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Rules Don’t Apply – Kritik

Irgendwann wird er ganz wild, ganz aufgebracht und schnaubt wie eine tosende Bestie, der Mann am anderen Ende der Leitung, da er glaubt Howard Hughes wolle ihn zum Narren halten. Es geht um 400 Millionen Dollar und ein Treffen in persona. Doch der Unternehmer und Filmemacher will auf den zweiten Teil der Vereinbarung gar nicht erst eingehen. Ein Austausch im gleichen Raum könne unmöglich von größerem Nutzen sein. Der Wortwechsel am Telefon sollte sicherlich genügen, um die Angelegenheit zu regeln. Dann reißt allerdings der Geduldsfaden und das, was einst als Hörer der Kommunikationsapparatur fungierte, liegt in Trümmer zerschlagen auf dem Boden. Howard Hughes hingegen lehnt sich zurück, ein bisschen genervt, ein bisschen amüsiert. Gesehen hat ihn immer keiner der Herren, die ihn so dringend sprechen wollten. Howard Hughes ist ein Phantom, das sich stets im Dunkeln und jenseits der Regeln bewegt. Rules Don’t Apply heißt folgerichtig Warren Beattys jüngstes Werk, das er als Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent umgesetzt hat.

Dabei erweckt Rules Don’t Apply bereits in Anbetracht der Prämisse den Eindruck, sich Hollywoods aktuellen Regeln zu unterwerfen: In einer Ära forcierter Nostalgie offenbart sich das Los Angeles der 1950er Jahre geradezu als perfekter Handlungsort, um in Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit zu schwelgen. Doch ehe sich der Eindruck manifestiert, unterbricht Warren Beatty die Fantasie mindestens genauso ruppig wie Milliardär, den er verkörpert, seien Gesprächspartner. Zwar geht es anfangs noch um die naive Liebesgeschichte zwischen der jungen Schauspielerin Marla Mabrey (Lily Collins) und ihrem Chauffeur Frank Forbes (Alden Ehrenreich). Sobald aber ihr beider Arbeitgeber, Howard Hughes (Warren Beatty), das Bild betritt, verwandelt sich Rules Don’t Apply in ein merkwürdiges Ungetüm, das im gleichen Maße daran interessiert ist, Träume zerplatzen zu lassen wie sie zu befeuern. Ist der berühmt-berüchtigten Howard Hughes erst einmal aus dem Schatten getreten, fällt es schwer, ihn als das Genie wahrzunehmen, als das er beschrieben wurde. Trotzdem inspiriert er.

In dieser Hinsicht ist Rules Don’t Apply ein ständiger Kampf, ein ständiges Ringen – und es ist Warren Beatty hoch anzurechnen, dass er diesen unbequemen Weg eingeschlagen hat, anstelle sich im sicheren Hafen von Verehrung und Verklärung zurückzuziehen. Es sind der Respekt, die Begeisterung und die Faszination, die Warren Beatty für Howard Hughes und seine Person mitbringt, die Rules Don’t Apply die aufrichtige Auseinandersetzung mit den exzentrische Visionär ermöglichen, der in jeder Szene ein neues Rätsel darstellt. Zwischenzeitlich zweifeln auch Marla und Frank an der Zurechnungsfähigkeit ihres Arbeitgebers, der nicht nur durch sein gewöhnungsbedürftiges Verhalten auffällt, sondern ebenso durch seinen omnipräsenten Katalog an bizarren Vorschriften. So ist es Marla und Frank etwa per Vertrag verboten, sich ineinander zu verlieben. Dennoch betonen sie gegenseitig, dass sie ebenfalls von den Regeln nicht betroffen sind. Es scheint regelrecht paradox, wie eben noch im Minutentakt eine dieser Vorschriften nach der anderen erläutert wurde, ehe sie von allen Beteiligten gebrochen werden.

Rules Don’t Apply vereint all diese Widersprüche trotzdem in einem beachtlich stimmigen Rahmen, der sich Zeit zum Erzählen, Zeit zum Verlieren/Verlieben nimmt. Was auch immer Warren Beatty für einen Film im Kopf hatte – es dürfte mit Sicherheit alles anderes als eine massentaugliches wie zuschauerfreundliches Hollywood-Biopic gewesen sein. Und dieser Umstand ist dem Resultat in jeder Einstellung anzumerken. Hier geht es um eine ganz bestimmte Vorstellung der Dinge, wie sie möglicherweise gewesen waren – und ja, die zuvor erwähnte Nostalgie ist ebenfalls ein Teil davon. Allerdings handelt es sich hierbei um keine auf den Konsens reduzierte Vorstellung des Los Angeles der 1950er Jahre, sondern Warren Beattys persönlicher Vorstellung des Los Angeles der 1950er Jahre. Ein durchaus spannendes Unterfangen, das Rules Don’t Apply in eine ungewöhnliche Reise in die Vergangenheit verwandelt, erleben wir aktuell viel zu viele Filme, die sich in ihrer Sehnsucht bloß an der oberflächlichen Fassade von dem, was war, orientieren. Rules Don’t Apply ist überwiegend dagegen autonom.

Doch was bleibt am Ende eines Films, der so besessen auf Regeln und dem Brechen selbiger besteht, wie die Welt endlich Howard Hughes zu Gesicht bekommen möchte? Vermutlich lässt sich diese Frage selbst am Ende des gut zweiständigen Werkes kaum beantworten, da Warren Beatty zum Schluss lediglich die obligatorische Auflösung des Loops präsentiert, den er im Rahmen des vorausschauenden Prologs bereits angekündigt hat. Wenn sich Marla und Frank aber wirklich in den Armen liegen, wie es die große Hollywood-Romanze im Hintergrund ab dem ersten Blickwechsel vorgesehen hat, stellt sich eine ungeheure Ungewissheit darüber ein, wie sich die Zukunft der beiden im Hinblick auf die bereits geteilten Erlebnisse entwickeln wird. Rules Don’t Apply entwirft ein faszinierendes Gedankenspiel zwischen euphorischer Abhängigkeit und einschränkender Selbstverwirklichung. Ein Abgesang auf die Erfüllung von Träumen, der mit der Sicherheit endet, dass Träume viel zu leicht als Last enden und einen womöglich für immer gefangen halten. Dann ist es auch unmöglich, von Angesicht zu Angesicht miteinander zu reden.

Rules Don’t Apply © 20th Century Fox