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Blade Runner 2049 – Kritik

Es regnet. Nass peitscht es an die Scheiben, immer und überall. Der Himmel hat sich verdunkelt und die Welt ist in einem ewigen Dunst versunken, der selbst die Wolkenkratzer im dystopischen Los Angeles unscheinbar in der Gegend verschwinden lässt. Ein trübsinniger Anblick, der vom Ende aller Tage kündet und das Leben in beklemmender Finsternis erstickt. Blade Runner 2049 entführt in eine post-apokalyptisches Ruinenlandschaft, geformt von einer düsteren Geschichte, wie sie noch nicht einmal in Ridley Scotts Blade Runner aus dem Jahr 1982 zu erahnen war. Regisseur Denis Villeneuve denkt das Science-Fiction-Meisterwerk im Rahmen der Fortsetzung also um den nächsten Schritt weiter, anstelle sich in vermeintlicher Endzeit-Nostalgie zu wälzen. Die Menschheit kämpft nach einem verheerenden Zwischenfall, dem sogenannten Blackout, nicht nur mit nuklearen Konsequenzen, sondern ebenfalls dem Verlust sämtlicher Datenbestände, die einst für Ordnung sorgten. Niemand kann sich mehr erinnern, geschweige denn auf seine Erinnerungen verlassen. Nun verschwimmen die Grenzen in einer mitreißenden Suche nach einem Wunder im Schatten der Vergangenheit.

Ein Wunder, das hat K (Ryan Gosling) noch nicht gesehen – oder zumindest unterstellt es ihm der Replikant Sapper (Dave Bautista). Dieser lebt außerhalb der Großstadt in einer vergleichbar tristen Umgebung und geht seinem Handwerk als Farmer nach, ehe ihm sein artifizieller Hintergrund zum Verhängnis wird. Allen menschlichen Zügen zum Trotz bewegen sich Replikanten in Blade Runner 2049 auf einem gefährlichen Terrain, besonders, wenn sie nicht dem Typus Nexus 9 angehören. Die jungen künstlichen Menschen jagen die alten und damit einhergehend gehört auch K auf die Seite der erschaffenen Ebenbilder, die das Gleichgewicht in Gefahr bringen, obwohl sie es erhalten sollen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist er allerdings loyal und pflichtgetrieben. Im sozialen Umgang täuschend echt folgt K einem klaren Code, den er niemals verraten würde. Dennoch besitzt er eine dieser raren Erinnerung und damit gewissermaßen auch ein Geheimnis, wenngleich er weiß, dass der Einblick in seine Kindheit nur eine weitere Kreation ist, um das Produkt, das er darstellt, zu vollenden. K funktioniert tadellos, sodass unter Umständen selbst Lieutenant Joshi (Robin Wright) seine wahre Herkunft vergisst.

Gleichwohl beschäftigen K die Dinge, die erlebt, und die Welt, durch die er sich bewegt. Es ist eine Sehnsucht, die ihn tief in seinem Inneren antreibt und an der angeblichen Nicht-Existenz seiner Seele zweifeln lässt. Nostalgisch verliert er sich in der Musik einer Zeit, die er nie kannte. Emotionalen Beistand sucht er bei Joi (Ana de Armas), die holographische Projektion einer Frau, die ihn ständig begleitet und trotzdem niemals greifbar ist. Obwohl der allgegenwärtige Regen an der optischen Darstellung ihrer Haut abperlt, so lässt sich die Wahrhaftigkeit der Berührung nur simulieren. Wenn sich die Blicke der beiden begegnen, blitzt die Hoffnung genauso schnell auf, wie die Enttäuschung einsetzt. Dann herrscht wieder nur eine unbeschreibliche Leere, die in den gewaltigen Aufnahmen der Metropole ihr Echo findet. Aus der Distanz ist keine Regung zu erkennen. Lediglich riesige Bauwerke ragen aus dem Sumpf des urbanen Tohuwabohus, das sich jenseits einer gigantischen Mauer in der Tristesse der Vergänglichkeit erstreckt und schließlich in den beißenden Farben einer verseuchten Wüste mündet, in der sich ausgerechnet eine Geisterstadt als Archiv der verloren geglaubten Geschichte offenbart.

Blade Runner 2049 gestaltet sich dabei nicht nur als würdiger Nachfolger, was sie ikonische wie prägende Ästhetik des Originals angeht, sondern ebenfalls als Film, der sich beständig weiterentwickelt, ohne einen Status quo erhalten oder ein Erbe verwalten zu müssen. Zwar spielt das Vergangene im Fortgang der Handlung eine entscheidende Rolle. Dennoch interessiert sich Denis Villeneuve vielmehr in die Vertiefung der Mythologie und baut auf dem gegeben Fundament konsequent auf, anstelle dieses bloß im neuen Glanz erstrahlen zu lassen. Blade Runner 2049 gehört somit zu der seltenen Art von Fortsetzungen, die ihren Kosmos mit neuen Ideen und neuen Perspektiven erweitern und bereichern – und das zahlt sich in jeder Faser dieses sorgfältig komponierten Werkes aus. Denis Villeneuve träumt in großen Bildern und hat mit Roger Deakins wohl einen der fähigsten Kameramänner als Verbündeten an Bord: Gemeinsam schaffen sie filmische Räume, die bei ihrem alleinigen Anblick für Gänsehaut sorgen und darüber hinaus in langen, ruhigen und ausführlichen Sequenzen atmen dürfen. Wie zuletzt bei Ghost in the Shell steht das Eintauchen im Vordergrund. Was folgt, ist pures Sinnesrauschen.

Später verwandeln sich die Regentropfen in stürmische Wellen und drohen, alles einzureißen, was je existierte. Blade Runner 2049 bewahrt sich eine unerschrockene Brutalität, gefedert von der komplexen Soundkulisse sowie dem treibenden Soundtrack aus der Feder von Benjamin Wallfisch und Hans Zimmer, der die Leinwand gleichermaßen zum Beben bringt, wie er die Unendlichkeit der sphärischen Klänge von Vangelis einfängt. Vor allem aber legt sich die Musik nie mit betäubender Geste über die Geschehnisse, sondern harmoniert im Zusammenspiel mit den vielen verschiedenen Elementen, wenn sie nicht sogar komplett der Stille eines intimen Augenblicks weicht. Dass Blade Runner 2049 mitunter dermaßen sperrig und ungemütlich ausfällt, verblüfft geradezu, aber nur im positiven Sinne. Das Drehbuch aus der Feder von Hampton Fancher und Michael Green wagt sich an die großen Fragen, die schon Philip K. Dick in seiner Vorlage Do Androids Dream of Electric Sheep? beschäftigten, und strebt dabei einen existenzphilosophischen Dialog an, der im Angesicht täuschender Erinnerungen mit dem Schein der Realität spielt und sich einem transzendenten Überlebenskampf hingibt.

Entgegen der Gewalt dominiert zum Schluss aber überraschende Harmonie, der perfekte Einklang, das rettende Wunder. An die Stelle des es unfreundlichen Regens, der die Welt in einen hoffnungslosen Ort verkommen lässt, treten weiße Schneeflocken, wie sie reiner nicht sein könnten. Elegant fallen sie auf den schmutzigen Boden, ohne Druck und Zwang. Mit der Wucht des unbändigen Nass haben die zerbrechlichen Eiskristalle nichts mehr zu tun. Auf einmal verschwindet die glühenden Neonfarben und machen Platz für das strahlende Weiß, das vom Himmel fällt, als hätten die Engel, die Niander Wallace (Jared Leto) so verzweifelt zu beschwören versucht, tatsächlich ihren Weg auf die Erde gefunden, wo der Mensch als Schöpfer irrt und Leben schafft, das sich (unfreiwillig) jeglicher Kategorisierung entzieht. Hier kann die Projektion eines Menschen genauso echt sein, wie die leibhaftige Ausführung und umgekehrt. Die Hologramme von Marilyn Monroe, Frank Sinatra und Elvis Presley sind trotzdem eindeutig als Geister der Vergangenheit zu identifizieren. Doch was passiert, wenn plötzlich Rick Deckard (Harrison Ford) seinen Fußabdruck in einem der erhaben gerahmten Räume der Zukunft hinterlässt?

Blade Runner 2049 © Sony Pictures