Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Roter Himmel – Kritik

„Die Arbeit lässt es nicht zu.“ Es braucht keinen ganzen Moment, bis Leon (Thomas Schubert) merkt, dass er gerade etwas unglaublich Dummes gesagt hat. Nicht nur etwas Dummes, sondern auch etwas Arrogantes und Egoistisches. Komplett von sich selbst eingenommen sitzt er da und schottet sich von den Menschen ab, die ihn einladen, die auf ihn zu gehen. Das kann er alles später noch machen, denkt er, während er verbissen versucht, seinen zweiten Roman, Club Sandwich, fertig zu schreiben. Zuerst das Meisterwerk schaffen, danach die leichten Freuden des Lebens genießen. Nicht zuletzt empfängt die Welt einen mit offenen Armen, wenn sie erst einmal gesehen hat, was man geleistet hat. Doch die Zukunft, die sich Leon vorstellt, existiert nicht.

Genau genommen hat er nicht einmal den einen Moment, den er achtlos verstreichen lässt. Nadjas (Paula Beer) Einladung nimmt er als gegeben hin, ohne zu realisieren, wie wertvoll jede Begegnung in diesem Sommer an der Ostsee ist. Roter Himmel: Selbst die Waldbrände sind ihm nicht Warnsignal genug, sich endlich mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Sie sind 30 Kilometer entfernt und der Wind weht sowieso in die andere Richtung. Kein Grund, das Ferienhaus zu verlassen und die schwerelose Sommerfantasie zu unterbrechen. Aber welche Fantasie? Für einen jungen Schriftsteller zeigt Leon wenig Neugier. Hauptsächlich versteckt er sich in seinem eigenen Kopf. Es ist kein Zufall, dass Christian Petzold den Film mit In My Mind beginnt.

Der verträumte, zärtlich pulsierende Song der Wallners legt sich direkt in den ersten Minuten über Roter Himmel, wenn wir in den Wald fahren, wo sich das Ferienhaus von Felix‘ (Langston Uibel) Familie befindet. Der Song eröffnet den Film mit einem geteilten Gefühl von Sehnsucht und Geborgenheit. Ein einnehmender Sound, der alle Ecken des Klangraums mit Wärme erfüllt und trotzdem durchblicken lässt, dass noch nichts vollkommen ist. Stundenlang könnten wir Leon und Felix folgen, wie sie der Straße durch den Wald folgen, während sich Bäume und Büsche in den Fensterscheiben spiegeln. Die Blicke driften in ein gedankliches Nirgendwo ab. Und dann ein Knall: Kurz vor dem Ziel bleibt der Wagen liegen. Es geht zu Fuß weiter.

Der Urlaub, der vor allem produktiv sein soll, verärgert Leon, bevor er überhaupt angefangen hat. Die bösen Überraschungen gehen weiter und bündeln sich in einem Namen: Nadja. Sie durchschaut Leon. Zu keiner Sekunde aber ist sie so verletzend, wie er es ist, um seine Unsicherheit zu kaschieren. Schlimmer noch! Nadja lebt die schwerelose Sommerfantasie und findet sogar im Glanzlosen die kostbaren Momente, die Leon wieder und wieder verstreichen lässt, weil er ihren Wert zu spät erkennt. Entgegen der Gelassenheit, mit der Petzold die Figuren und Orte seines Films erforscht, trifft Leon nur Entscheidungen, die ihm die Möglichkeit der Entdeckung nehmen. Dabei ist das sein größtes Begehren. Aber er ist immer noch in seinem Kopf gefangen.

Leon merkt nicht, dass der Wind am Strand seine geschriebenen Seiten davonträgt. Immer wieder schläft er ein. Zu viel Stress. Besonders die Ankunft seines Verlegers, Helmut (Matthias Brandt), bereitet ihm Sorgen. Der Rotstift macht ihn mehr Angst als der rote Himmel, der mit jedem Tag näherkommt. Loslassen im Meer – auch das traut er sich nicht. Friedlich und geheimnisvoll leuchtet es in der Nacht, als könne es das tosende Feuer in Leon löschen. Er klammert sich an die Seiten, bis sich auflösen und verschwinden. Petzold zerreißt das Manuskript und lässt es in Form von Asche vom Himmel regnen. Tausende Fetzen, die Leon niemals einsammeln kann. Seelenruhig gleiten sie zu Boden und läuten den Weltuntergang ein.

Blaulichter und Sirenen treten an die Stelle der Löschhubschrauber, die lange Zeit dumpf im Hintergrund brummen. Das Feuer ist da und verschlingt den Sommer. Leon wird aus seinem Kopf herausgerissen. Und aus Petzolds kleinem Film wird in den letzten Minuten in unerwartetes Epos, das sich in zerreißender Tragik entfaltet, ohne zu schreien. Wie zerreißend die Geschichte wirklich ist, erfahren wir erst, wenn alle Gedanken in Bildern formuliert sind. Ein stilles Beben geht durch den Film, sobald Leons Verständnis einsetzt. Das Unscheinbare wird zum Unübersehbaren. Die Wallners träumen nicht mehr. Jetzt verwandelt sich Ryūichi Sakamotos nachdenkliches, trauriges Klavier in eine schwellende Orgel, die alle unausgesprochenen Gefühle transportiert.

Das zerstörerische Element der Waldbrände zieht sich plötzlich durch alle Ebenen des Films. Petzold nimmt überraschend viel von dem weg, was zuvor die ruhige, entspannte Atmosphäre des Films ausgemacht hat, um die bitterste Konsequenz von Leons selbstauferlegten Leiden zu zeigen. Am Ende verliert er viel mehr als einen Moment. Was ihm bleibt, ist die Erinnerung – und die zementiert er in das Größtmögliche, was er sich vorstellen kann: Einen Roman, der das Verpasste festhalten soll wie die versteinerten Menschen von Pompeji fast zweitausend Jahre nach dem verheerenden Vulkanausbruch von Schmerz, aber auch von Glück erzählen. Brutal und doch versöhnlich. Selbst wenn bei Petzold die Welt untergeht, ist nicht alles verloren.

Beitragsbild: Roter Himmel © Piffl Medien