Im Grunde ist es unmöglich, an ein dermaßen mitreißendes Meisterstück wie Trompe L’Oeil anzuschließen, und dementsprechend muss sich auch Westworld der eigenen Brillanz geschlagen geben. Trace Decay, die achte Episode der ersten Staffel, schreitet zwar in puncto Spannung weiterhin in großen Schritten voran. Gleichzeitig kann nicht geleugnet werden, dass Jonathan Nolan und Lisa Joy trotz aller Bemühungen etwas über die eigenen Beine stolpern. 60 Minuten, die ganz im Schatten der jüngsten Ereignisse stehen und am liebsten gleich das nächste Highlight heraufbeschwören würden. Leider verliert Westworld in Anbetracht dieser Ambition ein bisschen die Kontrolle. Alles, was zuvor unheimlich konzentriert wirkte, hat in Trace Decay etwas nachgelassen. Schlussendlich wird die Episode damit aber ihrem Titel überaus gerecht: Die Decay-Theorie besagt, dass die Erinnerungen im Verlauf der Zeit stetig verblassen.
Im Fall von Trace Decay ist es die Narration, die ein bisschen verschwommen anfühlt. Es fehlt der Durchblick, es fehlt der Fokus. Irgendwie sitzt das Drehbuch aus der Feder von Charles Yu und Lisa Joy zwischen allen Stühlen und weiß gar nicht, für welches Element es sich entscheiden soll. Verübeln kann man es keinem der Kreativen, denn von all den Elementen, die Westworld in der Summe bilden, befinden sich gerade so viele in Bewegung wie nie zuvor. Das erste und offensichtlichste dieser Elemente ist wohl Bernard (Jeffrey Wright), der sich plötzlich auf der anderen Seite der Welt wiederfindet, als er von Ford (Anthony Hopkins) exakt die Anweisung erhält, die er sonst immer selbst ausgesprochen hat: „Bring yourself back online.“ Getauschte Rollen und damit einhergehende Zusammenbrüche – wenngleich Bernard technisch gesehen nicht mehr als eine Maschine ist, kann er die emotionalen Vorgänge in diesem Augenblick nicht verarbeiten, als würde es ihn innerlich zerreißen.
Lange Zeit hat Westworld im Hintergrund die Frage mitschwingen lassen, was passiert, wenn sich die Roboter selbst erkennen und die künstliche Intelligenz ein Gewissen entwickelt. Doch Bernards Erwachen ist dieser Überlegung schon einen ganzen Schritt voraus. Der ehemalige (?) Kopf der Programmierungsabteilung verfügt nicht nur um das Wissen seiner selbst, sondern ebenso um das Verständnis seiner selbst. Seit Jahren arbeitet er mit Ford zusammen, kennt den Park und die Hosts wie seine eigene Westentasche und versteht folglich jedes Details, das sich hinter der makellosen Oberfläche des Fortschritts verbirgt. Es muss ein schwindelerregendes Gefühl sein, wenn die Wahrnehmung von solch einer Anzahl an Dimensionen unterbrochen wird. Bernard weint, ist zornig und fassungslos. Erschrocken über die eigenen Taten, weiß er tief in seinem Inneren, dass er aufgrund von Fords Befehl niemals hätte anders handeln können. Dennoch kann er sich von den Emotionen nicht lösen und bricht zusammen.
Dann ist es Ford gelungen und er hat es gefangen, das „elusive thing: heart.“ Amüsiert, zufrieden, ja, auch stolz: Ford erfreut sich an Bernards Leiden. Nicht, weil er ein unglaublicher Sadist ist, sondern weil seine Schöpfung einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Einen Höhepunkt, der ihm damals von Arnolds Gewissensbissen verwehrt wurde. „The anguish, the horror, the pain, it’s remarkable“, sprudelt es mit bedächtiger wie genüsslicher Weisheit aus ihm heraus, bis er im Angesicht der soeben erlebten Evolution seiner Vision resümiert: „A thing of beauty.“ Ford sieht in Bernard keinen Freund, keinen Weggefährten. Stattdessen ist der menschenähnliche Roboter nicht mehr als ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck. Die letzte, große Parade steht immer noch aus – eine Geschichte will Ford vor dem Ende (aller Dinge?) noch erzählen. Da seine eigenen Ressourcen allerdings begrenzt sind, instrumentalisiert er seine eigene Kreation, um zu kreieren. Mehrmals erweckt Trace Decay den Eindruck einer Schlange, die begierig ihr eigenes Hinterteil verschlingt.
Zwischen Herablassung und Begeisterung: Ford räumt schließlich auch ein Geständnis ein, während Bernard weiterhin mit dem Schock der Erkenntnis kämpft. Per Knopfdruck lässt sich die Erinnerung des Hosts manipulieren und binnen eines weiteren Knopfdrucks kann der künstliche Geist wieder in Ruhe schlafen – als würde Ford sein Gegenüber um diese Eigenschaft beneiden, die er selbst geschaffen hat. Doch dann wartet Trace Decay mit einer weiteren Art von Erinnerung auf, nämlich jeder, die allen Manipulationen zum Trotz aus den ungewissen Abgründen zurückkehrt und für Revolution sorgt. Dolores (Evan Rachel Wood) und Maeve (Thandie Newton) werden seit einigen Episoden von diesen kristallklaren Erinnerungen verfolgt. Hier ist nichts verschwommen, nichts verblasst. Mit stechender Schärfe lösen sie einen Schmerz aus, der verzweifeln lässt und den Ausbruch provoziert. Wer sind wir? Wo sind wir? Wann sind wir? Panisch klopft Dolores ihre Wahrnehmung ab.
Als ihr William (Jimmi Simpson) etwas verblüfft antwortet, dass er auf alle Fälle echt sei, schüttelt Dolores bloß verzweifelt den Kopf, wie Alice, die hilflos durch den Kaninchenbau irrt. „I can’t tell anymore. It’s like I’m trapped in a dream or a memory from a life long ago. One minute, I’m here with you, and the next…“ Und letztendlich können wir als Zuschauer dieses Gefühl genau nachvollziehen, denn dank der deutlich ausformulierten Darstellung von Dolores Erinnerungen und den Erlebnissen, die sie in ihrer aktuellen Storyline durchmacht, fällt die Unterscheidung sichtlich schwer. Ein routinierter Kniff, der von Regisseur Stephen Williams inszenatorisch gekonnt aufgegriffen wird. „Show, don’t tell.“ Das gilt sowohl für Westworld als Themenpark als auch als Serie. Und dann atmet die Episode kurz durch, geht einen Schritt zurück und lässt Maeve ihre eigene Geschichte schreiben. Während auf dem Piano ein zerbrechlich entschlossenes Cover von Back to Black von Amy Winehouse erklingt, greift Maeve selbst in die Narration ein und bestimmt, nicht nur, was in ihrer Welt, sondern ebenfalls der von Ford und all den anderen passiert. „Time to write my own fucking story.“
Westworld © HBO
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