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The Shallows – Kritik

Die Kinolandschaft wird von Sequel überflutet, die niemand sehen will. Exakt in dieser düsteren Stunde betritt Jaume Collet-Serra die Bühne und stellt jene Frage, die seit geraumer Zeit unausgesprochen im Raum steht: Was passiert, wenn Serena van der Woodsen dem Ur-Monster New Hollywoods trotzt? Herausgekommen ist dabei ein Hai-Film namens The Shallows mit Blake Lively in einer der zwei Hauptrollen.

Was kann ein Hai im Jahr 2016? Ungefähr alles, wenn man sich im (Heim-)Kino umblickt. Kämpft er nicht gerade gegen einen Riesenoktopus, nimmt er es für gewöhnlich mit dem Crocosaurus auf – und das vorzugsweise mit variierender Kopfanzahl oder gleich in Formation eines ganzen Tornados, der alles niedermäht, was ihm ihn den Weg kommt, bevor man sich überhaupt fragen kann, was da für ein Unsinn genau vonstattengeht. Es ist lange her, dass der Hai ein furchteinflößendes Untier war, das alleine durch das Zeigen seiner Rückenflosse ganze Strände in Panik versetzte. Mittlerweile sieht es aber so aus, als wäre das ehemals bedrohliche Filmmonster nur noch Steilvorlage für – im schlimmsten Fall – skurrile Trash-Produktionen und – im besten Fall – popkulturelle Referenzen, die sich alle vergeblich an einem großen Vorbild abarbeiten: Jaws. Definierte Steven Spielbergs Jahrhundertwerk fast im Alleingang die Ära des New Hollywood, ist es heute kaum vorstellbar, dass anno dazumal ausgerechnet ein Hai-Film einen derartigen Einschlag im Kino hinterlassen hat. Niemand nimmt ihn mehr ernst, den kaltblütigen Knorpelfisch, der einst eiserne Recken wie Roy Scheider, Robert Shaw und Richard Dreyfuss an den Rand des Wahnsinns trieb.

Auftritt: Jaume Collet-Serra. Der spanische Regisseur, der 2005 für sein Filmdebüt House of Wax noch mit verächtlichen Blicken gestraft wurde, hat sich unlängst einen Namen im internationalen Kino erarbeitet, den niemand mehr ignorieren kann. Zuletzt war es vor allem seine intensive Zusammenarbeit mit Liam Neeson, die sich von Unkown Identity über Non-Stop bis hin zu Run All Night erstreckt und Jaume Collet-Serra als aufregenden Ausreißer positionierte. Als einer der wenigen Regisseure hat er Liam Neesons Profil als neugeborener Action-Star in etwas zerbrechlich-tragisches verwandelt, das den redundanten Stumpfsinn der Taken-Filme um Längen übertrifft und auf einer narrativen wie inszenatorischen Ebene mitunter für atemberaubende Sequenzen sorgt – und das alles mit einer klaren Einfachheit, die trotzdem nicht vor Komplexität zurückschreckt. Dass Jaume Collet-Serra nun einen Hai-Film auf die große Leinwand bringt, der sich ganz reduziert dem Überlebenskampf einer jungen Frau gegen das Ungeheuer aus der Tiefe widmet, scheint in Anbetracht dieser Entwicklung geradezu logisch – und tatsächlich krönt The Shallows mit einer herausragenden Blake Lively in der Hauptrolle das bisherige Schaffen eines Regisseurs, der simple Idee noch ernst nehmen kann, ohne verkrampft zu wirken.

Um was es in The Shallows genau geht, ist zu keinem Zeitpunkt ein Geheimnis. Schon die ersten Minuten fassen das Folgende beinahe sprichwörtlich zusammen, indem ein kleiner Junge beim stürmischen Wetter am Strand seinen Fußball vor sich her kickt und dabei über eine GoPro-Kamera stolpert, die am Strand angespült wurde. Der Junge sieht sich die Aufnahmen im Schnelldurchlauf an – sieht Wellen, sieht Surfer, sieht Hai – und fertig. Wann, wo und vor allem wie viel Monster man im Film zeigen soll, gehört womöglich zu den streitbarsten Themen in diesem Genre. Jaume Collet-Serra und sein Drehbuchautor Anthony Jaswinski sind allerdings keine Freunde von Teasern des Offensichtlichen, sondern geben von Anfang an den Ton an – ein gesundes Selbstbewusstsein, das ehrt sie. The Shallows schämt sich keine Minute lang für seinen Ursprung als B-Movie zu besitzen. Stattdessen lebt Jaume Collet-Serra den überschaubaren Grundriss seines intensiven Kammerspiels auf flacher See passagenweise dermaßen hingebungsvoll aus, dass man ihm sogar die wenigen Over-the-top-Augenblicke vergibt, da sie sich im Kontext des erlebten Survival-Dramas wie ein notwendiger (sprich: zufriedenstellender) Freiheitsschlag anfühlen, der zusätzlich zum Leiden ein ungeahntes Becken an emotionalen Wellen offenbart, wie es jüngst auch im ergreifenden Finale von Run All Night der Fall war.

Manchmal sind sie richtig überlebensgroß, die Bilder, die Jaume Sollet-Serra dabei entwirft – und als größtes Glück von The Shallows überhaupt gestaltet sich der Umstand, dass dies stets gänzlich unverhofft passiert. Setzt sich der grobe Rahmen der Geschehnisse überwiegend aus konventionellen Bausteinen zusammen, verwandelt sich The Shallows in ein unerwartetes Kunstwerk, wenn es um Details geht. Jaume Collet-Serra, der alleine in einem Auto, das auf einem verregneten Flughafenparkplatz steht, mehr über seine Figuren und das Abenteuer, das diese gleich erleben werden, erzählen kann, beobachtet auch in The Shallows jede Regung der von Blake Lively verkörperten Nancy. Wie packt die Protagonistin ihren Rucksack? Was bewegt sie auf ihrem Handy? Und wie tritt sie mit dem Rest des Ensembles in Kontakt? Viel Routine, ein paar Spielereien und dennoch formt Jaume Collet-Serra aus all diesen Standardsituationen effektive Konfrontationen, die selbstredend auf mehreren Ebene funktionieren, ohne penetrant ausbuchstabiert zu werden.

Zum wahren Künstler wird Jaume Collet-Serra jedoch erst dann, wenn er sich völlig in der Wellenbewegung von The Shallows verliert und den Film einfach treiben lässt. Sorgte eben noch der Aufschlag von Körperteilen auf festem Gestein unter Wasser für unmittelbare Schmerzen, zaubert die nächste Sequenz nach hektisch geschnittenen Aufnahmen einen Moment absoluter Ruhe in der klaren Finsternis der See, bevor der nächste Zusammenstoß mit der Bestie erfolgt. Generell verlässt sich Jaume Collet-Serra auf die direkte Kollision entsprechender Kontraste: Die Poesie im Schmerz etwa, wenn der Fluchtweg durch ein Quellenmeer für den Bruchteil einer Sekunde die tödliche Kraft der Masse vergisst und stattdessen einen magischen Anblick der Unendlichkeit offenbart. Und inmitten dieses Gemäldes befindet sich Blake Lively mit ihrer unantastbaren Aura, als könnte sie genauso problemlos übers Wasser gehen wie schlicht darin versinken und nie wieder auftauchen. Es sind faszinierende Widersprüche, die The Shallows antreiben, doch Jaume Collet-Serra hat sie alle fest im Griff. Am Ende singt Sia Bird Set Free. Vermutlich hätte der Film nicht treffender enden können.

The Shallows © Sony Pictures