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The Deuce – Season 1, Episode 1 – Recap

Das New York der 1970er Jahre ist ein überaus faszinierender wie ereignisreicher Schauplatz. Im Angesicht der aktuellen Nostalgiewelle, die sich exklusiv den 1980er Jahren verschrieben hat, ist für die vorherige Dekade jedoch kaum Platz in Film und Fernsehen. Die letzten zwei prestigeträchtigen Serien, die sich den turbulenten 1970er Jahren angenommen haben, war trotz großer Namen der durchschlagende Erfolg vergönnt. Sowohl Baz Luhrmanns schillerndes Pop-Musical The Get Down als auch Martin Scorseses ekstatisches Musikdrama Vinyl wurden nach einer Staffel wieder abgesetzt.

Mangelendes Interesse seitens des Publikum und zu hohe Kosten hinsichtlich des Produktionsaufwands sind in beiden Fällen die ausschlaggebenden Gründe für das vorzeitige Aus. Ärgerlich und schade, denn beide Serien besaßen eine mitreißende Vision, wie sie selbst im Zeitalter des Peak TV alles andere als selbstverständlich ist. Zum Glück gibt es aber noch David Simon, den Schöpfer essentieller Serien wie The Wire und Treme, der sich ein Jahr nach den genannten Niederlagen erneut in ein von Krisen, Umbrüchen und Veränderungen geprägtes New York begibt und Herausragendes schafft.

Wer sind die guten Menschen? Und wer sind die bösen Menschen? Nicht lange dauert es, bis die Figuren aus The Deuce auf die Probe gestellt werden und wenige Momente nach ihrer Einführung einen dezenten Hinweis hinterlassen, in welche Richtung sich ihr Handlungsstrang entwickeln wird. David Simon, der zusammen mit The Wire- und Treme-Kollaborateur George P. Pelecanos die Idee der neuen HBO-Serie entwickelt hat, war schon immer daran interessiert, Menschen in ihrem Umfeld zu beobachten und basierend auf diesen Beobachtungen ein facettenreiche Gesellschaftsporträt zu konstruieren, das von Episode zu Episode komplexer wird.

Auch der abendfüllende Pilot von The Deuce trägt unweigerlich die Handschrift des Serienschöpfers, der zuvor als Autor und Journalist tätig war. Wenngleich die Anzahl der Figuren und Schauplätze auf den ersten Blick erschlagend wirkt, gibt es dieses Jahr kaum vergleichbare Piloten, die sich im Angesicht ihrer Ambitionen dermaßen souverän schlagen wie der Auftakt von The Deuce. Es ist eine geradezu feierliche Exposition in 80 Minuten, die von Anfang an auf das große Bild bedacht ist und in dieser Größenordnung keine Kompromisse eingeht.

Selbst wer David Simon bloß für eine Miniserie à la Show Me A Hero engagiert, weiß, dass der kreative Kopf niemals an Oberflächen und dem kurzweiligen Sehvergnügen interessiert ist, das aktuell viele Serien mit ihren handlichen Formaten versprechen. Nein, David Simon versteht die Form des seriellen Erzählen vor allem als Möglichkeit einer flächendeckenden Vertiefung der jeweiligen Thematik, der er sich annähert. David Simons Werke sind weder Plot- noch Character-Driven, wenngleich sie in beiden Punkten keinerlei Wünsche offen lassen. Stattdessen resultieren sie aus einer behutsamen Zusammenführung zahlreicher individueller Bestandteile.

Gut ausgebaute Figuren und geschickt konzipierte Handlungsstränge sind nur ein Werkzeug im Hinblick auf das umfangreiche Endspiel, das David Simon anstrebt. So erwecken die bis dato eingeführten Figuren in The Deuce unter Umständen den Eindruck, sie würden sich in einem Limbus befinden, in dem sie orientierungslos hin- und herpendeln, anstelle gezielt dramaturgisch relevante Informationen zu verfolgen. Genau dieses orientierungslose Pendeln ermöglicht allerdings das Eintauchen in ein wahrhaft lebendiges New York der 1970er Jahre.

Der Times Square leuchtet dank unzähliger Reklametafeln in grellen Lichtern bei Nacht, während tagsüber ein grau-trostloser Mantel das unbändige Treiben in den Straßen der Stadt umhüllt. Menschen kommen und gehen, manchmal bleibt die Kamera an ihnen hängen und folgt ihnen für ein paar Minuten. Manchmal verschwinden sie jedoch genauso schnell wieder aus dem Bild, wie sie es betreten haben. Das Dokumentarische vereint sich wundervoll mit dem bewusst inszenierten wie montierten Elementen. Auch in dieser Hinsicht ist The Deuce ist absolut prächtig, gelegentlich sogar verspielt.

Dazu kommt, das sich die Serie in einem überaus spannenden Umfeld bewegt. Barkeeper und Zuhälter geben sich in einer Welt dreckiger Geschäfte die Klinke in die Hand, während die ersten Adultfilm-Kinos ihre Pforten öffnen. Die Pornobranche blüht auf und die Grenzen zur Prostitution verschwimmen. Was sich reißerisch und nach einem Gimmick anhört, gliedert sich so natürlich wie beiläufig in die Erzählung, die nach wie vor ihren Fokus auf die Stadt, die Zeit und die Menschen richtet. Dass die bisher vorgestellten Ensemble-Mitglieder weder in die Kategorie Gut noch in die Kategorie Böse passen, steht außer Frage.

Am Ende der ersten Episode von The Deuce gibt es die klaren Strukturen schon lange nicht mehr. Zwar sind wir Zuschauer inzwischen Eingeweihte, was gewisse Dynamiken anbelangt. Mehrmals zeigt Regisseurin etwa bestimmte Prozesse, die sich in Zukunft sicherlich wiederholen und das Geschehen bestimmen werden. Gleichzeitig verdeutlicht der Pilot, dass die Ereignisse, die sich in der 42nd Street zwischen Broadway und Eighth Avenue abspielen, erst angefangen haben, sich zu entfalten.

Zum Schluss ist es ausgerechnet ein heimlicher, unscheinbarer Cliffhanger, der die zuvor angedeutet Abgründe in den Schatten und uns alles zuvor geglaubte in Frage stellt. Plötzlich wirkt Travis Brickles New York-Ansprache aus Taxi Driver gegenwärtiger denn je. „Someday a real rain will come and wash all this scum off the streets. I go all over. I take people to the Bronx, Brooklyn, I take ‚em to Harlem. I don’t care. Don’t make no difference to me. It does to some. Some won’t even take spooks. Don’t make no difference to me.“ The Deuce verzichtet auf das „Gute“ und das „Böse“ und erzählt schlicht von den Menschen in einer Stadt.

The Deuce © HBO/Sky/Paul Schiraldi