Schönheit. Vermutlich gibt es keinen Begriff, der für The Neon Demon, Nicolas Winding Refns jüngstes Werk, von größerer Bedeutung ist. Geradezu jede Faser des Films dürstet nach der Entdeckung jener vollkommenen Form, die jeglichen Zweifel in ihrer schlichten Erhabenheit zerschellen lässt. Es ist folglich kein Wunder, dass immer wieder das Bild einfriert und die Zeit stehen bleibt. Kein einziges Detail darf der Kamera entgehen, denn es könnte sich dabei genau um diesen einen Funken Schönheit handeln, der The Neon Demon auf gewisse Weise vervollständigen würde. Und tatsächlich geht Nicolas Winding Reff in jeder Einstellung sicher, dass dem nicht so ist, so forciert dringt er in die unendlichen Räume seiner verträumt-bedrohlichen Los Angeles-Odyssee vor. Nichts darf dem Zufall überlassen werden; der beiläufigste Wimpernschlag verwandelt sich in einen tosenden Sturm der Eindrücke – doch welcher dieser Impressionen ist eine bleibende?
Zweifelsohne lassen sich in The Neon Demon unzählige Kompositionen finden, die sich, genauso präzise wie sie inszeniert sind, ins Gedächtnis brennen. Alleine in den ersten Minuten finden mehrere dieser Momente statt – etwa, wenn sich Jesse (perfekt: Elle Fanning) nach einem Fotoshooting mühsam das Kunstblut vom Körper wischt. Sie ist ein Neuankömmling in der Stadt der Engel, jung und naiv wie es scheint. Trotzdem lauert in ihrem Blick etwas Unergründliches, das selbst eine gestandene Stylistin wie Ruby (unberechenbar: Jena Malone), die schon unzählige Models hat kommen und gehen sehen, aus der Ruhe bringt. Neugier und Faszination fungiert in diesem Augenblick als verbindendes wie verbündendes Element, wenngleich sich keine der beiden Teilnehmerinnen des darauffolgenden Gesprächs diesen Umstand je eingestehen würde. Von Anfang liegt eine einnehmende Anspannung in der Luft, obwohl überhaupt kein Grund dafür besteht. Ohne Misstrauen kann in diesem Märchen allerdings keine Figur (über-)leben.
So rein und unangetastet die Oberfläche wirken mag, The Neon Demon verbirgt in seinem Inneren eine dreckige, düstere, ja, sogar verdorbene Seite. Aller Schönheit zum Trotz offenbart sich hier das Hässliche, das sich wie eine unaufhaltsame Masse im Takt zu Cliff Martinez manchmal bestimmend peitschenden, manchmal verloren pulsierenden Klängen ausbreitet, bis es am Ende alles verschluckt hat. Dann tritt richtiges Blut an die Stelle der Schminke und der Körper verblasst. Auf der einen Seite vollführt The Neon Demon in einer solchen Veränderung des Status quo ein entlarvendes Kunststück, das sich gleichermaßen selbstverliebt wie herablassend über die eigene Welt lustig macht. Ein überheblicher Tonfall und womöglich ein unbeabsichtigter, denn auf der anderen Seite investiert Nicolas Winding Refn seine komplette Schaffenskraft, um jene unterkühlte Welt auf der großen Leinwand Wirklichkeit werden zu lassen. Niemals zweifelt er an der Wucht seines funkelnden Gemäldes, so besessen verfolgt er den Einklang seiner dämonischen Neon-Vision.
Schlussendlich vermag dieser Einklang jedoch nur in einzelnen Passagen eine hypnotische Kraft im abstrakten Raum zu entfesseln. Zu oft ist der Zuschauer selbst dann ein Ausgeschlossener, wenn bestimmte Zusammenschnitte ganz offensichtlich eine Sogwirkung aufbauen. Wie ein Fremder steht man vor verschlossenen Türen und kann lediglich durch eine (schützende?) Glasscheibe verschwommen erkennen, was dahinter vor sich geht. Aber vielleicht braucht es gerade diese Distanz, damit dieses filmische Ungetüm ungestört wachsen und gedeihen kann. Denn zwischen all den verschiedenen Segmenten blitzt er dann gelegentlich auf, der Funke unbeschreiblicher Schönheit, untermalt von einem Glitzern in der Musik – als wäre seit jener zärtlichen Berührung im Fahrstuhl in Drive keine einzige Sekunde vergangen. Ein glücklicher Zufall im Chaos eines ungemütlichen Albtraums: Leider passiert es viel zu selten, dass sich Nicolas Winding Refn dermaßen entspannt in solchen Fantasien verliert.
The Neon Demon © Koch Media
Gib den ersten Kommentar ab