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Westworld – Season 1, Episode 3 – Recap

Wohin geht die Reise, wenn bereits innerhalb der Pilot-Episode so viele Themen angerissen wurde, dass ohne Weiteres eine Bibliothek mit schriftlichen Ausführungen der rudimentären Gedankengänge gefällt werden könnte? Westworld steht genau vor diesem Problem und schaltete bereits in der letzten Woche einen Gang zurück. Auch in The Stray, der dritten Episode der ersten Staffel, bleibt das Tempo vorerst im angenehmen Bereich. Dennoch entsteht gelegentlich der Eindruck, dass diese Serie so viele Dinge zu erzählen hätte, es aber aufgrund ihres limitierten Rahmens einfach nicht kann. Jeder Dialog prescht binnen weniger Augenblicke in extrem interessante Bereiche vor, reißt aber genau an dem Punkt ab, wo die Vertiefung des Gesagten am interessantesten wird. Alles halb so schlimm wild!

Es sind unzählige, kleine Cliffhanger, die quer durch die Handlung der Episode verteilt auftauchen, für Aufruhr sorgen und ein unbefriedigendes Gefühl zurücklassen. Diese Westworld ist so reich an Ideen, Visionen und Geheimnissen: Die entscheidende Frage ist nur, schaffen es die Kreativen, all die losen Enden eines Tages schlüssig zusammenzuführen oder ersticken sie unter der Last des Angerissenen? The Stray spiegelt das Dilemma von Jonathan Nolan und Lisa Joy in Form von Dr. Roboert Ford (Anthony Hopkins) wieder, denn eine seiner Schöpfungen ist aus dem Protokoll ausgebrochen. Wie zahlreiche Zwischenfälle zuvor bewiesen haben, kann es immer wieder passieren, dass sich einer der Roboter ungewollt im Kreis dreht, weil ein Update nicht wie gewünscht funktionierte. Doch dieses Mal ist etwas anders. Dieses Mal hat sich etwas verändert.

Der Ausreißer soll zurückgebracht werden. Bernard (Jeffrey Wright) drückt sich sehr deutlich gegenüber Elsie (Shannon Woodward) aus, als diese zu tief in der Geschichte der Westworld gräbt und Dinge findet, die sie nicht versteht: „Do something that’s actually in your job description.“ Noch kann eine einfache Anweisung die verführerische Anomalie unter Kontrolle bringen. Gleichzeitig macht The Stray kein Geheimnis mehr daraus, dass die künstliche Intelligenz kurz davor steht, ein eigenes Bewusstsein zu erlangen, wenn sie es nicht schon lange eins hat. Seit drei Episoden leitet Westworld das Erwachen in die Wege. Die Verantwortlichen im Park scheinen es trotzdem nicht zu kapieren oder wollen es womöglich gar nicht kapieren. Zu groß ist die Unsicherheit mit der Bestie, die stetig gefüttert, aber nie verstanden wird.

„They’re not conscious“, betont Ford mit aller Eindringlichkeit und demonstriert es in einer eindrucksvollen Szene mittels Skalpell und einschüchternder Rhetorik. Allerdings ist er der einzige Mensch im ganzen Park, die sich seiner Sache so sicher sind. Selbst eine vermeintliche Konstante wie Bernard wirkt auf einmal alles andere als stabil. Wo er bei Elsie noch bestimmende Worte parat hat, findet er auf Theresa Cullens (Sidse Babett Knudsen) Befürchtungen nur noch kleinlaut beschwichtigende Ausreden. „And if there is a problem, I strongly suggest you tell me“, droht die Leiterin der Anlage mit unheilvollem Blick. Bernards unsichere Reaktion lässt nicht nur seine Vorgesetzte, sondern ebenso uns Zuschauer ratlos zurück. Was hat er entdeckt, das er nicht aussprechen will, bevor er weitere Untersuchungen mit Dolores (Evan Rachel Wood) angestellt hat?

Irgendetwas ist anders in dieser Westword, als noch ein paar Tage zuvor war. Wo The Original und Chestnut mit – teilweise erschreckender – Routine verblüfften, hat sich The Stray von all den festgefahrenen Mechanismen verabschiedet und gibt Einblick in das Chaos, das da kommen mag. In den ersten Minuten der Episode rezitiert Dolores eine Passage aus Alice in Wonderland: „Dear, dear, how queer everything is today. And yesterday, things went on just as usual. I wonder if I’ve been changed in the night“, heißt es in dem Auszug aus Lewis Carrolls mehrdeutigem Schriftwerk, das sicherlich nicht zufällig seinen Weg in Westworld gefunden hat. Das Schlüsselwort in diesem Fall heißt „change“ und taucht danach noch fünf Mal in verschiedenen Variationen auf, wobei es stets darum geht, den Übergang im freien Fall zu markieren.

Wie Alice in den Kaninchenbau fällt und sich am Boden etwaiger Tatsachen nicht mehr widererkennt, landen mehrere Figuren in der Westworld auf diesem verheerenden Grund der Erkenntnis. Während Ashley (Luke Hemsworth) mit unerträglicher Überheblichkeit sprichwörtlich in den Abgrund stürzt, wird Bernard unmittelbar mit der Frage konfrontiert, die ihm Dolores als nächstes aus Alice in Wonderland bei einer ihrer Sitzungen vorliest: „Was I the same when I got up this morning? I almost think I can remember feeling a little different. But if I’m not the same, the next question is… who in the world am I?“ Wer bin ich, wenn sich alles um mich herum verändert hat? Wer bin ich, wenn ich mich komplett verändert habe? Und was passiert, wenn mir nicht gefällt, wenn ich erkenne, wer ich bin?

Genau diese Momente machen Westworld unglaublich großartig, da sie stets mit düsteren Untertönen verbunden sind, die großes Unheil erwarten lassen. Im Hintergrund schwingt weiterhin diese gewaltige Geschichte mit, die bisher nur angedeutet wurde, aber Ungeheures verspricht. Ein Auszug von den Anfängen der Westworld, wie sie Ford schildert, liefert weitere Hinweise für ein Rätsel, dessen Fragestellung wir noch nicht einmal wissen. Klar, die Roboter werden früher oder später ihr eigenes Bewusstsein erlangen. Die Offensichtlichkeit des bevorstehenden Twists ist ein Kollateralschaden der Marke Westworld. Ehrfurcht lösen all die Andeutungen trotzdem aus. „At least you have a way of forgetting“, sagt Bernards Frau bei einem Anruf. Nur was kann abseits des Offensichtlichen so Grausam sein, dass dieser Weg des Vergessens so erstrebenswert ist?

Anmerkungen am Rande:

  • Was auch immer mit diesem Vergessen auf sich hat: Dolores hat sich gerade an alles erinnert. #goingrogue
  • Arnold. Unglaublich, da habe ich fast 1000 Wörter geschrieben, ohne ein einziges Mal diesen Namen zu erwähnen. Aber könnte es sein, dass Arnolds Vermächtnis sich gerade in Form des Man in Black (Ed Harris) rächt? Ist der mysteriöse Gast nur in die Westworld gekommen („Deeper level“ und so), um Arnolds Platz in den Geschichtsbüchern zu richten? Oder hat Arnold einen viel perfideren Weg gewählt, um Ford im finalen Spiel zu schlagen. Könnte das in Dolores erwachende Bewusstsein sein letzter Meistergriff sein?
  • Inszeniert wurde diese Episode übrigens Neil Marshall, der schon in Game of Thrones gezeigt hat, dass er ein überaus fähiger Regisseur ist, wenn es darauf ankommt, eindringliche Serien-Momente zu schaffen. Spätestens, wenn sich in The Stray der ausgerissene Roboter mit einem Stein den eigenen Schädel zertrümmert, ist Neil Marshall ganz in seinem Element.

Westworld © HBO