Wie schnell sind denn bitte die letzten fünf Wochen vergangen? Mit Contrapasso erreicht Westworld bereits die goldene Mitte der ersten Staffel und noch immer fühlt sich die Science-Fiction-Western-Serie von Jonathan Nolan und Lisa Joy wie ein frisches Abenteuer an. Kaum ein Rätsel wurde bisher gelöst. Ganz im Gegenteil: Mit jeder weiteren Minute, die im titelgebenden Themenpark vergeht, sorgen zusätzliche Fragen für ratlose Gesichter. Westworld hat sich so selbstverständlich wie schon lange keine Serie mehr ihr eigenes Mysterium geschaffen und versteht sich bestens darin, dieses als ungewollte Nachlässigkeit der Parkleitung zu verkaufen. Kaum ist ein brisantes Detail für die Figuren im Narrativ und uns Zuschauer vor den Bildschirmen bekannt geworden, überkommt einen das Gefühl, dass es überhaupt nicht beabsichtigt war. Ein großer Trick der Erzählkunst, der die Suche zum Mittelpunkt des Labyrinths in eine unglaublich aufregende Odyssee verwandelt.
Was dürfen wir sehen? Was sollen wir sehen? Was wollen wir sehen? Alleine die unzähligen Fan-Theorien rund um die möglichen verschiedenen Zeitlinien bezeugen das Potential, das Westworld mit sich bringt. Es bereitet bisher große Freude, den mal mehr, mal weniger offensichtlich versteckten Hinweisen zu folgen. Contrapasso markiert einen ganz besonderen Punkt im großen Gefüge, denn alle Figuren auf dem Schachbrett befinden sich nun auch im Spiel. Niemand wartet mehr darauf, an die Reihe zu kommen. Niemand feilt noch an der Strategie für seinen ersten Zug. Waren es bisher überwiegend die Gäste und Hosts, die sich über den Weg gelaufen sind, so greift endlich die dritte große Partei unmittelbar ins Geschehen ein, konkret die Menschen, die die Westworld aus dem Verborgenen heraus lenken. Dr. Robert Ford (Anthony Hopkins) höchstpersönlich wagt sich in die Prärie, um dem Man in Black (Ed Harris) in die Augen zu blicken.
Auf einmal sitzt er da, der Schöpfer inmitten seiner Kreation. Dass er unter Umständen die komplette Welt anhalten kann, hat er in Dissonance Theory bewiesen. Doch das würde sein Gegenüber sowieso nicht beeindrucken. Aufmerksam mustert der Man in Black den Mann, dem er seine „fucking vacation“ zu verdanken hat. Allerdings brauchen wir uns nichts mehr vormachen – aus Erholungsgründen hat es den mysteriösen Revolverhelden sicherlich nicht in die Westworld gezogen. Generell geht es uns bei der darauffolgenden Unterhaltung eher wie Teddy (James Marsden), der zwar am gleichen Tisch sitzt, jedoch keine Ahnung hat, was die zwei Herren vor seinen Augen bereden. Teddy hat in diesem Moment nicht einmal die Kontrolle über sein eigenes Handeln und muss sich gänzlich dem Austausch der Erwachsenen beugen, die sich gleichermaßen mit Respekt wie im Ehrgeiz begegnen.
Es ist immer wieder faszinierend, dass ausgerechnet die einfachsten Szenen zu den eindrucksvollsten in Westworld gehören. Seien es die Sitzungen zwischen Bernard (Jeffrey Wright) und Dolores (Evan Rachel Wood) oder eben diese Begegnung zwischen Ford und dem Man in Black: Am Ende des Tages ist es ein Gespräch, das dafür sorgt, dass einem ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter läuft – da kann sich Regisseur Jonny Campbell noch so sehr um die opulente Inszenierung einer Orgie bemühen. Alles, was man in dieser vermeintlich lustvollen Zusammenstellung taubbrechender Einstellungen sieht, sind die rohen Konstanten einer HBO-Produktion. Unbeholfen und exploitativ finden unbedeckte Körperteile ihren Weg in eine Geschichte, die sich gar nicht für sie interessiert. Ein bisschen ironisch ist das durchaus. Oder wie Caroline Framke das Problem auf Vox.com umschrieb: „I barely noticed this orgy.“
Abseits davon hat Contrapasso zwei musikalische Highlights zu bieten, die erneut verblüffen, obwohl es mittlerweile kein Geheimnis mehr sein dürfte, dass sich Westworld geschickt wundervoller Coverversionen diverser Songs bedient, um sowohl Stimmung als auch Handlung voranzutreiben. Dieses Mal sorgt Something I Can Never Have von Nine Inch Nails für Gänsehaut, als die ersten Takte auf dem Klavier ertönen. Leise baut sich das Stück aus dem Hintergrund auf und nimmt immer mehr die Szene für sich ein – nur, um dann abzureisen, bevor es wahrhaftig seinen Höhepunkt erreicht. Und dann wäre da noch Claire de Lune von Debussy, das Ramin Djawadi mit inspirierender Leichtigkeit in die Tonlage von Westworld übersetzt. Ein feiner Akzent, der völlig schwerelos den gewichtigsten Augenblick der Episode vorbereitet. So kann das weitergehen. Alle Parteien der Erzählung interagieren nun miteinander, genauso wie die Form mit der Erzählung.
Westworld © HBO
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