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Pearl – Kritik

Ein Slasher im Retrogewand, der sich trotzdem quicklebendig anfühlt: Mit X verbeugte sich Ti West letztes Jahr vor einem ganzen Genre voller rauer, grauenvoller Bilder. Die Geschichte einer Gruppe junger Menschen, die Ende der 1970er Jahre auf einer Farm einen Porno drehen will, verwandelte sich in einen erbarmungslosen Überlebenskampf. Der Endgegner war eine alte Frau, die mit der nachfolgenden Generation für all jene Dinge abrechnete, die sie nicht (mehr) haben kann. Jetzt erzählt West ihre Vorgeschichte. Vorhang auf für den neuesten Stern am Horror-Himmel: Pearl.

Wir schreiben das Jahr 1918. Die Spanische Grippe lähmt Amerika und der Erste Weltkrieg neigt sich dem Ende. Unter den Soldaten, deren Heimkehr erwartet wird, befindet sich auch Pearls (Mia Goth) Ehemann. Er soll sie aus dem Gefängnis ihres Elternhauses, der aus X bekannten Farm, befreien. Mit Liebe hat das wenig zu tun. Pearl interessiert sich in erster Linie für sich selbst. Nach unzähligen einsamen Tanzproben vor Kühen, Ziegen und Gänsen sehnt sie sich nach nichts mehr als dem Rampenlicht, das sie ihrer Meinung nach verdient. Pearl will ein Star sein und setzt alles daran, um einer zu werden.

Die strenge Mutter (Tandi Wright) und der gebrechliche Vater (Matthew Sunderland) sind für sie nur eine Last. Lediglich der Filmvorführer (David Corenswet) in der nächsten Ortschaft zeigt ihr das Tor zur Welt, doch ihren Hunger stillen kann auch er nicht. Pearl hat mehr mit dem Alligator Theda gemein, der dankbar die Spuren ihres Gemetzels beseitigt. Ab der ersten Minute folgen wir einer Killerin. Der Weg nach Hollywood ist gesäumt von blutroten Bächen. Die gelbe Steinstraße aus The Wizard of Oz verwandelt sich in einen Trampelpfad des Todes. Selbst die Vogelscheuche fällt Pearl zum Opfer.

Pearl balanciert mühelos zwischen Dorothys Unschuld und den stark von The Texas Chain Saw Massacre beeinflussten Schreckensbildern, die schon den Vorgänger geprägt haben. Es ist absolut verblüffend, wie West zwischen Tobe Hoopers Horror-Meilenstein und der Reise ins zauberhafte Land schwankt, als würden beide Werke das gleiche filmische Vokabular besitzen. Pearl strahlt – vor allem in den Farben Rot und Grün – wie ein Technicolor-Traum, der mit einem Melodram von Douglas Sirk verwechselt werden könnte. Gleichzeitig wartet er aber auch mit schonungsloser Härte auf.

Möglich ist das, weil Pearl bis zur letzten Sekunde überspannt ist. Genauso wie Mia Goth die Mundwinkel zu einem grotesken Lächeln zieht, das sie am Ende ihres famosen Monologs bis in den Abspann der Kamera entgegenhält, stürzt sich West unerschrocken in die Genre-Vorbilder, von denen Pearl inspiriert ist. Ein malerischer Himmel legt sich über das beklemmende Farmhaus, in dem das Fleisch in allen erdenklichen Formen verrottet, während andernorts eine prächtige Musical-Sequenz im Geiste von Stanley Donen und Vincente Minnelli ausbricht. Horror als Einfallstor und Liebeserklärung ans Kino.

Beitragsbild: Pearl © Universal Pictures