2015 eroberte Deniz Gamze Ergüven mit Mustang das Weltkino, nachdem ihr Regiedebüt im Rahmen der Directors’ Fortnight bei den Filmfestspielen von Cannes seine Premiere gefeiert hatte. Das eindringliche Drama wusste beispiellos mit Emotionen umzugehen, die sich den gesamten Film über anstauen und schließlich in einem packenden Finale auf überwältigende Weise entfesselt werden. Bereits vier Jahre vor diesem phänomenalen Debüt schrieb Deniz Gamze Ergüven das Drehbuch zu einem Drama, das sich mit den Unruhen in Los Angeles 1992 beschäftigt und ursprünglich ihr Einstand als Filmemacherin werden sollte. Nun reiht sich Kings als zweiter Film in ihre Vita und sprudelt voller Ambition. Ein so stimmiges Werk wie Mustang ist er jedoch nicht geworden, was womöglich auch auf die zugrundeliegende Thematik zurückzuführen ist.
Die Unruhen in Los Angeles sind zu Beginn von King nur bedingt zu erahnen, denn vorerst dominieren lichtdurchflutete Bilder, die der Metropole einen schwerelosen Glanz verleihen. Schon bei Mustang verstand sich Deniz Gamze Ergüven sehr gut darin, der Geschichte einen märchenhaften Anstrich zu verleihen, ehe die unendliche Tragik des Gezeigten Überhand gewann und zu rasenden Herzen führte. Kings folgt einem ähnlichen Muster und stolpert geradezu beiläufig in die Eskalation des Konflikts, der aus der Freisprechung jener vier Polizisten resultierte, die zuvor den Afroamerikaner Rodney King misshandelt haben. Ähnlich wie Kathryn Bigelows Detroit breitet sich das Chaos in Kings im Hintergrund aus und gewinnt an zerstörerischer Kraft, die erst dann mit (medialer) Aufmerksamkeit bedacht wird, wenn es schon zu spät ist.
Zeugin dieses Strudels an Unterdrückung und Gewalt wird Millie (Halle Berry), die uns als alleinerziehende und selbstlose Mutter vorgestellt wird. Um acht Kinder kümmert sie sich und zögert keine Sekunde, um noch ein weiteres von der Straße einzusammeln, ehe die Cops einen weiteren schmerzvollen Akt der Willkür verüben. Deniz Gamze Ergüven bringt somit schnell eine breite Palette an Figuren in Stellung, um in die verschiedenen Schichten des Konflikts einzudringen und seine Komplexität offenzulegen. Während aus dem Helikopter gefilmte Archivaufnahmen regelmäßig versuchen, einen Überblick über die Stadt und ihre Abgründe zu erlangen, verliert sich die Kamera auf dem sprichwörtlichen Boden der Tatsachen zunehmend in hektischen Auseinandersetzungen und kommt erschreckend dicht an den Gewaltausbruch heran.
Bald herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände und der südliche Teil von Los Angeles steht in Flammen. Ein apokalyptisches Labyrinth ohne Ausweg: In diesem düsteren Geschichtskapitel findet Deniz Gamze Ergüven nicht bloß Leid, sondern unerwartete Situationskomik. Wenn sich ein Burger King-Besitzer um Kopf und Kragen redet, damit die aufgebrachte Menge seinen Laden nicht anzündet, da in diesem Viertel ansonsten nie wieder ein Cheeseburger serviert werden könnte, bewegt sich Kings auf einem sehr schmalen Grat, was den Humor in Verbindung mit der tragischen Wahrheit der Situation angeht. Wo in Mustang eine Szene perfekt in die andere überging, erweckt Deniz Gamze Ergüvens Nachfolger den Eindruck, aus vielen einzelnen Splittern zusammengesetzt worden zu sein, sodass der Tonfall mitunter irritiert.
Die Dynamik, die sich zwischen Millie und ihrem Nachbarn Obie (Daniel Craig) entwickelt, sorgt für die meisten Ausreißer in einer Abfolge grotesker Ereignisse. Das mag auf einer abstrakten Ebene charmant sein, auf einer distanzierten womöglich sogar die Absurdität des Chaos zutage fördern. Am Ende vermag es Kings nicht, Widersprüche seines eigenen Tonfalls aufzulösen, selbst wenn Halle Berry in einer ihrer beeindruckenden Darbietungen der vergangenen Jahre alles daran setzt, um ihre Kinder – und damit die einzelnen Bestandteile dieses Films – sprichwörtlich einzusammeln und vor der drohenden Gefahr in Sicherheit zu bringen. Eine Niederlage ist Kings trotzdem nicht. Dafür interessiert sich Deniz Gamze Ergüven zu sehr für Ungerechtigkeit und ihre Entstehung. Das Feingefühl von Mustang erreicht Kings allerdings zu keinem Zeitpunkt.
Kings © Universal Pictures
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