Gigantische Strukturen ragen in den Weltraum. Unerschütterlich. Als könne die Zeit ihnen nichts anhaben. Und dennoch steht diese Welt aus unzähligen metallenen Ebenen kurz davor, in ihre Einzelteile zu zerbrechen. Aus der Entfernung sind es nur kleine Lichtpunkte, die zwischen den mächtigen Bauten aufblitzen. Je tiefer wir in das futuristische Gebilde eintauchen, desto offensichtlicher wird jedoch die apokalyptische Schlacht, die dort tobt.
Der Krieg um Cybertron eröffnet den letzten Transformers-Film der Linkin Park-Ära mit einem schwindelerregenden Sturzflug durch einen kollabierenden Planeten, dessen Splitter bis auf die staubige Oberfläche des Monds katapultiert werden. Es dauert nicht lange, bis Autobots und Decepticons ihren Krieg auf die Erde verlagern, wo Michael Bay den aufregendsten Schauplatz der gesamten Reihe ausfindig macht: die Häuserschluchten von Chicago.
Mehr noch als für Cybertrons labyrinthische Schichten interessiert sich Bay für die Architektur der US-amerikanischen Metropole, besonders in Kombination mit dem strahlenden Türkis des Chicago Rivers, der sich schlangenförmig durch das Grau der Wolkenkratzer bewegt. Vorbei am Wrigley Building und dem Tribune Tower. Unter der DuSable Bridge hindurch und um die Kurve Richtung Marina City – ein Film komplett im Einklang mit seiner Umgebung.
Eigentlich ein Widerspruch, denn Transformers: Dark of the Moon investiert ein Gros seiner Laufzeit, um die Stadt äußerst gründlich dem Erdboden gleichzumachen. Mitunter frisst sich sogar ein riesiger Blechwurm durch die Hochhäuser und lässt nichts weiter als ein Stahlskelett zurück, während die menschlichen Figuren über Scherben schlittern. Jede Bewegung von Bays furioser Actioninszenierung geht nahtlos ins Design von Downton Chicago über.
Dann öffnet sich der Himmel und monströse Alien-Raumschiffe setzen sich zwischen die grauen Betontürme, schweben über dem türkisen Wasser und füllen den urbanen Graben, als wäre das ikonische Flussbett Chicagos exakt für diese eine Invasion ausgelegt worden. Ein einziger Schnitt genügt, um den Weltuntergang einzuläuten – es ist einer der verblüffendsten in Bays Schaffen. Danach übernimmt Linkin Park mit Iridescent im Tohuwabohu das Erzählen.
Verschwunden sind das unermüdlich klickende Schlagzeug und die verzerrten Gitarren, die What I’ve Done zusammen mit Mobys Extreme Ways zum ultimativen Aufbruchssong des Blockbuster-Kinos der 2000er Jahre gemacht haben. Auch der elektrische Pulsschlag von New Divide weicht im Angesicht der erstickenden Rauchschwaden, die durchs Bild ziehen. Was bleibt, sind niedergeschlagene, einfühlsame Klavierklänge in Moll, die vom Ende der Welt künden.
Es ist nicht einmal der unheimlichste Moment des Films. Schon zuvor verwandelt sich ein geierartiger Decepticon in einen rosafarbenen Autobot und überfällt das Kinderzimmer eines kleinen Mädchens. „Is your daddy home?“, raschelt die mechanische Stimme, die sich selbst zum Kaffeekränzchen einlädt, ehe im Bruchteil einer Sekunde der gruseligste Home-Invasion-Horrorfilm entsteht, der je in einem 200-Millionen-Dollar-Blockbuster zu sehen war.
Bays Action-Inferno gleicht einem Bewusstseinsstrom, der immer wieder in vulgäre Poesie und chaotische Politik abdriftet. Verschwörungstheorien und Sicherheitsfreigaben gehen Hand in Hand mit der Frage nach Flüchtlingen und Angreifern, nach Botschaftern, Helden und Soldaten. Ein schemenhafter Barack Obama überreicht Medaillen, während der tatsächliche Buzz Aldrin im NEST-Hauptquartier auf „fellow space traveler“ Optimus Prime trifft.
Die unfassbarste Begegnung ereignet sich im Herzen der Demokratie: Wo einst Mr. Smith nach Washington ging, stampft nun ein von der Zeit gezeichneter Megatron an den Säulen des Lincoln Memorials vorbei und reißt dem ehemaligen US-Präsidenten den Kopf ab. Vor unseren Augen werden die Weichen des post-humanen Kinos gestellt und trotzdem besitzt Transformers: Dark of the Moon so viele markante Menschen, dass man sie nicht ignorieren kann.
Das Ensemble ist völlig bizarr: John Malkovich verliert bei roten Tassen den Verstand. Patrick Dempsey liefert die Menschheit mit unverschämter Lässigkeit aus. Frances McDormand lässt John Turturro als DNI-Direktorin zuerst abblitzen und dann festnehmen. Und Alan Tudyk spielt – aus welchem Grund auch immer – dieselbe Figur wie elf Jahre zuvor in 28 Days, der wirklich gar nichts mit Transformers zu tun hat. Inklusive deutschem Akzent.
Ein gewisser Dadaismus schwingt durch diesen Film, noch mehr aber ein Expressionismus, der Welten ins Wanken bringt und dem Krawall gleichzeitig mit unerwarteter Melancholie begegnet. Transformers: Dark of the Moon ist wild und ungezügelt. Ein Sturzbach aus Verwandlungen, der gebannt Silhouetten von Helikoptern beobachtet, die in Zeitlupe vor dem glühenden Sonnenuntergang vibrieren, und aufrichtig daran glaubt, eine Liebesgeschichte zu erzählen.
Beitragsbild: Transformers: Dark of the Moon © Paramount