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Yourself and Yours – Kritik

Vermutlich gibt es nur wenige Dinge, die Hong Sang-soo so sehr interessieren, wie das Aufeinandertreffen von zwei Menschen. Meistens findet es im bescheidenen, aber gemütlichen Ambiente statt. Alkohol ist ebenfalls involviert, vorzugsweise in den kleinen, grünen Soju-Flaschen, die für seine Filme fast so essentiell geworden sind wie die Teekannen bei Yasujiro Ozu. In sorgfältigen Bildkompositionen passiert es dann und die Menschen rede miteinander, lernen sich näher kennen und, ja, verlieben sich vielleicht ineinander. Zuletzt nahm dieser wiederkehrende Austausch jedoch eine unerwartete Wendung. Right Now, Wrong Then wurde von einem harten Schnitt unterbrochen, der das komplette Gespräch auf Null zurücksetzte, sodass das (zuvor gescheiterte) Aufeinandertreffen erneut stattfinden konnte – dieses Mal aber unter gänzlich anderen Voraussetzungen. Zwei geschaffene Wirklichkeiten in einer Welt: Auch Yourself and Yours spielt mit dem Gedanken des unverbindlichen Neustarts.

Alles beginnt damit, dass der Maler Young-soo (Kim Joo-hyuk) von einem Freund erfährt, dass seine Freundin Minjung (Lee You-young) regelmäßig mit fremden Männern einen Trinken geht. Die ganze Nachbarschaft redet darüber. Young-soo ist scheinbar der einzige Mensch auf Erden, der nichts davon mitbekommen hat. Trotzdem nimmt er Minjung sofort in Schutz: Eigentlich habe sie ihm versprochen, weniger zu trinken. Unvorstellbar, was er er sich da anhören muss. Später kommt es allerdings zum Streit und die beiden gehen fortan getrennte Wege. Minjung will eine Auszeit, Young-soo ist am Boden zerstört. Plötzlich ist sie nicht mehr da, die Frau, die seine Sorgen versteht. Er ist einer der klassischen Männern, die Hong Sang-soos Filme bevölkern. Alleine vollkommen überfordert mit seinem Leben und stets in der naiven Hoffnung der Liebe motiviert jeden Tag aufs Neue aufzustehen. Da kann der arme Tropf noch so viel Jammern: Minjung geht ihren eigenen Weg, egal, was er oder die Anderen sagen.

Die Anderen? Das sind in erster Linie andere Männer, die Minjung in einer lokalen Bar finden. Zuerst streifen sie bloß ihren Blick, dann sind sie sich sicher, unlängst Bekanntschaft mit der schönen Frau gemacht zu haben, die da so alleine sitzt und in ihrem Buch blättert. „Kennen wir uns nicht?“ Mit dieser Frage sollte der Rest des Gesprächs geklört sein, selbstbewusst setzt sich der Fragende zu Minjung an den Tisch und erwartet die positive Antwort. Das Eis ist gebrochen, was soll jetzt noch schief laufen? Der Unterhaltung steht nichts mehr im Weg. Doch Minjung sagt, dass sie ihr Gegenüber nicht kenne, noch nie gesehen hat. Dieser, ein Filmregiseur (wie sollte es bei Hong Sang-soo auch anders sein?), besteht aber darauf, sodass sich Minjung genötigt fühlt, zwei Mal noch ihre Antwort zu wiederholen, bis sich der Fragende eine Irrtum eingesteht. Jetzt kann das Kennenlernen beginnen. Dagegen hat Minjung nichts einzuwenden. Kurz darauf wiederholt sich die gleiche Situation mit einem Mann. Was ist hier los?

Das Spiel mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen begeistert Hong Sang-soo seit Anbeginn seiner Karriere. Immer wieder überlagern sich in seinen Filmen unterschiedliche Versionen der erzählten Geschichte. Mal passiert dies ganz offensichtlich, mal versteckt im Hintergrund: Nie können wir uns sicher sein, was gerade wirklich passiert. Zudem steht die Frage im Raum, ob sich die – mitunter widersprüchlichen – Ereignisse überhaupt ausschließen. Vermutlich nicht, bedenkt man die Poesie dieser narrativen Unzuverlässigkeit. So schlicht die Welten in Hong Sang-soos Filmen gestaltet sind, so komplex offenbart sich das Erzählte mit zunehmender Laufzeit – unergründlich in beiläufiger Einfachheit. Bis zum Schluss bleibt Yourself and Yours ein Rätsel und Minjungs wahre Identität ein Geheimnis. Selbst Young-soo muss zum Schluss die irritierende Erfahrung machen, wie all die Männer vor ihm: Minjung verneint stets eine mögliche Bekanntschaft, freut sich aber darüber, den Fremden näher kennenzulernen.

Es ist ein ständiger Neuanfang: ein bisschen wie Adam Sandlers 50 erste Dates, ein bisschen wie Bill Murrays ewiges Erwachen am Murmeltiertag. Gerade in dem Moment, wo sich Hong Sang-soo der neuen Chance annähert, die im Vergessen schlummert, vergisst er nicht, die Ungewissheit jenes Augenblicks zu erwähnen. Auf einmal nimmt das Bier den Platz von Soju ein und man erkennt die Welt nicht wieder: Wie viele Filme zuvor versteht sich Yourself and Yours ebenfalls als Meditation auf Hong Sang-soos eigenes Schaffen. Durchströmt von unbeständiger Beständigkeit könnte geradezu der Eindruck entstehen, ein Werk gleicht dem anderen in Form und Ausführung. Gerade diese Form ist jedoch dermaßen intim und zerbrechlich, dass es unmöglich ist, zwei Mal das Gleiche zu konstruieren. Ob das etwas Schlimmes ist? Ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Es ist die Möglichkeit, in einem Kreislauf mit kleinen Details etwas Neues zu erschaffen. Und das ist unglaublich!

Yourself and Yours © Finecut