Eine (inszenierte) Hochzeit und (präventive) Beerdigung: Die zwei Feiern in The Farewell könnten kaum gegensätzlicher sein – und trotzdem finden sie (heimlich) im gleichen Augenblick statt, wenn Billi (Awkwafina) nach langer Zeit zum ersten Mal in ihre Heimat, China, zurückkehrt. Eigentlich lebt sie in New York, doch die Kunde von der Krebserkrankung ihrer Großmutter, Nai Nai (Zhao Shuzhen), bringt ihre Familie zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder in Changchun zusammen. Alle wissen, dass es womöglich die letzte Möglichkeit ist, um sich von der Sterbenden zu verabschieden.
Die Sterbende aber darf davon kein Wort erfahren. Stattdessen wird die vermeintliche Eheschließung zwischen Billis Cousin und seiner Freundin als Vorwand genommen, um die Familie noch einmal an einem Tisch zu vereinen, bevor das Unvermeidliche eintritt. Eine Lüge setzt die Ereignisse von The Farewell in Gang. Dennoch entdeckt Regisseurin und Drehbuchautorin Lulu Wang, die bei der Gestaltung ihres zweiten Langfilms von ihrer eigenen Geschichte inspiriert wurde, in den folgenden eineinhalb Stunden vor allem eines: Aufrichtigkeit, meist versteckt im Stillen und Unscheinbaren.
Still und unscheinbar deswegen, weil in der Gegenwart von Nai Nai keines der Familienmitglieder seine wahren Emotionen zeigen darf. Innerlich von Trauer zerrissen gilt es, den Schein des freudigen Anlasses zu wahren – ein Zwiespalt, der unter Umständen auch als Auslöser feinfühliger Situationskomik fungiert, auch wenn am Ende das tragische Element der Geschichte überwiegt. Humor ist in The Farewell trotzdem reichlich zu finden: Er ist verankert in den nahbaren Figuren, die Lulu Wang sorgfältig etabliert und ins Verhältnis zueinander setzt.
Der Einsatz von Sprache entpuppt sich als wertvolles Werkzeug des Drehbuchs, da nicht jedes Familienmitglied entsprechende Barrieren überwinden kann. Die Dialoge entfalten sich daraufhin auf verschiedenen Ebenen und das Gesagte erhält mehrere Bedeutungen. Am stärksten ist The Farewell allerdings dann, wenn die Figuren einander verstehen, auch wenn sie sich nicht verstehen oder die Wahrheit sagen können. Dem Unausgesprochenem wird somit viel Raum gewährt, was ebenfalls in Lulu Wangs Inszenierung sehr schön zum Ausdruck kommt.
Oft verschwimmen die Hintergründe in The Farewell, sodass die Figuren wie isoliert in den Vordergrund rücken. Sie sind allein mit ihren Gefühlen, denn die dürfen sie nicht offen teilen – erst nach und nach rücken sie zusammen und wagen es, aus sich herauszukommen. Eine gewisse Wärme und Intimität transportiert der Film gleichwohl von Anfang an, genauso wie eine leise Melancholie über das Vergehen der Zeit, das ohne Veränderung nicht möglich ist. Die alte Nachbarschaft erkennt Billi kaum wieder, während beim Wiedersehen in China unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinandertreffen.
Drei Generationen sitzen vereint an einem Tisch, wo sie sich zuerst an Erinnerungen klammern, ehe sich der Moment als das wertvollste Gut der Begegnung hervortut und neue Kraft für die Zukunft spendet, egal, wie diese aussehen mag. Ein aus dem tiefsten Inneren kommendes „Ha!“ markiert, was als Ausbruch aus dem lähmenden Schmerz des bevorstehenden Abschieds umschrieben werden kann. Von großen kathartischen Gesten ist The Farewell trotzdem weit entfernt. Stattdessen konzentriert sich Lulu Wang auf die schlichten Facetten ihres Films und schafft ein unaufgeregtes, ergreifendes Porträt von Menschlichkeit und Endlichkeit.
The Farewell muss niemandem etwas beweisen, braucht keine reißerischen Wendungen und unerwarteten Enthüllungen, sondern verlässt sich komplett auf Lulu Wangs außerordentliche Beobachtungsfähigkeit und die Ausdrucksstärke von Awkwafinas verblüffendem Schauspiel. In Ocean’s 8 und Crazy Rich Asians avancierte sie dank frecher Auftritte zur perfekten Scene-Stealerin. Ihre berührende Performance in The Farewell findet jedoch in einer ganz anderen Liga statt, vereint sie gleichermaßen die nachdenklichen, die humorvollen sowie die unendlich traurigen Aspekte dieses hinreißenden Dramas.
The Farewell © DCM Film Distribution
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