Um in die Vergangenheit einzutauchen, müssen wir uns in Fabian oder Der Gang vor die Hunde zuerst unseren Weg durch den Strom der Gegenwart bahnen. Dominik Grafs Verfilmung des gleichnamigen Romans von Erich Kästner beginnt am U-Bahnhof Heidelberger Platz. Elektrische Lichter und digitale Bilder: Nichts, was sich hier in Bewegung befindet, kündet vom Berlin der frühen 1930er Jahre, den letzten Atemzügen der Weimarer Republik. Alt ist nur der Bahnhof selbst. Das Kreuzgewölbe wirkt, als würde es die gesamte Geschichte stemmen. Nicht nur die, die sich in den nachfolgenden drei Stunden vor unseren Augen entfaltet. Dieses Gewölbe trägt Geschichte seit über 100 Jahren. Wir sind am Grund angekommen.
Dominik Graf führt uns in einer der verblüffendsten Eröffnungsszenen des Kinojahres durch ein Zeitportal. Über die Treppe, die aus den U-Bahnhof führt, gelangen wir nach oben ans Licht und entdecken eine andere Welt. Selbst die Kamera hadert mit dem zeitgeschichtlichen Umbruch, der im Vorbeigehen passiert, und muss sich an die neuen Lichtverhältnisse anpassen. Die Stadt transformiert sich mit einem Wimpernschlag, reflexartig wie poetisch. Plötzlich steht der von Tom Schilling gespielte Fabian da, zündet sich eine Zigarette an und blickt der Ungewissheit seines Lebens entgegen. Er träumt, denkt und verzweifelt. Gerne wäre er ein Schriftsteller. Über Wasser hält er sich jedoch als Werbetexter. Er ist ein Zerrissener in dieser untergehenden Welt.
Politisch, wirtschaftlich und moralisch ist der Gang vor die Hunde in jeder Faser des Films zu spüren. Die Menschen klammern sich an etwas, das längst nicht mehr existiert, und können nur ahnen, was sie danach erwartet. Trotz der großen Melancholie, die Dominik Grafs erstem großen Kinofilm seit seinem 2014 erschienen Meisterwerk Die geliebten Schwestern bestimmt, dominiert anfangs der Exzess, die Flucht in die Nacht ohne Morgen. Im Gegensatz zu Grafs ausgelassener Inszenierung gleicht jeder Streifzug durchs Moka Efti in Babylon Berlin einem Spaziergang im Park. Die Bilder wirbeln wild durcheinander, werden vermischt mit dokumentarischem Material und dazu mit unerwarteter Härte zusammengeschnitten.
Fabian oder Der Gang vor die Hunde ist ein Film von bemerkenswerter Intensität, gerade in seinem ersten Drittel. Die Stimmung steigt, die Bilder platzen – und dennoch können sie nie dem strengen Seitenverhältnis 4:3 entkommen. Wir schauen tief in die verdorbene Seele eines glühenden Berlins. Graf hat ein raues Epos geschaffen, das sich dem Epochalem vehement entzieht. Denn das, was Graf am meisten interessiert, sind die intimen Momente, wenn Fabian stürzt, sich aufrappelt und wieder fällt. Und wenn Fabian Cornelia begegnet. Verbunden durch Blicke und die Sehnsucht nach einander: In dieser zerfallenden Stadt laufen sie durch die Nacht und nehmen jeden Irrweg in Kauf, um ein paar Minuten länger zusammenzubleiben.
Tom Schilling und Saskia Rosendahl sind absolut magnetisch. Sobald die beiden zusammen sind, wird Fabian oder Der Gang vor die Hunde von eindringlichen Gefühlen getrieben, von einem unstillbaren Hunger, aber auch von der Angst vor dem Ende. Die Angst davor, dass die Zeit bald abläuft. Dass sich die Beziehung entweder selbst zerstört oder von der Welt um sie herum zerstört wird. Überwältigende Sinnlichkeit erfüllt den Raum. Von der Nervosität, die in der Luft liegt, kann sie aber auch nicht ablenken. Unberechenbar springt das Filmkorn der Super-8-Aufnahmen. Ruhe geht nur vom elegant aufsteigenden Rauch der Zigaretten aus – und den Stimmen, die sich in Vergangenheit und Gegenwart überschneiden.
Beitragsbild: Fabian oder Der Gang vor die Hunde © Lupa Film/Hanno Lentz/DCM
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