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High Life – Kritik

Im Weltraum hört dich niemand schreien. Gleich in der Eröffnungssequenz ihres ersten englischsprachigen Films stellt die französische Regisseurin Claire Denis dieses ungeschriebene Gesetz des Science-Fiction-Films auf den Kopf. Wenn Monte (Robert Pattinson) an der Hülle des Raumschiffs klebt, das ihn mitsamt der Crew zu einem Schwarze Loch bringen sollte, um eine alternative Energiequelle ausfindig zu machen, sind die Schreie eines Babys unmöglich zu überhören. Die erdrückende Stille des Weltraums wird durchbrochen, von einem Störgeräusch, das dort definitiv nicht hingehört. Wo für gewöhnlich alarmierende Signale des Bordcomputers zu vernehmen sind, breitet sich nun der unverkennbare Schrei aus dem tiefsten Inneren eines menschlichen Körpers aus. Viele weitere Schreie folgen in diesem außergewöhnlichen Werk, das am Ende des Universums zum Kern des Menschseins vordringt und neben zerstörerischem Begehren schlussendlich auch eine unerwartete Unendlichkeit entdeckt.

Lange dauert es, bis wir das Raumschiff in High Life zum ersten Mal in seiner ganzen Pracht sehen, wobei im Angesicht der klotzigen, quaderförmigen Hülle Pracht ein relativer Begriff ist. Das Gefährt gleicht mehr einem von der Zeit gezeichneten Container, einem Müllcontainer um genau zu sein, der die Ausgestoßenen der Erde in den Weltraum befördert, wo sie als Versuchskaninchen im besten Fall ein Opfer für die größere Sache bringen. Der kriminelle Hintergrund verdammt Monte sowie den Rest der Besatzung ins ewige Nichts, wo zuerst nur enge, aber sagenhaft beleuchtete Gänge existieren. Um der Todesstrafe oder einem Leben hinter Gittern zu entkommen, begeben sich die Unglücklichen in das Labyrinth eines Raumschiffs, das gleichermaßen Paradies wie Hölle ist. In den verborgenen Kammern herrscht Wachstum und Zerstörung. Dazwischen existiert ein eigenartiger Überlebenswille, der von beidem zeugt: Gleichgültigkeit und der Angst, alles zu verlieren. 

Abseits des kryptisch definierten Ziels der Reise findet Claire Denis an Bord des Raumschiffs vor allem aber zerrissene Körper, gezeichnet von Narben und einem Schmerz, der beinahe älter ist als das Universum selbst. Die Wunden der Vergangenheit zerreißen nicht nur die Haut, sondern treten ebenfalls in Form von zerfetzten Erinnerungen zutage, die in ihrer körnigen Ästhetik die Erde als trostlosen, verkommenen Ort erscheinen lassen. Erst nach und nach formt High Life ein großes Bild, das Aufschluss über die verstörten Seelen gibt, die sich an Bord des Raumschiffs befinden und an sexuellen Anspannungen zu zerbrechen drohen. Claire Denis interessiert sich für so viel mehr als die üblichen Konflikte des Science-Fiction-Films, in dem sie sich erstmals und dennoch meisterhaft bewegt. High Life ist ein Gedicht, ein düsteres, mit einer beunruhigenden Vorstellung von Einsamkeit und der Schwärze des Alls, die im Bruchteil einer Sekunde nicht nur Menschen, sondern ganze Raumschiffe verschluckt.

Besonders faszinierend gestaltet sich dabei Claire Denis‘ Fokus auf das Pragmatische. High Life dokumentiert komplexe Vorgänge, ohne in einer überzeichneten Logik zu ersticken. Stattdessen dringt der eigenwillig ausgestattete Film direkt zum finsteren Herz der Expedition ins Ungewisse vor. Weltraumanzüge werden an- und ausgezogen, Logbücher geführt und nicht zuletzt die Hygiene beachtet. Die Gesetze dieser Welt im Grunde klar definiert. Trotzdem fordern sie von den Entdeckern einiges an Überwindungskraft und Disziplin, ehe der begrenzte Raum zur ultimativen Prüfung avanciert, da die Figuren den Versuchungen nicht länger widerstehen können und sich selbst vernichten. Wortwörtlich kippen Körper in High Life aus der Luftschleuse und gleiten im Anschluss verloren durch durch die eisige Leere, wenn sie sich nicht sogar bis zur Unkenntlichkeit verformen. Erst, als sich jegliches Anzeichen von Menschlichkeit von Bord verabschiedet zu haben scheint, bringt Monte mit wärmenden, sorgenden Gesten die Hoffnung zurück, dass diese Odyssee im Weltraum doch irgendwohin führt.

Bis an diesen Punkt zeugt High Life von einer rohen, fiebrigen Atmosphäre, die vielmehr einer Studie des Zerfalls als dem Hoffnungsschimmer am Horizont gleicht. Dennoch sind es nach all den zermürbenden Momenten, in denen misstrauische, fordernde und beängstigende Blicke vom goßen Unheil künden, die Schreie der ersten Minuten, die den Funken der Hoffnung entfachen, sodass er nicht einmal am einsamsten Ort des Universums vergessen werden kann. Dann konzentriert sich Claire Denis komplett auf ihre zutiefst poetischen wie berührenden Bilder und lässt ihre Figuren eins mit dem Weltraum werden, während die Dunkelheit und das Licht eine unwahrscheinliche Bindung eingehen. Plötzlich verschwimmt Robert Pattinsons vorsichtig illuminiertes Gesicht mit den Sternen und High Life wird zum Zeugnis der eingangs erwähnten Unendlichkeit. Nur wenige Bilder dürfte es dieses Jahr im Kino zu sehen geben, die das Wesen des Science-Fiction-Films so überwältigenden zusammenfassen.

High Life © Pandora Filmverleih