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The Shape of Water – Kritik

Elisa (Sally Hawkins) wohnt über einem Kino. Durch die Decke kann sie die Stimmen der Schauspielerinnen und Schauspieler vernehmen, die dort in großen Epen im glanzvollen Licht des ratternden Projektors erstrahlen. Von nebenan, aus der Wohnung ihres besten und Freundes Giles (Richard Jenkins), ertönt sogar die Stimme eines sprechenden Pferdes, das vom grausigen Geschehen der echten Welt ablenkt und im Fernsehen von einem schwarz-weißen Paradies erzählt. Nur ihre eigene Stimme – die versagt. Elisa ist stumm, kann nicht sprechen und gerät somit zur aussenstehenden Beobachterin, während vor ihren Augen unglaubliche Dinge passieren. Anfang der 1960er Jahre bezeugt sie nicht nur den Höhepunkt des Kalten Kriegs am eigenen Leib, sondern auch im Zuge ihrer Arbeit kommt sie mit den außergewöhnlichen Fantasien jener Zeit in Kontakt, die vom roten Telefon über unterirdische Geheimanlagen bis hin zu mysteriösen Kreaturen reichen.

Guillermo del Toro entführt mit The Shape of Water, der im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig seine Premiere feierte, in eine nostalgische Amerika-Kulisse, in der er stolz einen Cadillac vorfahren lässt, während andere Zeichen der Zeit in Form von Umbrüchen zum Ausdruck kommen. Sein Märchen bewegt sich stets auf der Schwelle der Fassbaren und lässt im Hintergrund Anzeichen einer alles verändernden Wende mitschwingen. Ein großer Durchbruch kündigt sich am Horizont an und dennoch verliert sich Guillermo del Toro, der gemeinsam mit Vanessa Taylor das Drehbuch schrieb, vorzugsweise in detaillierten Sets, die im Zuge einer verträumten Einführungen mit verblüffender Wirkung zur Geltung kommen. Irgendwie wirkt alles sehr vertraut. Trotzdem erschafft The Shape of Water eine Welt, die mit fantastischen Elementen spielt und filmische Räume zutage fördert, durch die man eine ganze Ewigkeit irren könnte, ohne sich verloren zu fühlen.

Bei all dem Design ist es jedoch Guillermo del Toros elegante wie zeitlose Erzählung, die am meisten beeindruckt und in einer ungeahnten Palette an Emotionen aufgeht. Bereits in seinen früheren Arbeiten demonstrierte der Regisseur auf sagenhafte Weise, wie er Geschichten auf mehreren, unerwarteten Ebenen ausbreiten kann, um ein Gefühl für die Größe des Gezeigten zu schaffen, ohne den Kern zu verfehlen. Vor allem Pan’s Labyrinth dürfte in dieser Hinsicht bis heute sein persönliches Meisterwerk sein, so gekonnt führt er Fantasy und Horror in einem Drama zusammen, das gleichermaßen Coming-of-Age-Film ist, wie es sich als Kommentar auf historischen und weltliche Konflikte lesen lässt. In dieser Hinsicht offenbart sich The Shape of Water wahrlich als ein Kind aus Guillermo del Toros Kopf. Dennoch entsagt der Film dem Eindruck der Wiederholung eines erfolgreichen Konzepts, sondern strahlt etwas Pures, etwas Rares, etwas Aufrichtiges aus.

Es ist die einfühlsame Aufbereitung der faszinierenden  Liebesgeschichten zwischen Monster und Mensch, die The Shape of Water Eigenständigkeit verleiht. Guillermo del Toros Handschrift ist in jeder Faser des Films zu erkennen, so sorgfältig und detailverliebt gestaltet sich die Inszenierung der Geschehnisse. Doch Guillermo del Toro ist nicht in der Zeit stehengeblieben, sondern hat sich zu einem unvergleichlichen Erzähler entwickelt, der genau weiß, was er will und wie er die Bilder für seine Vision auf die große Leinwand bringt. Mit dem Bewusstsein der Kinogeschichte im Hinterkopf – seien es epische Monumentalfilme, leichtfüßige Komödien oder gruselige Monsterfilme – und der Entschlossenheit, sich gegen die Konventionen zu stellen, schafft Guillermo del Toro einen der erstaunlichsten Filme des Kinojahres, der sich nicht fordernd an sein Publikum richtet, sondern es bedingungslos auf eine einmalige Reise mitnimmt.

Auf dieser Reise ereignet es sich, dass ein Amphibien-Wesen mit leuchtenden Augen ein geschältes Ei entgegen nimmt und sich zum Rhythmus der zeitgenössischen Jazz-Musik im Wasser bewegt. Später folgen eine vorsichtige Umarmung und ein schüchterner Kuss – ja, auch abgebissene Finger sowie der tragische Tod eines unschuldigen Haustiers gehören zum Teil dieser Reise, die nicht nur die Begrifflichkeit des (wahren) Monsters infrage stellt, sondern im gleichen Atemzug mit kräftigen Farben ein Gesellschaftsporträt zeichnet, das von keiner Fotografie besser getroffen hätte werden können. Guillermo del Toro besinnt sich auf das praktische Handwerk und findet Trost in vertrauter Erinnerung. Trotzdem stürmt The Shape of Water als fortschrittlicher Film ins Kino, der sich den Außenseitern verbunden fühlt und ihnen den Raum zur Entfaltung gewährt, wie er ihnen andernorts verwehrt bleibt. Eine universelle Kraft strömt durch diesen eindrucksvollen Liebesfilm. Es ist wunderschön.

The Shape of Water © 20th Century Fox