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Andor – Kritik

Sechs Jahre nach dem Kinostart von Rogue One: A Star Wars Story kehrt Diego Luna als Cassian Andor in die weit entfernte Galaxis zurück. In die Machenschaften der Rebellion ist er zu Beginn seiner eigenen Star Wars-Serie noch verwickelt. Stattdessen folgen wir in den ersten Minuten von Andor einer Silhouette, die sich durch die Dunkelheit bewegt, während der strömende Regen ihre Fußspuren verwischt. Heimlich und ungewiss: Schließlich werden die spärlich gesäten Laternen von kalten, bläulichen Neonlichtern abgelöst, als hätte sich Cassian auf der Suche nach seiner verschollenen Schwester in die Cyberpunk-Welt von Blade Runner verirrt. Fündig wird er allerdings nicht.

Auch die Schwester hat ihre Spuren verwischt. Niemand verrät hier seinen echten Namen. Morlana One ist ein düsterer Ort. „It’s a company town“, lautet die Erklärung für die gedrückte Stimmung. Preox-Morlana heißt das Unternehmen, das den Sektor kontrolliert und gleichzeitig dem Imperium Bericht erstattet. Der Regen verwischt nicht nur die Spuren, sondern auch die Grenzen zwischen dem Individuum und einer Zugehörigkeit zu einem größeren Komplex, der sich aus strengen Hierarchien zusammensetzt. Für Cassian gibt es kein Entkommen aus dieser Trostlosigkeit. Ein Handgemenge eskaliert und selbst der Regen kann das vergossene Blut nicht wegschwemmen.

Die Parallele zu Cassians Einführung in Rogue One ist offensichtlich. In Gareth Edwards Star Wars-Film von 2016 greift der Rebellen-Captain zur Waffe, um sich einer Quelle zu entledigen, die zur potentiellen Gefahr geworden ist. Tony Gilroy, Serienschöpfer und Showrunner von Andor, greift den drastischen Moment auf, variiert jedoch Motivation und Hintergrund. Von dem Cassian, der bewusst tötet, um die Mission der Rebellion voranzubringen, ist Lunas Figur fünf Jahre vor der Zerstörung des Todessterns weit entfernt. Er ist Flüchtender und Entführter zugleich. Jeder Aufbruch – und wir erleben in Andor gleich mehrere davon – teilt sich diese zerreißende Eigenschaft.

Auf dem vom Imperium ausgebeuteten Waldplaneten Kenari kann er nach einem tragischen Zwischenfall nicht bleiben. Das Imperium hat seine Welt ausgehöhlt und ein großes Loch hinterlassen, in das der junge Kassa blickt, ehe er unfreiwillig zum Teil der Andor-Familie wird und sich zwischen Schrotthaufen auf dem kargen Planeten Ferrix durchschlägt. Die Überreste des alten Krieges säumen die neue Heimat, die von mächtigen Glockenschlägen zusammengehalten wird. Selbst die labyrinthischen Häuserschluchten Coruscants würden sie zum Beben bringen. Obwohl Andor heimlich und leise in den Schatten beginnt, wird die Serie immer lauter und größer.

Gilroy lässt eine bisher unerkannte Welt voller Grauschattierungen durch Figuren, Orte und deren Geschichte entstehen. Keine wahllosen Bilder, sondern ein überlegter Blick in die Milieus des Star Wars-Universums: Andor wartet mit präzisen Beobachtungen auf, die uns ein Gespür für den Zustand der Galaxis geben und bereits nach drei Episoden mit einem unglaublich mitreißenden Moment aufwarten, in dem alle zuvor etablierten Handlungsstränge meisterhaft zusammengeführt werden. Mitunter fühlt es sich an, als würde Gilroy langsam den Vorhang seines Star Wars-Stücks aufziehen, bis das komplette Ausmaß der Bühne zum Vorschein kommt und ein überwältigendes Panorama offenbart.

Andor ist eine Serie, die durch Unternehmensstrukturen und Machtgefälle erzählt wird. Ausbeutung und Unterdrückung sind der Motor des faschistischen Regimes, das die Galaxis bestimmt und dafür sorgt, dass der Graben zwischen der Arbeiterklasse auf Ferrix und den Mächtigen von Coruscant noch größer wird als das Loch, das in Cassians Heimat, Kenari, gerissen wurde. Kalte Wohnungen, Grenzen und Sicherheitszonen: Andor ist zutiefst politisch. In jeder Szenen erleben wir den Gebrauch und Missbrauch von Macht in unterschiedlichen Abstufungen, genauso wie daraus resultierende Übergriffe und Versagen. Die Konsequenzen sind auf allen Ebenen der Serie zu spüren.

Vom täglichen Überlebenskampf auf Ferrix über die fragwürdige Arbeitsmoral von Preox-Morlana bis hin zum intriganten Spiel, das in den kühlen Räumen des Imperiums ausgetragen wird: Gilroy reiht nicht bloß einen Abgrund an den anderen, sondern findet für jeden Konflikt eine ambivalente Figur, die den erdrückenden Strukturen etwas Zerbrechliches gegenüberstellt. Die bisher spannendste Figur in dieser Hinsicht ist der von Kyle Soller verkörperte Syril Karn, der dazu aufgefordert wird, den einleitenden Mord unter den Tisch zu kehren. Preox-Morlana will vor dem Imperium mit guten Zahlen glänzen, doch der ehrgeizige wie fehlgeleitete Karn nimmt die Sache selbst in die Hand.

Er ist ein Arbeiter, der die Chance ergreift, sich gegenüber allen jenen zu beweisen, die ihn für seine Ambition belächeln. Karn glaubt an die Sache des Imperiums und will Ordnung in die Galaxis bringen. Am Ende steht er jedoch vor einem gewaltigen Scherbenhaufen, den er selbst zu verantworten hat. Fassungslosigkeit und Verzweiflung pulsieren in seinen Augen, wenn er mit dem Versagen konfrontiert wird, das eigentlich seinen längst überfälligen und höchst verdienten Karriereaufstieg markieren sollte. Statt Ordnung hat er Angst, Gewalt und Tod gebracht. Seine Sehnsucht nach Anerkennung führt zur Zerstörung einer Gemeinschaft, die ihm keine Uniform gewähren kann.

In vielerlei Hinsicht tritt er als Cassians düsteres Spiegelbild in Erscheinung, nicht zuletzt wartet Andor in beiden Fällen mit einer streitbaren Mutterfigur auf – ganz zu schweigen von Mon Mothma, bei der die beiden Seiten der Serie zusammenlaufen. Bevor Genevieve O’Reilly zur Mutter der Rebellion wurde, saß sie im Imperialen Senat und spielte eine gefährliche Doppelrolle. Cassians Ende mag durch Rogue One bereits feststehen, doch Andor verwandelt sich von Minute zu Minute in ein Star Wars-Abenteuer voller Ungewissheit, das perfekt von Nicholas Britells zitternder, einnehmender Musik untermalt wird. „Gets to you, doesn’t it? That’s what a reckoning sounds like.“

Beitragsbild: Andor © Disney/Lucasfilm