Der erste Zauber in Harry Potter and the Philosopher’s Stone lässt das Licht verschwinden, ausgerechnet an jenem Ort, an dem die bewegten Bilder erst durch das Licht zum Leben erwachen. Im Schatten verwandeln sich dann die Gestalten, ehe sich in der Stille der Nacht gleichermaßen Schmerz, Trauer und Erlösung entladen. Bevor der Junge mit der blitzförmigen Narbe zum ersten Mal auf der Leinwand die Augen öffnet, stellt uns der erste Harry Potter-Film einen kleinen Kreis eingeschworener Figuren vor, die das letzte Geheimnis, das letzte Überbleibsel eines verheerenden Krieges in ein sicheres Versteck bringen, das den Konflikten der Zaubererwelt nicht ferner sein könnte. Wenngleich der junge Harry (Daniel Radcliffe) später unter der strengen wie lieblosen Erziehung seiner Verwandten im Ligusterweg leidet, erzählt die Musik von John Williams bereits in diesem ungewissen Prolog von der Wärme und Geborgenheit, die er später erfahren soll, sobald sich die Tore von Hogwarts öffnen.
Bis es so weit ist, verweilt Regisseur Chris Columbus mit seiner Kamera noch eine Weile in der Muggel-Welt und entdeckt das Magische erst nach und nach, in kleinen Schritten, ganz vorsichtig, als könne er ein Detail aus J.K. Rowlings Buchvorlage übersehen. Tatsächlich gestaltet sich Harry Potter and the Philosopher’s Stone als eine der werkgetreusten Umsetzungen unter den Harry Potter-Filmen, die jedoch auf die Distanz – und vor allem im Hinblick auf spätere Verfilmungen – eine eigene Interpretation des Stoffes vermissen lässt. Verblüffend ist es dennoch, wenn sich ein unscheinbarer Hinterhof als Tor in eine magische Welt offenbart, bevor die Kamera mit den Figuren durch Steinwände flitzt und schließlich ehrfurchtsvoll den Booten folgt, die Harry, Hermine (Emma Watson) und Ron (Rupert Grint) nach Hogwarts bringen. Das Blau und das Schwarz sind in diesem Augenblick absolut überwältigend, ebenso die kleinen Lichter, die aus der Dunkelheit hervorstechen und schließlich das Zauberschloss in seiner gesamten Pracht preisgeben.
Obgleich Chris Columbus’ Inszenierung aufgrund der vielen statischen Einstellungen mutlose, mitunter sogar umgelenkt erscheinen mag, braucht es vielleicht gerade in diesem ersten Kapitel eine ruhige Hand, die selbstbewusst durch die filmischen Räume dieses fantastischen Ortes führt, schließlich befindet sich dieser stets in Bewegung, unberechenbar in seiner Verhaltensweise. Treppen, die plötzlich die Richtung wechseln, und Falltüren, die ein unterirdisches Schachbrett verstecken: Harry Potter and the Philosopher’s Stone besitzt zahlreiche Momente zum Staunen, die auch nach all den Jahren nichts von ihrer – sprichwörtlichen – Magie verloren haben. So groß und plakativ die einzelnen Motive wirken, so aufrichtig werden sie in Szene gesetzt, denn der Film vergisst nie, seine dunklen Wälder und verbotenen Gänge durch die Augen seines jungen Protagonisten zu beobachten, in dem sich alle Unschuld und alles Leid dieser Welt vereinen. Am faszinierendsten ist jedoch, dass Harry von all dem nichts weiß, wodurch er zur idealen Identifikationsfigur avanciert.
Betrachtet man Harry Potter and the Philosopher’s Stone aus der Perspektive einer ersten Begegnung kann der Film gar nicht wuchtig genug sein, denn so entstehen die ikonischen, unvergesslichen Bilder, die später von den unterschiedlichsten Regisseuren auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden sollten. Rückblickend begeistern insbesondere die sehr konkreten Vorstellungen, die Chris Columbus mit seinem Harry Potter-Einstand mitgebracht hat, um J.K. Rowlings Geschichte in eine Form zu bringen, die selbst im Angesicht der nachfolgenden Welle an Fantasy-/Young Adult-Filmen der Zeit standhalten konnte. Ein veralteter CGI-Effekt trübt das Abenteuer keineswegs, denn der Schlüssel liegt – wie bei allen unsterblichen Effekten – im bewussten, sorgsamen Einsatz verborgen, der sich im Klaren ist, über alle die verschiedenen Ebenen, die im Film zusammenkommen. Stimmig greifen die vielen einzelnen Bestandteile in Harry Potter and the Philosopher’s Stone ineinander, was den Zweifel am Magischem unmöglich macht.
Der größte Magier dieses Film ist allerdings weder Regisseur Chris Columbus noch ein Mitglied des fabelhaften Ensembles, das wirklich bis in die kleinste Nebenrolle perfekt besetzt ist. Nein, der größte Magier dieses Film ist John Williams, der selbst nach mehreren Dekaden als einer der gefragtesten Komponisten Hollywoods beweist, dass er noch lange nicht erschöpft und müde ist, geschweige denn aufgehört hat, zu träumen. Seine Filmmusik ist es, die nicht nur Harry Potter and the Philosopher’s Stone, sondern mit ihren Themen und Motiven die gesamte Filmreihe zusammenhält. Zuerst sind da die leisen, geheimnisvollen, fast unscheinbaren Töne einer Celesta, die von aufwirbelnden Streichern abgelöst werden, ehe ein klassisches Orchester in seiner unendlich vielseitigen Schönheit Harry’s Wondrous World zum Leben erweckt. Plötzlich flattern unzählige Briefe durch den Raum und unterstreichen die Ekstase des Fantastischen, das sich in der Musik aufbaut. Nicht einmal ein davor gebohrtes Brett kann dem Briefschlitz versiegeln, der diese Welt für immer im Verborgene halten sollte.
Harry Potter and the Philosopher’s Stone © Warner Bros.
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