Ein junge Frau (Jessie Buckley) befindet sich zusammen mit ihrem Freund (Jesse Plemons) auf dem Weg zu seinen Eltern. In einem kleinen Auto fahren sie durch verschneite Landschaften. Ob sie noch schnell einen Happen essen will? Die Frage scheint gleichermaßen fürsorglich wie verdächtig, als wäre es die letzte Möglichkeit, dies vor dem Ende aller Dinge zu tun. Die Lichter der Stadt sind in Charlie Kaufmans neuem Film schnell verschwunden. Immer tiefer wagt sich I’m Thinking of Ending Things in ein unheimliches Schneegestöber hinein, während die Sonne langsam untergeht und nichts als die eisige Kälte einer gespenstischen Märchenlandschaft ohne Morgen zurücklässt.
Lange beobachtet die Kamera die zwei Figuren, wie sie in dem Auto sitzen und scheinbar stetig geradeaus fahren. Doch in Wahrheit schlängeln sie sich bereits seit einigen Kilometern durch die Gänge eines unbehagliches Labyrinths, aus dem es keinen Ausweg gibt. Nur tiefer hinein führt der Weg, sodass jeglicher Kontakt zur Außenwelt (und damit auch jeglicher Berührungspunkt mit der Realität) verlorengeht. Viele Minuten nimmt sich Charlie Kaufman für diese Reise ins Ungewisse Zeit, bis die völlig verfremdete Welt, die er uns danach präsentiert, gar nicht mehr so unwahrscheinlich wirkt. Irgendetwas stimmt nicht, aber man kann nicht in Worte fassen, was es genau ist.
Der Empfang bei den Eltern verläuft alles andere als warmherzig. Es brennt kein Feuer im Kamin, das die Geborgenheit von Heimat verspricht. Trotzdem fühlt sich die junge Frau in dieser ihr unbekannten Umgebung an ihre eigene Kindheit erinnert. Es ist ein Ort, der erst nur sehr grau und schemenhaft zum Vorschein kommt, als hätte ihn seit Jahren niemand besucht. Das Leben ist aus den Räumen verschwunden – und dennoch sitzen später vier Menschen am reich gedeckten Tisch, während der Schein der Lampen Wärme in das mit detailverliebten Tapeten verzierte Haus bringt. Diese vermeintliche Gemütlichkeit wird allerdings von zerrissenen Dialogen und Kontinuitätsbrüchen gestört.
Charlie Kaufman entwirft seinen Film als unbehagliches Rätsel, das den Zuschauer ab einem gewissen Punkt sämtliche der vonstattengehenden Ereignisse infrage stellen lässt. Je tiefer wir in das Labyrinth von I’m Thinking of Ending Things eindringen, desto rätselhafter wird der Film mit all seinen Sprüngen, die verschiedene Perspektiven und Zeitebenen offenbaren. Schon bald wechseln die Namen und Eigenschaften der Figuren, während Charlie Kaufman ihre inneren Konflikte durch ein dichtes Geflecht an popkulturellen Referenzen aufschlüsselt. I’m Thinking of Ending Things bewegt sich somit stets auf einer sehr intimen, aber auch einer großen, übergeordneten Ebene.
Mal ist es Filmkritikerin Pauline Kael, die durch die Figuren zu uns spricht, mal der Bösewicht aus dem Musical Oklahoma!, der zu den Melodien von Richard Rodgers seinen verborgenen Sehnsüchten Ausdruck verleiht. Trotz dieser vielen Blickwinkel entdeckt I’m Thinking of Ending Things vor allem eine schauerhafte Einsamkeit, besonders dann, wenn sich der Film in seiner zweiten Hälfte durch einen Schneesturm in der Nacht wühlt und endgültig den Pfad der Konventionen verlässt. Nicht einmal die Schneeketten können das Auto auf der Straße halten, die eigentlich nach Hause führt. Stattdessen mündet der Film an surrealen Orten, die zum Ausdruck einer verdrängten Vergangenheit werden.
Charlie Kaufman, der hier einen Roman von Ian Reid verfilmt und die kreativen Freiheiten einer prestigeträchtigen Netflix-Produktion sichtlich ausreizt, verzichtet in diesen letzten Atemzügen seines herausragenden Films auf die einnehmenden Dialoge, die er zuvor gebannt verfolgte. Stattdessen schildert ein Traumballett, ebenfalls in Anlehnung an Oklahoma!, all die Dinge, die von den Figuren nicht in Worte gefasst werden können. Bewegungen von überwältigender Leichtigkeit werden gleichzeitig zum Zeugnis von Schmerz und Zerstörung. Selbst in der Fantasie, in die sich der Mensch flüchtet, kann er dem düsteren Schatten nicht entkommen, der ihn verfolgt.
I’m Thinking of Ending Things © Netflix
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