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The Wound – Kritik

Das Drama The Wound von Regisseur John Trengove eröffnet das Panorama der Berlinale 2017. Unter dem Schwerpunktthema Schwarz Welten geht es um unterdrückte Sexualität und die allgemeine Frage nach Männlichkeit im Rahmen eines Beschneidungsrituals.

Spätestens seit den Oscar-Nominierungen ist Moonlight von Barry Jenkins in aller Munde. Das einfühlsame Drama erzählt in drei Abschnitten aus dem Leben seines schwarzen Jungen, der erwachsen wird und dabei immer wieder mit zwei Dingen konfrontiert wird: seiner unterdrückten Sexualität und seiner nach gesellschaftlichen Maßstäben unzureichenden Männlichkeit. Auch The Wound (OT: Inxeba), der Eröffnungsfilm des Panoramas der Berlinale 2017, beschäftigt sich mit dieser Thematik, wechselt allerdings den Schauplatz von Miami ins Herzen Südafrikas. Das Langfilmdebüt von Regisseur John Trengove, der zuvor hauptsächlich im Fernsehen unterwegs war und diverse Kurzfilme gedreht hat, verbindet die Frage nach Männlichkeit und unterdrückter Sexualität mit dem alljährliche Beschneidungsritual eines Xhosa-Stammes . Dabei geht es vor allem um die Anspannung im sozialen Gefüge, das überwiegend von Traditionen geprägt ist.

Dieser Traditionen ist sich auch Xolani (Nakhane Touré) bewusst, ein 30-jähriger Lagerarbeiter aus Johannesburg. Er selbst hat das Ritual bereits vor vielen Jahren erlebt. Nun kehrt er in seine Heimat zurück, um als Mentor die nächste Generation junger Männer auf dem Weg des Erwachsenwerdens zu begleiten. Die hastige Zeremonie findet in einer abgelegenen Bergregion statt und folgt strengen Regeln: Zuerst wird der Nachwuchs vom Stammesältesten beschnitten, danach soll die Wunde verheilen. Die Rückkehr in die Zivilisation ist vorerst jedoch nicht gestattet. Stattdessen verbringen die jungen Männer unter Aufsicht ihrer Mentoren zwei Wochen in einem kleinem Hüttendorf, in der Frauen nicht erlaubt sind. Hier soll Stärke bewiesen und das Maskuline demonstriert werden. Da sich Xolani aber mit keinem dieser Werte identifizieren kann, dauert es nicht lange, bis er seine Maskerade nicht mehr länger aufrechterhalten kann.

Xolani ist schwul, traut sich allerdings nicht, seine sexuelle Identität offen auszuleben. Anfangs sucht er im Heimlichen den Kontakt zu seinem alten Freund Vija (Bongile Mantsai), kurze Zeit gleicht es einem unausgesprochenem Geheimnis: Xolani verkörpert sämtliche Tabus, die in jener eingeschworenen Gemeinschaft auf keinen Fall gebrochen werden dürfen. Jeder Blick verbirgt auf einmal etwas Verräterisches, befeuert vom Knacken der Äste im Wald und dem unerträglichen Schweigen der Umherstehende. Lediglich Kwanda (Niza Jay Ncoyini) stellt seinen Mentor schließlich zur Rede und appelliert an die kolportierten Werte des Initiationsrituals: „You want me to stand up and be a man, but you can’t do it yourself!“ Doch Xolani sucht stetig die Flucht an einen ruhigen Ort und versucht, die Wahrheit mit gesenktem Haupt zu verbergen. Ein zermürbender Kampf mit dem inneren Geist, der im Angesicht der Welt um ihn herum schlicht um seine Existenz fürchtet.

John Trengove nähert sich diesem intimen Konflikt gleichermaßen respektvoll wie hinterfragend an. Die Traditionen des Xhosa-Stammes will er nicht ausstellen, geschweige denn bloßstellen. Stattdessen geht es ihm mehr um die aufmerksame Dokumentation der Ereignisses, um eine Grundlage zum Verständnis der kulturellen Strukturen zu schaffen. The Wound steht nicht nur für die temporäre Wunde, die aus der Beschneidung resultiert und nun verheilen muss. Nein, The Wound steht für einen bedeutend größeren Schmerz, der seit Jahren besteht und niemals ausgelebt werden durfte. Ausschlaggebend dafür sind gewissen Dynamiken in der Gemeinschaft, die Xolani gar keine andere Wahl lassen, als sich den Geboten seines Stammes zu unterwerfen. Zu groß ist die Angst, zum Außenseiter zu werden – ein ungemütliches Gefühl, das John Trengove bemerkenswert auf die Leinwand bringt, ohne sich dabei in rührseligen Fantasien zu verlieren.

The Wound banalisiert das Geschehen nicht in pauschalen Problemstellungen, sondern wählt die Herausforderung, sich aufrichtig mit seiner Thematik auseinanderzusetzen, wenngleich ein unerwartet rauer Tonfall das Ergebnis ist, der ohne Rücksicht auf Verluste bis zum Kern des Gezeigten vordringt. Einen Ausgleich dazu schaffen lediglich die erlesenen Aufnahmen von Kameramann Paul Ozgur, die entgegen aller Härte und Unerbittlichkeit ebenso das Poetische zulässt. Hier findet der Film eine adäquate Ausdrucksform für das Innenleben seiner Figuren und schildern nicht bloß das Leid, sondern ebenfalls diese raren Augenblicke, wenn die Hoffnung aufkeimt, dass Ausbruch und Veränderung möglich sind. Es ist eine verborgene Schönheit, die John Trengove in einer Welt entdeckt, die sich ihrer vehement verweigert und dem Umdenken entsagt. Unmöglich scheint es, die Fesseln des Zwangs zu lockern.

Ob es Xolani und den anderen trotzdem gelingt, diesem ewigen Kreislauf passiver bis aktiver Unterdrückung zu entkommen? Oder bleibt nur der kurze Moment, in dem sich Kwanda alleine in eines der parkenden Autos zurückzieht, die Musik aufdreht und aus diesem geradezu unnatürlichen Raum heraus das Schauspiel am Lagerfeuer verfolgt, der einzige Trost, den The Wound seinen Figuren zu bieten hat? Wie auch immer die Geschichte enden mag: John Trengove lässt sich bis zur letzten Minuten jeden möglichen Ausgang offen und schafft dabei insbesondere ein Gefühl dafür, wie komplex und zerbrechlich das Gebilde ist, in das er mit seinem Film eindringt. The Wound ist folglich ein aufwühlendes Porträt, das reich an feinen Nuancen ist und in erster Linie zur Auseinandersetzung in einer Welt aufruft, in das das Traditionelle immer öfter mit einer neuen Lebensperspektive aufeinandertrifft.

The Wound © Salzgeber