelight Pictures