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Brooklyn – Kritik

Natürlich gibt es sie, die großen, emotionalen, mitunter pathetischen Momente in Brooklyn. Etwa, wenn sich Protagonistin Eilis Lacey (Saoirse Ronan) von Irland auf den Weg in den titelgebenden Stadtteil von New York City begibt, oder, wenn später via Voice-over die Briefe an ihre Schwester, die bei der Mutter in der Heimat geblieben ist, vorgelesen werden. Dennoch ist Brooklyn, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Colm Tóibín, ein überwiegend zurückhaltender, geradezu schüchterner Film, der umso klarer strahlt, wenn er erst einmal angefangen hat, sich richtig zu entfalten.

Dienlich ist dabei in erster Linie, dass sich John Crowley in puncto Inszenierung der einfachen Beschaffenheit des adaptierten Drehbuchs aus der Feder von Bestsellerautor Nick Hornby anpasst, das angenehm zwischen den obligatorischen Stationen einer solchen Reise pendelt, sich im Nachhinein aber ebenfalls darauf versteht, der vorläufigen Karikatur gewichtige Nachhaltigkeit zu verleihen. Was dadurch entsteht, ist eine unglaubliche Klarheit, die sich schnell in umwerfende Schönheit verwandelt – und das, ohne sich überhaupt anmerken zu lassen, dass sich etwas verändert hat.

Doch alles der Reihe nach: Um was geht es in Brooklyn eigentlich? Die Geschichte ist in den 1950er Jahren angesiedelt und erzählt – wie bereits erwähnt – von jungen Eilis Lacey, die ursprünglich aus einem beschaulichen Städtchen in Irland stammt. Dort lebt sie bei ihrer verwitweten Mutter und ihrer Schwester, Rose (Fiona Glascott), während sie nebenbei in einem kleinen Laden unter dem strengen Regiment der alles verurteilenden Mrs. Kelly (Bríd Brennan) arbeitet.

In Anbetracht dieser tristen Aussichten ist Eilis überglücklich, als ihr Rose, die als Buchhälterin arbeitet, eine Unterkunft und einen Job in Übersee verschafft: Dank Father Flood (Jim Broadbent) erhält Eilis die Möglichkeit, in Brooklyn ein neues Leben anzufangen, was allerdings schon bei der Überfahrt zu schwindelerregenden Problemen führt. Auch später plagt Eilis die Sehnsucht nach Hause, besonders, wenn der Gedanke ins Spiel kommt, sie könnte Mutter und Schwester im Stich gelassen haben. Mit der Zeit legt sich jedoch die Angst vor der Fremde und in Eilis erwacht ein überwältigender Entdeckergeist, als sie endlich ihre Freiheit in Anspruch nimmt.

Mit dieser Freiheit kommt ebenfalls die erste Liebe in Eilis Leben, konkret in Form von Tony Fiorello (Emory Cohen). Seine Familie stammt aus Italien und er steht auf irischen Mädchen, wie er gleich beim ersten Aufeinandertreffen gesteht. Was er allerdings nicht gesteht (beziehungsweise schlicht nicht erwähnt), ist die Tatsache, das er leidenschaftlicher Footballfan ist und somit zumindest die Hälfte aller Klischees seiner Art erfüllt, wenn es um die Meinung von Miss Fortini (Jessica Paré), Eilis neuer Vorgesetzten bei Bartocci’s, geht.

Bereits mit einer solch nebensächlichen Information baut Brooklyn fast unbemerkt große Stärke auf: Wenngleich der Football anfangs bloß als Randnotiz ohne Kontext im Raum steht und bestenfalls für ein Schmunzeln sorgt, avanciert er später zu einem beiläufigen Leitmotiv, das nicht nur eine Figur charakterisiert, sondern sie darüber hinaus im kompletten Figurenkabinett in Beziehung setzt. Nick Hornby, der zuletzt die Adaption des wundervollen Dramas Wild mit Reese Witherspoon verantwortete, entpuppt sich ebenfalls im Rahmen der Adaption von Brooklyn als äußerst aufmerksamer Drehbuchautor, der es versteht durch unscheinbare Details zu erzählen.

Egal wie vertraut und konventionell Brooklyn im Aufbau gestrickt ist: Jede einzelne Sequenz ist eine Freude der Unaufdringlichkeit, was damit anfängt, dass sich Michael Brooks zerbrechlich warmer Score in stets präsenter Unauffälligkeit verschwimmt. Auf gewisse Weise ist die Musik unsichtbar wie so viele Bestandteile dieses Film. Würde sie aber unerwartet für eine Minute verstummen, wäre der Film nicht mehr komplett, denn letzten Endes fungiert sie als emotionaler Kompass – völlig unabhängig vor welcher Kulisse die Figuren miteinander konfrontiert werden.

Nachdem Eilis einen Winter in Brooklyn überdauert hat und eine ernsthafte Beziehung mit Tony eingegangen ist, muss sich Father Flood als Übermittler schlechter Botschaften erweisen und Eilis mitteilen, dass ihre Schwester verstorben ist. Kaum ist die Protagonistin der schwierigen Lebensphase ohne Orientierung entkommen, folgt der nächste Schicksalsschlag – und dieses Mal ist es einer der Sorte, die nicht verändert oder gar rückgängig gemacht werden können. Eilis reist zurück nach Irland, ohne ihrer Mutter gegenüber zu erwähnen, dass sie kurz vorher Tony geheiratet hat.

Wieder in Irland angekommen erwartet Eilis das, was einen jeden Heimkehrenden erwartet: Plötzliche Fremde in den eigenen vier Wänden. Natürlich überwiegt die Freude, die Mutter und die beste Freundin wiederzutreffend – ganz zu schweigen von all den Erfahrungen, die man austauschen kann. Doch dann gibt es da noch die tragisch traurige Feststellung, dass sich vieles verändert hat und gleichzeitig nicht verändert hat. Eine merkwürdige Atomsphäre zwischen überschwänglicher Freund- und arglistiger Feindseligkeit zieht sich durch die irische Landschaft und erinnert Eilis daran, warum sie ihre Heimat überhaupt verlassen hat, selbst wenn Brooklyn zu Beginn auch kein leichtes Pflaster war.

Besonders verkompliziert sich die Situation, als Eilis den liebenswürdigen Jim Farrell (Domhnall Gleeson) kennenlernt, der sich im Lauf der Zeit in sie verliebt. Erneut verliert sich Nick Hornbys Script nicht im Ödland der leidigen Auffächerung eines solchen Konflikts, sondern begegnet ihm mit aufrichtigem Interesse – auf der Oberfläche genauso simpel wie komplex darunter. Und dann ist da noch Saoirse Ronan, durch die John Crowleys behutsames Porträt einer jungen Frau voller Unsicherheit, Neugierde und Willenskraft wahrhaftig zum Leben erwacht. Ein bisschen romantisch, ein bisschen dramatisch, ein bisschen altmodisch und ein bisschen verspielt: Brooklyn ist ein schöner, vielleicht sogar ein sehr schöner Film.

Brooklyn © 20th Century Fox