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Titanic – Kritik

Auf der Suche nach dem Herz des Ozeans, einem verschollenen Diamantcollier, findet die Crew des russischen Forschungsschiffes Keldysh etwas bedeutend Wertvolleres als einen Gegenstand, der sich im Wrack der Titanic verstecken soll: Eine Geschichte, die das Verlorene ein letztes Mal in Erinnerung ruft, bevor es für immer in der Tiefe des Nordatlantiks versinkt. Dann existiert nicht einmal mehr ein Bild von ihrer große Liebe, erzählt die gealterte Rose (Gloria Stuart) den ungläubigen Gesichtern am Ende eines Films, der fast 200 Minuten lang das Vergangene wieder lebendig hat werden lassen. Einen faszinierenden, poetischen Widerspruch fängt James Cameron mit seiner Verfilmung des Untergangs der Titanic ein und taucht dafür sprichwörtlich mit dem U-Boot in die ewige Finsternis herab, um den Mythos zu bergen, der dem Lauf der Zeit ausgeliefert ist.

Bevor die Titanic in See sticht, stellt uns der Regisseur und Drehbuchautor das Schiff in allen Einzelheiten vor und schildert ebenfalls die nachfolgende Katastrophe im Detail. Sein Film überholt sich, bevor die Olympic-Klasse den Hafen verlassen hat und in einer schicksalhaften Nacht auf jenen Eisberg zusteuert, der über 1500 Menschen das Leben kosten soll. Nur ein meisterhafter Erzähler wie James Cameron vermag es, ein dermaßen tragisches Ereignis als groß angelegtes Epos zwischen Katastrophenfilm und Melodram zu balancieren, das der puren Romantik des Kinos verschrieben ist, ohne den Ernst der Lage zu verkennen. Hier trifft eine unendliche Liebesgeschichte auf die bittere Realität des Klassenkampfs, während selbstlose Grenzgänger zu Lebensrettern werden und väterliche Schöpfer-Figuren von ihrer eigenen Vision überrumpelt werden.

Bei James Cameron finden sich Träumer sowie all jene wieder, die verlernt haben, zu träumen. Beide treffen auf dem Schiff aufeinander, wo der begrenzte Raum trotz sorgfältiger Trennung die unmittelbare Konfrontation unter den grundverschiedenen Passagieren provoziert. Die Kollision erfolgt in Titanic dementsprechend nicht nur mit einem Eisberg, sondern viel früher schon, wenn sich der mittellose Jack (Leonardo DiCaprio) in Rose (Kate Winslet) verliebt, die sich über den Komfort der ersten Klasse freuen darf. Von der prächtigen Ausstattung zeigt sich Rose jedoch keineswegs beeindruckt, da sie ausschließlich die Kälte des silbernen Bestecks wahrnimmt, das in allen erdenklichen Größen die reichlich gedeckten Tische belagert. Die Größenverhältnisse spielen in Titanic eine entscheidende Rolle, nicht zuletzt im Hinblick auf die gigantische Produktion des Films.

Dass James Cameron dem Größenwahn nicht abgeneigt ist, dürfte kein Geheimnis sein. Gleichzeitig schreckt er nicht vor dem Risiko zurück, das dieser mit sich bringt. Wo der ehrgeizige Schiffsbauer Thomas Andrews (Victor Garber), der seine Träume verwirklicht, obgleich er sie nich definieren kann, schlussendlich versagt, die Weltmeere um ihren bisher größten Eroberer zu bereichern, ist die ereignisreiche Entstehungsgeschichte von Titanic dem fertigen Film nicht anzumerken. James Cameron orchestriert sein Leinwandepos, dessen Bilder selbst 20 Jahre später nichts von ihrer mitreißenden Wucht verloren haben. Sobald sich die gewaltigen Schiffsschrauben drehen, die Schornsteine dampfen und das metallene Monstrum den Hafen Southamptons verlässt, verwandelt sich Titanic in einen unaufhaltsamen Film, der den gesamten Ozean aufwirbelt und eine alles verschlingende Wellenbewegung nach sich zieht.

James Cameron versteht es, die Titanic als mächtigen wie erhabenen Koloss das Meer spalten zu lassen, inszeniert diese aber ebenso als fliegendes Fantasieobjekt, das geradezu schwerelos über die Wasseroberfläche in den Sonnenuntergang gleitet. Diese Bewegung ist so schön, dass sie zwangsläufig in einer Katastrophe enden muss, angetrieben von James Horners Filmmusik, die sich gleichermaßen auf Seiten der Träumer schlägt, wie sie zum musikalischen Abbild der Bewegung im Maschinenraum wird und in die Tiefe des Ozeans entführt, wo das Wrack wie eine gespenstische Erscheinung in der Dunkelheit lauert und die einst goldenen Wände dem Anblick lebloser Algen gewichen sind. Die Konsequenz von Titanic ist bemerkenswert, genauso wie die zeitlose Ausrichtung des Films, der beide Eigenschaften in seinem Verlauf unermüdlich diskutiert und verhandelt.

Am Ende bleibt der eingangs erwähnte Widerspruch: Das verlorene Bild in einem Film voller wiederhergestellter Erinnerungen. Was James Cameron vom Grund des Meeres für die magische Stunde des Kinos zu neuem Leben erweckt, muss er danach wieder erbarmungslos versenken. Trotz dieses ultimativen Abschieds hat er dennoch etwas geschaffen, das für immer bleiben wird, da es in einer solch universellen Sprache spricht, die niemals vergessen werden kann. Genauso wie Jacks Aktzeichnung von Rose, das fragilste Element des Films, entgegen aller Wahrscheinlichkeit Jahrzehnte später gefunden und neu entdeckt wurde, haben sich die Bilder und Bewegungen von Titanic selbst ins Gedächtnis der (Film-)Geschichte gebrannt. Dann stehen zwei Menschen am Bug des Schiffs und umarmen in einem der wohl unendlichsten Momente des Kinos die Welt.

Titanic © 20th Century Fox