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Tomb Raider – Kritik

Eine Umschreibung als weiblicher Indiana Jones hat die Protagonistin der Tomb Raider-Reihe gar nicht nötig: Seit 1996 erlebt Lara Croft gefährliche Abenteuer in Form von Videospielen und ist schon lange zur popkulturellen Ikone aufgestiegen. Verkörpert von Angelina Jolie gelang der Actionheldin Anfang der 2000er Jahren sogar der Sprung auf die große Leinwand, ehe ihre dortige Präsenz nach einer Fortsetzung auf der Suche nach der Wiege des Lebens wieder verblasste. Während das Franchise vor fünf Jahren einer notwendigen und überaus erfolgreichen wie fortschrittlichen Generalüberholung unterzogen wurde, steht anno 2018 ebenfalls eine Neuinterpretation im Kino auf dem Plan. Im schlicht als Tomb Raider betitelten Reboot tritt Oscar-Gewinnerin Alicia Vikander in Angelina Jolies Fußstapfen und bringt eine unglaubliche Frische mit, die den Geist der aktuellen Videospiele adäquat einfängt und eine ordentliche Übersetzung der nervenaufreibenden Bewegungsabläufe im Kampf ums Überleben findet.

Geschrieben von Geneva Robertson-Dworet und Alastair Siddons, nach einer Geschichte von Evan Daugherty und Geneva Robertson-Dworet selbst, interessiert sich das Tomb Raider-Reboot vorerst für die Ursprünge von Lara Corft (Alicia Vikander), die sich als Fahrradkurierin im East London der Gegenwart ihren Lebensunterhalt verdient. Vom Vermächtnis ihres wohlhabenden wie einflussreichen Vaters, Richard Croft (Dominic West), will sie seit dessen Verschwinden nichts wissen. Stattdessen sucht sie nach ihrem eigenen Weg im Leben und erkämpft sich – mitunter wörtlich – ihre eigene Unabhängigkeit. Dem Schatten ihres Ahnen kann sie trotzdem nicht entkommen, sodass die Handlung des Films schon bald von der Suche nach Laras Vater vorangetrieben wird. Was folgt, ist eine Reise ins Ungewisse: Irgendwo auf einer mystischen Insel ist Robert Croft, der offenbar doch nicht nur ein kluger Geschäftsmann war, verschollen. Das Ergebnis dieser erzählerischen Gleichung ergibt sich von selbst, so geradlinig und kompromisslos baut Tomb Raider auf seiner Prämisse auf.

Mit Innovationen kann sich Tomb Raider in dieser Hinsicht folglich kaum rühmen: Der Beginn des Abenteuers folgt bekannten Motiven, klaren Strukturen und greift zudem auf eine etwas unglückliche Vater-Tochter-Beziehung als Auslöser des Ganzen zurück, die im Anbetracht vom Selbstbewusstsein, das Alicia Vikanders Lara Croft an den Tag legt, etwas unstimmig wird. Das emotionale Fundament für den Fortgang der Ereignisse wäre damit trotzdem gesichert. Viel spannender ist allerdings die Frage, wann und wie sich Lara als unabhängige, starke Frau von all dem loslöst, das ihre Vergangenheit ist. Nicht nur der ungeklärte Verbleib ihres Vaters spielt dabei eine entscheidende Rolle, sondern ebenfalls die Verantwortung über dessen Firma, Croft Holdings, die Lara in Form von Roberts Vertreterin Ana Miller (Kristin Scott Thomas) regelmäßig einholt. Das Abenteuer hingegen gleicht einem Fluchtversuch, um ein Stück des Alten zu brechen und ein anderes heimzuholen, und wird später durch die Figuren von Antagonist Mathias Vogel (Walton Goggins) und Wegbegleiter Lu Ren (Daniel Wu) gespiegelt.

Regisseur Roar Uthaug, der zuletzt mit dem norwegischen Katastrophenfilm The Wave auf sich aufmerksam gemacht hat, balanciert hierbei gekonnt angemessene Ernsthaftigkeit und den Mut, ins Fantastische zu wechseln. Der Sprung zwischen den dramatischen Hürden und der abwechslungsreichen Action, die regelrecht in Levelform ihren Weg in den Film gefunden haben, gelingt vor allem deswegen mit Bravour, weil Alicia Vikander mühelos zwischen beiden Fronten hin- und herspringen kann. Mit der gleichen Überzeugung, mit der sie auf dem Rad in London Essen ausliefert, pirscht sie mit Pfeil und Bogen durchs Unterholz, zitiert Williams Shakespeare und hechtet später von einer Grabkammer in die nächste, während der Erdboden unter ihren Füßen wegbricht und das Übernatürliche vom ewigen Unheil kündet. Tomb Raider offenbart sich als angenehm ausgeglichenes Unterfangen, das dem Tempo und der Bewegung die größte Aufmerksamkeit schenkt, ebenso aber von greifbaren Figurenmotivationen und auflockerndem Humor Gebrauch macht, der den düstern Tonfall mit der bewussten Übertreibung verbindet.

Roar Uthaug versteht es, ganze Bewegungsabläufe der jüngeren Videospiele zu adaptieren, diese mit ihrer eigenen Dynamik auszustatten und dadurch mitreißende Actionsequenzen zu entwerfen. Packend ist sein Film allerdings nicht aufgrund der ergiebigen Set pieces, sondern weil Lara eine komplexe, vollwertige Figur ist, die nicht bloß unbesiegbar wie ein ausgestellter Körper in Zeitlupe über Abgründe springt, sondern voller toller Kratzer und Wunden ist, auch im übertragenen Sinn. Wenn Lara schließlich im apokalyptischen Regen bei Nacht ihr Gegenüber aus Notwehr tötet und im Schlamm liegen lässt, folgt keine coole Pose, sondern ein erschrockener Blick und Tränen. In diesen wertvollen Augenblicken entpuppt sich Tomb Raider als unerwartet aufmerksamer Film mit einer verletzlichen Heldin, die nur durch Überwindung am Leben bleibt. Spätestens an dieser Stelle hat das Reboot nichts mehr mit einem lieblosen Speedrun nichts mehr zu tun, sondern erweist sich als wahrhaftige Angelegenheit, die den physischen sowie den psychischen Schmerz begreifbar macht. 

Der Schmerz ist echt, Höhen und Tiefen in der Umgebung stehen stellvertretend für das Innenleben der Figuren, selbst wenn keiner der Nebencharaktere an die präzise Zeichnung der Protagonistin heranreicht. Dennoch lassen sich überall wohl überlegte Eigenschaften finden, um die tragische Ebene zu untermauern. Lediglich im letzten Drittel, wenn der im Titel angedeutete Grabraub endlich stattfindet, kommt Tomb Raider zu schnell zur Sache und vergisst, den kniffligen Lösungsweg der Rätsel vergangener Tage kreativ zu illustrieren. Dieser Bestandteil der Videospiele, der zweifelsohne einen großen Reiz selbiger ausmacht, bleibt zu oberflächlich in der Verfilmung, wenngleich anderweitige Elemente geschickt integriert werden. Etwa die Suche nach einer spitzen Kante, um Fesseln zu lösen, oder das Einsammeln verschiedener Waffen erweist sich als willkommene Verbindungen, um die Formen verschwimmen zu lassen. An Paul W.S. Andersons kühne Resident Evil-Vision mag das zwar noch nicht heranreichen, begeistert jedoch deutlich mehr als die gescheiterten Versuche von Warcraft: The Beginning und Assassin’s Creed.

Tomb Raider © Warner Bros.