Netflix hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder als Mekka all jener erwiesen, die sich nicht von ihren Erinnerungen trennen wollen. Abgesetzte und beendete Serien kehren in Form von Revivals zurück und spätestens seit Stranger Things hat die momentane Nostalgie-Welle ihre ultimative Ausformulierung gefunden. Bei all diesem Fan-Service, den Netflix betreibt, ist die Wiedervereinigung von Robert Redford und Jane Fonda aber zweifelsohne die erstaunlichste. Wer hätte je gedacht, das sich das einstige Traumpaar aus Barefoot in the Park und The Electric Horseman ausgerechnet unter dem Dach eines Streaminganbieters nach fast vier Dekade wieder zusammenfindet – und dann auch noch vor der Kamera eines aufstrebenden indischen Regisseurs, der vor vier Jahren bereits in Cannes gastierte. Fluch und Segen der Netflix-Filme dürften unlängst geläufig sein. Trotzdem dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Our Souls at Night seinen Weg zu uns gefunden hat.
Angesiedelt in einer beschaulichen Kleinstadt in Colorado stellt Regisseur Ritesh Batra gleich zu Beginn fest, dass seine Geschichte eine des Alterns ist, eine in das letzte Kapitel des Lebens angefangen hat und dementsprechend die Welt einfach geworden ist. Einfach deshalb, weil sehr viel Routine existiert und nur wenige überraschende Ereignisse eintreffen, die das Idyll der Landschaft auf den Kopf stellen könnten. Genauso seelenruhig und erhaben wie die großen Berge im Hintergrund geht Louis Walter (Robert Redford) seinem täglichen Rhythmus nach, sorgfältig und wissend, dass er bestimmte Bewegungen bereits unzählige Male in formvollendeter Gelassenheit vollbracht hat. Doch dann ereignet es sich, dass seine Nachbarin, Addie Moore (Jane Fonda), in der Tür steht und ihm ein unerwartetes Angebot bereitet: Ob er nicht zu ihr rüberkommen und mit ihr schlafen, also wirklich nur zusammen in einem Bett liegend die Nacht verbringen will. Der gemeinsame Gegner ist die Einsamkeit.
Beide Figuren haben ihre Partner verloren und verbringen die meiste Zeit ihres Lebens an Orten, die zweifelsohne für eine ganze Familie gedacht sind. Our Souls at Night sieht in diesem Zustand allerdings nichts Bemitleidenswertes, sondern schlicht eine Situation, die sich aufgrund gewisser Dinge ereignet hat. Es ist eine der größten Stärken von Ritesh Betra, die er bereits in seinem einfühlsamen Drama Lunchbox gekonnt zur Geltung gebracht hat: Behutsam nähert er sich seinen Figuren an, ohne Vorurteile und die Gewissheit der Entwicklung, die sie im Lauf der folgenden zwei Stunden erleben werden. Für Ritesh Betra existieren die Figuren nicht, um eine Geschichte zu erzählen, sondern umgekehrt: Die Geschichte entsteht auf Basis ihrer Entscheidungen, was im Fall von Our Souls at Night unter Umständen zu maximal unspektakulären Ereignissen führt. Doch dieses Spektakel ist sowieso nur eine Begrifflichkeit für die Oberfläche und somit in dieser aufrichtigen Auseinandersetzung fehl am Platz. Our Souls at Night setzt von Anfang an viel tiefer an.
Hier reicht eine gemeinsame Autofahrt, um mehr über die Figuren und ihre vorsichtige Annäherung zu erzählen, als es womöglich in Form von tausend Worten möglich gewesen wäre. Robert Redford und Jane Fonda harmonieren dabei nicht nur hervorragend, sondern gehen tatsächlich das Wagnis ein, sich auf Ritesh Betras langsame Erzählung einzulassen. Es ist ein Schauspiel in Details, in Würde und vor allem in voller Hingabe. Nur wenige Film mit vergleichbarer Prämisse erfährt ein solches Maß ehrlicher Momente – viel zu groß ist die Versuchung, die Ausgangssituation in eine unfreiwillig komische Komödie mit albernen Gesten und aufgesetzter Moral zu verwandeln. Our Souls at Night entzieht sich aber diesen Konventionen und lässt die künstlich aufgeputschten Stationen einer solchen Alters-Odyssee aus. Irgendwo ist das sicherlich furchtbar langweilig. Doch wer sich – genauso wie die zwei absolut fantastischen Hauptdarsteller – darauf einlässt, erfährt etwas ganz Besonderes, selbst wenn am Ende nur über das Wetter geredet wird.
Our Souls at Night © Netflix
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