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Gone Girl – Kritik

Immer wieder ergibt sich in Gone Girl die Möglichkeit, aus dem Bestehenden auszubrechen, den gesetzten Rahmen zu sprengen – ja, sogar alles komplett auf den Kopf zu stellen. Die Geschichte schlägt einen Haken nach dem anderen, manipuliert sowohl die Figuren als auch Publikum und befindet sich stets auf der Suche nach der unerwarteten Kehrtwende. Bei dieser Achterbahnfahrt, deren Ausgang zweifelsohne ein ungewisser ist, entzieht sich jegliche Konstante ihrer Verlässlichkeit. Doch die Freiheiten, die daraus resultieren, weiß weder Nick Dunne (Ben Affleck) noch eine der anderen Figuren in David Finchers jüngstem Werk zu nutzen.

Niemand nimmt die Chancen wahr, um seiner misslichen Lage zu entkommen, um sein altes Leben hinter sich zulassen und mit einer Entscheidung den vollständigen Neuanfang zu wagen. Bereits beim Versuch scheitert ein Großteil der Beteiligten; zu tief sitzt der Schmerz, das Trauma, die Wurzeln der Beziehung(en). Und dann dreht sich die Welt in Gone Girl sowieso wie ein Karussell, das nie wieder zum Stehen kommt. Am Ende blicken die Figuren in dieselben Augen wie am Anfang und erneut breitet sich ein Mantel unangenehmer Ohnmacht in Anbetracht der Unberechenbarkeit des jeweils anderen aus.

Diese Wiederholung, dieser ewige Loop wird gleich zu Beginn der Geschichte in Form taufrischer Morgenstunden manifestiert. Ein Schleier unheilvoller Vorahnung umhüllt die Vorstadtidylle. Ein Schleier, der sich in erster Linie aus den Kompositionen von Trent Reznor und Atticus Ross zusammensetzt. Wie schon in The Social Network und zuletzt in The Girl With the Dragon Tattoo bahnt sich der elektronische Sound einnehmend seinen Weg ins Geschehen, bestimmt die Atmosphäre und dominiert gezeigte Bilder als treibender Motor.

Geradezu unheimlich wirkt diese Klangkulisse. Sie erschafft ein Mysterium, bevor die Handlung überhaupt in die Nähe ihres eigentlichen Geheimnisses gelangt. Beruhigend, versöhnlich und gleichzeitig äußerst unbehaglich: Von Anfang an sät der musikalische Schleier Misstrauen und fordert zur Überprüfung jeder Aussage, jeder Wahrheit auf. Was in Gone Girl zuerst zerbricht, ist das (Selbst)Vertrauen. Und ab diesem Punkt sind die Figuren den unzähligen Faktoren ihrer Umgebung und vor allem deren Willkür – das ist der erschreckendste wie beängstigendste Aspekt des Films – hilflos ausgeliefert.

Egal, wie oft sich Nick Dunne aus seiner misslichen Lage herauszumanövrieren versucht: David Fincher und Drehbuchautorin Gillian Flynn, ihres Zeichens auch Urheberin der zugrundeliegenden Literaturvorlage, haben zu viel Spaß die Behandlung der Misere mit verzweifelter Vernunft ad absurdum zu führen. Ein Mechanismus greift in den anderen und sobald der (sich selbst) entlarvende Medienrummel einsetzt, testet Gone Girl in seiner satirischen Eigenschaft munter die Grenzen der bisweilen grotesken Plot-Entwicklungen aus, sodass nicht einmal die Offerte von Pay-TV inklusive unbegrenztem Netflix-Zugang zum sicheren Hafen dieser gnadenlosen Schnitzeljagd avanciert.

Stattdessen regiert die Dekonstruktion auf mehreren Ebenen. Nachdem er im ersten Akt regelmäßig mit den Sympathien jongliert hat, wagt sich David Fincher im Gewand eines unfassbar präzise inszenierten sowie klug geschnittenen Thrillers unmittelbar an den Ort, der als Abgrund der Ehe, als Abgrund menschlichen Zusammenlebens gewertet werden kann. Scherben und Splitter; Benjamin Button hat die märchenhaften Hüllen fallen gelassen und kann sich nicht länger hinter der bröckelnden Fassade (platonischer) Liebe verstecken. Dabei fängt alles ganz unschuldig an, mit einem Tanz im schwebenden Zucker – federleicht und schwerelos.

Später wiederholt sich der idyllische Schein. Ben Affleck tritt in Anlehnung an die ersten Minuten des Films abermals aus der Haustür, durchquert den perfekt gesetzten Vorgarten seines Grundstücks und starrt mit undefinierbarem Blick die Straße entlang. Niemand wagt es endgültig die Reißleine zu ziehen. Selbst der eiskalte Schnitt durch die Kehle beim Geschlechtsverkehr mit anschließendem Blutbad stellt keinen Schlussstrich dar. Viel mehr geht es um Schadensbegrenzung und den Umgang mit kalkulierten Kollateralschäden im improvisierten Entscheidungsprozess, der schlussendlich nur die Steigerung der Perversion zur Folge hat.

Eine Perversion, deren Motivation weder die radikale Sezierung im vorherigen Verlauf, noch der beunruhigende Erklärungsversuch im Epilog rational (be)greifbar machen kann. Es ist einfach unmöglich, sich gegenseitig die Wahrheit zu sagen, wenngleich Nick und Amy (Rosamund Pike) durch die Hölle gehen, um dem absoluten Niedergang zu entkommen. In Wahrheit verirren sie sich jedoch mit jedem einzelnen Schritt noch tiefer in diesem ausweglosen Geflecht. So tief, dass irgendwann nur noch Kälte existiert. Ein Albtraum, allerdings einer der Sorte, bei dem man sich nicht sicher ist, welcher Teil zur kontrollierbaren Wirklichkeit gehört und welcher nicht.

Gone Girl © 20th Century Fox