Was Westworld seit Beginn der Serie schafft? Nach jeder einzelnen Episode das Gefühl zu vermitteln, etwas Gewaltiges erlebt zu haben. Etwas, das von Bedeutung ist und sich irgendwann in ein größeres Gesamtkunstwerk eingliedern wird, etwa Fords (Anthony Hopkins) neue Storyline oder die Reise zum Mittelpunkt des Labyrinths. Eifrig stellen Jonathan Nolan und Lisa Joy in Aussicht, was alles passieren könnte. Gleichzeitig überkommt einen nie der Eindruck, die Serie würde auf Zeit spielen, würde die Zuschauer hinhalten. Ausreden sind nie der Fall. Zu aufgeladen an faszinierenden Gedankenspielen sind die einzelnen Handlungsstränge. Keiner davon dient als Lückenfüller, keiner davon verirrt sich im eigenen Mysterium.
Tatsächlich gehört Westworld in puncto Narration zu einem der wohl konzentriertesten Formate der vergangenen Jahre und Trompe L’Oeil, die siebte Episode der ersten Staffel, macht da keine Ausnahme. Ein virtuoses Stück, mitreißend und poetisch – und dieses Mal bekommen wir sogar Antworten. So unglaublich es klingen mag: Westworld macht keinen Gefangen, sondern schlägt mit unvergleichbaren Timing zu. Wer weiß, ob es jemals eine lange Durststrecke in dieser Serie geben wird. Bisher fühlt sich jeder Dialog wie ein kleines Gedicht an, das – in aller Sorgfalt vorgetragen – den Atem vor Anmut stocken lässt. Laut und leise liegen dicht beieinander. Ein unüberhörbares Tosen beherbergt Westworld aber selbst in seinen intimsten Momenten.
„If I had a world of my own, everything would be nonsense. Nothing would be what it is because everything would be what it isn’t.“ Es ist einer der ersten Sätze, die in Trompe L’Oeil fallen, und brennt sich wie kein zweiter ins Gedächtnis – dabei stammt er nicht einmal aus der Feder von Halley Gross oder Jonathan Nolan, die bei dieser Episode als Drehbuchautoren fungierten. Stattdessen handelt es sich um einen Auszug aus Alice in Wonderland, jener parabelförmigen Erzählung von Lewis Carroll, die schon des Öfteren ihren Weg in die Westworld gefunden hat. Unzählige Bilder des Wunderland-Abenteuers spiegeln sich in der Welt es Themenparks wieder. Heute geht es insbesondere um das, was wir sehen, und um das, was die Figuren sehen.
Regisseur Frederick E. O. Toye inszeniert 60 Minuten pure Täuschung. Ab einem gewissen Punkt können wir uns gar nicht mehr sicher sein, was echt und was unecht ist. Der Schein trägt, ebenso die Wahrnehmung: Eigentlich verfolgt uns dieser schauerliche Gedanke seit der ersten Episode, denn bereits The Original verlor sich zwischen den wahren Identitäten der Parkbesucher und Parkbetreiber. Wer ist Mensch? Wer ist Roboter? Wer ist menschlich? Wer ist robotisch? Der enthüllende Mechanismus hinter diesen Fragen dürften unlängst ein vertrauter sein. Dennoch offenbart Westworld in einem seiner verstörendsten Augenblicke erneut, wie effektiv ein ordentlich vorbereiteter Twist sein kann – ganz zum Leidwesen von Theresa (Sidse Babett Knudsen).
Die Wurzeln dieser unerwarteten Wendung liegen tief in der Mythologie der Serie vergraben und dürfen sich nun in Perfektion entfalten. Es ist schlicht beeindruckend, wie viele Dinge auf die finale Sequenz von Trompe L’Oeil hingearbeitet haben, ohne als Mittel zum Zweck aufzufliegen. Selten fühlte sich so eine komplexe Serie dermaßen organisch in ihrem Wachstum an wie Westworld. Dass wir schon vor Beginn der Geschichte im Klaren über die zentralen Motive waren, sorgt sicherlich für Entspannung, denn dadurch können die kreativen Köpfe hinter den Kulissen ein konkretes Thema bearbeiten, ohne ständig den Elefanten im Raum ignorieren zu müssen. Was in Westworld passiert, ist unfassbar spannend und aufregend – wie die Serie die Geschichte erzählt aber noch um einiges mehr.
Und dann passiert es: Während Dolores (Evan Rachel Wood) und William (Jimmi Simpson) irgendwo am anderen Ende des Parks (und womöglich auch in einer anderen Timeline) das Herz der Westworld suchen, offenbart Ford eines seiner bisher düstersten Geheimnisse, indem er Bernard (Jeffrey Wright) seiner Menschlichkeit beraubt. Ein starker Schachzug, der genau zur richtigen Zeit kam und uns mehr als nur einen kalten Schauer den Rücken hinunterjagt. „What’s behind this door?“, fragt Theresa den Vertrauten am Ende eines langen Arbeitstages voller aufwühlender Erlebnisse. „What door?“, lautet Bernards beiläufig verwirrte Antwort, die im Dunkel des Augenblicks fast ein bisschen verloren geht. Ein Wortwechsel für die Ewigkeit – das wäre fast als Staffelfinale durchgegangen.
Drei Episoden erwarten uns allerdings noch, bevor sich die erste Runde dem Ende neigt. Nach Trompe L’Oeil könnte die Spannung nicht größer sein, mit was für Enthüllungen uns die Autoren in den nächsten drei Wochen überraschen werden. Maeve (Thandie Newton) befindet sich auf dem besten Weg ihr Gefängnis endgültig hinter sich zu lassen. Doch dann wäre da noch dieser Satz, der William über die Lippen gleitet, bevor er überhaupt begreift, was mit ihm passiert: „How can I go back to pretending when I know what this feels like?“ In diesem Moment rückt der Park als eigener Hauptdarsteller wieder ins Bild, als würden wir eine Reinkarnation der Insel aus Lost erleben. Hier sind alle frei und trotzdem verfügt niemand über das, was sich Kontrolle nennt.
Westworld © HBO
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