Das Apokalyptische deutete sich schon immer in den Harry Potter-Filmen an, insbesondere seit den schicksalhaften Ereignissen des vierten Schuljahrs. Die Rückkehr des Dunklen Lords markiert einen niederschmetternden, tragischen Wendepunkt der Reihe, genauso wie der Auftakt des in zwei Hälften geteilten Finales. Nach dem Tod von Dumbledore (Michael Gambon) wagt sich Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1 nicht mehr zurück nach Hogwarts. Wie sich die Lage dort im Hinblick auf die jüngsten Ereignisse entwickelt, ist nur durch den von Todessern gestoppten Hogwarts-Express und beiläufig eingestreute Hinweise zu erahnen. Jener Ort, der zum Sinnbild für ein Zuhause, für Freundschaft und Familie geworden ist, verschwindet im Jenseits der Geschichte, die den Anfang vom Ende erzählt. Während der Übergang im Buch deutlich flüssiger ist, ergibt sich in der Verfilmung eine besondere, eine ungewohnte Dynamik. Kein einziges Harry Potter-Abenteuer ist so kalt wie die Suche nach den Heiligtümern des Todes, die mit ihrer endzeitlichen Atmosphäre für ein überwältigendes Gefühl von Hoffnungslosigkeit sorgt und die einst so magische Zaubererwelt in einen trostlosen Ort von Verrat und Enttäuschung verwandelt. Dennoch ist Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1 ist einer der erstaunlichsten Teile.
Erstaunlich deswegen, weil sich David Yates mit seiner zweiten Rückkehr als Regisseur radikal von den vertrauten Harry Potter-Orten entfernt und in eine weite Welt entführt, in der die Gefahr hinter jeder Ecke lauert. Der Aufbruch ist kein leichter. Im Gegenteil: Selbst nach erschütternden Einstiegen der Vorgänger gestaltet sich wohl keine Sequenz so schmerzhaft wie die Abschiede zu Beginn von Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1. Allein Harrys (Daniel Radcliffe) letzter Blick in den Schrank unter der Treppe offenbart eine Gefühlswelt, die sich nicht in Worte fassen lässt. Das leere Wohnzimmer der Dursleys besiegelt schließlich den unheilvollen Verdacht, dass die Situation außer Kontrolle geraten ist. Eine ultimative Bedrohlichkeit breitet sich mit dem schleichenden Tönen von Alexandre Desplats Filmmusik aus. Das klassische Harry Potter-Thema ist nur noch verschlüsselt in der anschwellende Bewegung der Streicher zu entdecken, die mit der Erinnerung ins Gericht ziehen. „Obliviate“, flüstert Hermine (Emma Watson), das womöglich größte Opfer mit einer nahezu unscheinbaren Geste erbringend. Das Vergessen als schützende Kraft in einer Welt, die nicht vergessen darf, wenn sie weiter bestehen will. Gefühlvoll wie meisterlich balanciert dieser Film auf unvereinbaren Gegensätzen.
Die Magie ermöglicht die Gratwanderung. David Yates, der bereits im Rahmen von Harry Potter and the Order of the Phoenix und Harry Potter and the Half-Blood Prince ungemein daran interessiert war, filmische Formen für Zauberei und Hexerei zu finden, wird auch auf der Zielgeraden nicht müde, den Harry Potter-Kosmos mit fantastischen Bildern auszubauen. Noch einmal zieht es ihn im Flug durch das nächtliche London, ehe er Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1 in ein unheimlich spannendes Heist-Movie verwandelt. Mittels Vielsafttrank infiltrieren Harry, Hermine und Ron (Rupert Grint) das Zaubereiministerium, das sich inzwischen unter der Kontrolle des verlängerten Arms von Lord Voldemort (Ralph Fiennes) befindet. Vertauschte Identitäten geraten in einem Wettlauf gegen die Zeit aneinander, während die Magie gleichermaßen als verbündete wie feindliche Kraft auftritt. In diesem unterirdischen Labyrinth verhandelt Drehbuchautor Steve Kloves geschickt die politischen und gesellschaftlichen Facetten dieser Geschichte, die sich danach noch mehrmals verformen soll. Zum Heist- gesellt sich bald auch ein Road-Movie, ganz zu schweigen von einer fabelhaft animierten Passage, die das Märchen von den drei Brüdern auf der Leinwand zum Leben erweckt.
Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1 ist ein Film, der sich nie erschöpft, sondern in seinen Themen und Motiven stets eine neue Idee entdeckt. Hier wird ein Hochzeitsfest gefeiert, das den düsteren Wolken am Himmel trotzt und eine Normalität am Vorabend des Weltuntergangs herstellt, wie sie ausgehend von der Eröffnungssequenz kaum vorstellbar ist. Später spendet die weihnachtliche Stimmung auf dem Friedhof von Godric’s Hollow unerwarteten Trost, wenngleich kurz darauf ein nervenaufreibender Kampf ins verborgne Herz der Harry Potter-Mythologie führt. Sprichwörtlich bricht der Film noch einmal in Harrys Kindheit ein und verlagert die kämpferische Auseinandersetzung vom unheimlichen Dunkel ins strahlende Hell eines Kinderzimmers, während der Zweifel an Dumbledores Worten und Taten wächst. Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1 stellt seine Figuren auf die Probe, entfremdet sie so sehr voneinander, wie es kein Film zuvor getan hat. Nach all den Verlusten der Vergangenheit regiert vernichtende Orientierungslosigkeit, die sich wie ein Schwert des Misstrauens durch die Gemüter bohrt, schlussendlich aber aus dem verzweifelten Gefühl von Hilflosigkeit resultiert. Alleingelassen von seinem wichtigsten Mentor irrt Harry durch ein großes Loch, einen tiefen Graben, durch unendliche Leere.
„O Children. Forgive us now for what we’ve done.“ In der hoffnungslosesten Stunde beschwört Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1 den zerbrechlichsten, den kostbarsten Moment der gesamten Reihe. Harry und Hermine tanzen schüchtern zum Gesang von Nick Cave, der vorsichtig aus dem Radio tönt, wo zuvor nur Meldungen von Angst und Schrecken zu vernehmen waren. Eine Bewegung, eine Drehung am Ende aller Tage: Mit der puren Magie des Kinos schafft David Yates diesen unendlichen Augenblick, in dem gleich mehrere Welten kollidieren und aus den Kinderaugen die von Erwachsenen werden. Schließlich findet die Musik ihren Weg aus dem Film heraus, sprengt den Rahmen und umarmt die bewegten Bilder mit bedingungsloser Wärme und Liebe, die sich selbst im Angesicht größter Unsicherheit nicht von der zerstörerischen Macht eines Horkruxes beirren lässt. Leise findet der Protest gegen die Dunkelheit statt, bevor Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1 in seinen finalen Minuten etwas unheimlich Rohes, aber ebenso Versöhnliches entdeckt. Nasser Sand und ein Begräbnis ohne Magie vereinen sich mit den unvoreingenommen Klängen einer Flöte, die behutsam wie die ersten Sonnenstrahlen am Morgen von Hoffnung und Zuversicht kündet. Nicht einmal der Tod kann diesen Funken zum Erlöschen bringen. „Rejoice, rejoice.“
Harry Potter and the Deathly Hallows © Warner Bros.
Gib den ersten Kommentar ab