Schon Marc Forster wusste seinen extravaganten Quantum of Solace mit einer herausragenden Opern-Szene zu vergolden, wenn Daniel Craigs Berserker-Bond im Zuge des verblüffenden Te Deum-Stunts die Mitglieder einer finsteren Geheimorganisation auf den Bregenzer Festspielen entlarvt, ehe sich auf der Bühne der erste Akt von Tosca dem Ende neigt. Auch Christopher McQuarrie hat sich bei Mission: Impossible – Rogue Nation von den Möglichkeiten der Oper verführen lassen und diese noch explizierter zum Gegenstand seines Actionfilms gemacht. Während sich in Quantum of Solace die Opern-Sequenz schnell in assoziativen Bildern dem Rausch von Geschwindigkeit und Bewegung hingibt, verbringt Christopher McQuarrie deutlich mehr Zeit am Ort des Geschehens, führt diesen mit aufmerksamen Details und Beobachtungen ein und achtet dabei vor allem darauf, dass sich die Bilder stets zur Musik bewegen. Gespielt wird nämlich kein Geringeres als Giacomo Puccinis letztes Opernwerk, Turandot.
Während der vermeintlich abtrünnige IMF-Agent Ethan Hunt (Tom Cruise) im Wiener Opernhaus eine Spur verfolgt, demonstriert Christopher McQuarrie sein ganzes Können als Regisseur und Drehbuchautor. Jedes Element seiner Inszenierung spielt eine prägnante Rolle, sodass die Aufnahmen gleichermaßen virtuos wie elegant ineinander ineinander übergehen. Da wäre etwa die Oper als Schauplatz mit ihren theatralischen Möglichkeiten, die sich hervorragend auf die Handlung des Films übertragen, während Puccinis Kompositionen nervenaufreibende Schattenkämpfe begleiten, die für uns Zuschauer in schwindelerregenden Höhen stattfinden. Das Publikum im Film – sprich jenes, das sich im Opernhaus befindet und der Turandot-Aufführung folgt – ahnt derweil (noch) nichts von den tödlichen Entwicklungen hinter den Kulissen des prächtigen Bühnenbilds. Generell entwickelt Christopher McQuarrie ein unheimliches Gefühl für die Tiefe des Raums, der sich schließlich in ein Labyrinth verwandelt, das jenseits des Scheinwerferlichts entsteht.
In diesem Labyrinth offenbaren sich ebenfalls einige Kreuzungen und Begegnungen von Schicksalhafter Bedeutung. Ethan Hunt sieht sich plötzlich mit einer Vielzahl an Gegenspielern konfrontiert – auch mit der geheimnisvollen Ilsa Faust (Rebecca Ferguson), die sich als unberechenbare Chiffre in diesem Versteckspiel der unterdrückten Geräusche entpuppt. Trotz aller Fäuste, die aufeinandertreffen, und Gewehre, die in Position gebracht werden, ist Turandot auf der Bühne immer noch im vollen Gange. Der Beginn des dritten Akts mit der Arie Nessun dorma markiert jedoch nicht bloß für den Prinzen Kalaf eine Wandlung, sondern ebenfalls für Ethan Hunt und Isla Faust, die sich – begleitet von der gesanglichen Darbietung – zum ersten Mal in die Augen schauen, wenngleich sie sprichwörtlich von einem Graben voneinander getrennt werden. Erst im Lauf der folgenden Minuten schweißt Christopher McQuarrie die beiden dermaßen eng zusammen, dass sie sich eng umschlungen gemeinsam an einem Seil vom Dach des Opernhauses abseilen müssen, um den österreichischen Behörden zu entkommen.
Es ist eine faszinierende Beziehung, die sich zwischen den beiden entwickelt, stets von platonischen Motiven begleitet, oft aber auch im Ungewissen gelassen. Mit Nessun dorma erhalten sie dennoch eine unerwartete Verbindung, ein Theme sozusagen, das wie eine glückliche Fügung des Schicksals auf der diegetischen Ebene wirkt. Joe Kraemer, seines Zeichens für den Score von Rogue Nation verantwortlich, greift dieses Thema nachfolgend jedoch in seinen Kompositionen auf und verankert es somit ebenfalls auf der nicht-diegetischen Ebene als festen Bestandteil der Filmmusik. Wie die flüchtige Begegnung im Opernhaus den Rest des Films bestimmen soll, zieht sich Nessun dorma wie ein roter Faden durch die Geschichte und taucht in versteckter Variation in den Stücken Escape to Danger und A Matter of Going. Der wichtigste Augenblick ereignet sich jedoch erst in den finalen Minuten des Films, wenn sich Ethan Hunt und Isla Faust zum Abschied noch einmal in die Augen blicken. Unmittelbar gegenüberstehen sie sich, während der anfängliche Graben verschwunden ist und Finale and Curtain Call mit versöhnlicher Offenheit ein letztes Mal an Nessun dorma erinnert.
Mission: Impossible – Rogue Nation © Paramount Pictures
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