Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

BNSF – Kritik

Von all den sorgfältigen Beobachtungen, die James Benning im Lauf seiner Karriere im Kino festgehalten hat, ist BNSF eine der radikalsten. Der gesamte Film besteht aus nur einer Einstellung. Drei Stunden und 13 Minuten lang beobachten wir denselben Abschnitt in der Wüste Amerikas. Das Wehen des Windes dominiert die Tonspur, doch plötzlich kündigen kreischende Geräusche die Ankunft eines Ungetüms an, das sich durch die Tiefe des Bildes schlängelt. Es kommt und verschwindet. Was bleibt, ist die Landschaft – auch dann, wenn das Licht verschwunden und die Sonne untergegangen ist.

Das Bild, das uns James Benning in BNSF zeigt, wirkt auf den ersten Blick recht unscheinbar. Es ist deutlich in zwei Hälften unterteilt, den Himmel und die Erde, während eine Bergkette am Horizont den Übergang markiert. Zacken wie bei einem Reisverschluss, der eine Welt in die andere übergehen lässt und miteinander verbindet. Eingefangen im Seitenverhältnis 2.39:1 entsteht ein unglaubliches Gefühl für die Weite dieser kargen Umgebung, die etwas Friedliches und Beruhigendes ausstrahlt. Benning filmt allerdings kein unentdecktes Land, sondern eines, das längst erobert wurde.

Ein Zwiespalt: Auf der einen Seite scheint hier vieles möglich, auf der anderen Seite wurden die Möglichkeiten bereits ausgeschöpft. Die Grenzen sind abgesteckt, aber die Tiefe noch nicht erforscht. Erst ein einfahrender BNSF-Güterzug offenbart die verschiedenen Ebenen, die Benning mit nur einer Einstellung einfängt, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Es braucht den metallenen Fremdkörper auf Rädern, der die verborgenen Winkel entdeckt. Eine große Kurve, danach eine Gerade in der Distanz: Wäre da nicht das Quietschen auf den Schienen, könnten diese Güterzüge auch Schlangen sein.

Gefährlich und verführerisch: Der Blick in die Tiefe lässt uns träumen, aber ebenso vor Ehrfurcht zittern. Obwohl wir alles sehen, was sich von links und rechts ins Bild bewegt, werden einzelne Teile der kriechenden Züge immer wieder vom Bild verschluckt, ehe sie unerwartet an einer anderen Stelle wieder auftauchen, an der gar kein Schienennetz ausfindig gemacht werden kann. Was für uns Zuschauende eine Entdeckung ist, nehmen die Maschinenschlangen mit routinierter Gleichgültigkeit hin. Dennoch besitzt jede der mächtigen Lokomotiven ihren eigenen Charakter und ihre eigene Fracht.

Mitunter türmen sich mehrere Container übereinander auf den unzähligen Wagons, die wie eine künstliche Wand durchs Bild gezogen werden, zusätzliche zur Bergkette im Hintergrund und den Telefonmasten im Vordergrund. Eine ungeheure Masse befindet sich in Bewegung. Sie ist unaufhaltsam und könnte trotzdem jeden Augenblick einfach stehenbleiben. Hier erleben wir eine rasend schnelle Welt in mikroskopischer Langsamkeit. Und eine Welt, die von den Güterzügen gleichermaßen unterbrochen wie verbunden wird. Diese Widersprüche sind maßgeblich für die hypnotisierende Sogkraft von BNSF verantwortlich.

Mit jedem Zug, der die Landschaft durchkreuzt, wird das Geschehen in der statischen Einstellung durcheinandergewirbelt, ehe wieder die vorherige Ruhe einkehrt, die diesem einsamen Ort in der Wüste etwas Geheimnisvolles verleiht. Am größten ist die Anspannung, wenn das Bild noch still ist, aber die Tonspur bereits von der nächsten Wagenreihe kündet, die uns die Sicht versperrt. Auch hier verbirgt sich aber etwas Geheimnisvolles, denn je mehr Züge in das Bild eindringen, desto mehr stellt sich die Frage, was sie Dringliches in den etwas mehr als drei Stunden transportieren.

James Benning gibt darauf keine Antwort. Der Kontext ergibt sich in seinen Filmen aus der Komposition. Die Bewegung der Züge und die Landschaft, die sich im Licht verändert, prägen die Ereignissen in BNSF, der sich nicht zuletzt als eine spannende Studie über die vergehende Zeit erweist. Je nachdem, aus welcher Perspektive man auf den Film blickt, passiert überraschend wenig oder überraschend viel. Umso beeindruckender ist es, dass Benning schlicht in Echtzeit filmt, bis er sich dazu entscheidet, die Aufnahme zu beenden, weil die Dunkelheit im Bild Einzug erhält und alles verwischt.

Beitragsbild: BNSF © James Benning