Mit der aktuellen Hochzeit des Superheldenfilms geht auch eine gewissen Identitätskrise der heroische Geschöpfe einher, die auf der großen Leinwand mit bemerkenswerter Frequenz die Welt retten. Waren es zu Beginn des 21. Jahrhundert noch bunte Farben und nachdenkliche Töne, die gemeinsam die Gattung gestalteten, hat sich inzwischen eine beachtliche Kluft zwischen den Fronten aufgetan. Auf der einen Seite verbuchen die genormten Blockbuster des Marvel Cinematic Universe verlässliche Erfolge, während auf der anderen Seite der düstere Tonfall des DC Extended Universe weniger Anklang findet und für drei extrem polarisierende Beiträge verantwortlich ist. Anno 2017 ereignet es sich jedoch, dass ausgerechnet aus dem DC-Warner-Franchise ein Superheldenfilm kommt, der so strahlt wie schon lange keine Marvel-Disney-Kollaboration mehr. Wonder Woman ist ein Freiheitsschlag, der vor Energie protzt und eine unglaubliche Abenteuerlust versprüht, als wäre der Glanz des Heldenkinos niemals verblasst.
Bereits in Batman v Superman: Dawn of Justice lieferte die titelgebende Amazone aka Diana Prince (Gal Gadot) ihr Debüt im DCEU ab und darf nun ein Jahr später endlich im Alleingang dafür sorgen, dass dem wütigen Treiben von Kriegsgott Ares Einhalt geboten wird. Zuletzt waren es Catwoman und Elektra, die das Gerücht des ausbleibenden Erfolgs von Superheldinnen in bewegten Bildern kolportierten. Woman Woman hält diesem Unsinn so bärenstark entgegen wie nur möglich. Regisseurin Patty Jenkins, die sich erstmals seit dem 2003 erschienen Monster im Kino zurückmeldet, demonstriert hingebungsvoll, wie überfällig dieser Film nicht nur in seinem Franchise, sondern in der gesamten Kinolandschaft ist. Und das zu Recht, denn Wonder Woman ist nicht bloß ein feministisches Statement, sondern ein unfassbar guter Superheldenfilm, der sich bedeutend herzlicher den Vorzügen seiner Wurzeln hingibt, als es sich aktuelle MCU-Kollegen mit ihrem automatisierten Spaß-Charakter trauen. Wonder Woman hat Power und berührt.
Angesiedelt im Ersten Weltkrieg geizt Drehbuchautor Allan Heinberg, die mit Plot-Ideen von Zack Snyder und Jason Fuchs arbeitet, nicht in puncto Größenordnung. Wonder Woman offenbart sich als ausführliche wie konventionelle Origin-Story, die vom absoluten Ursprung der Protagonistin ausgeht und im Anschluss ein episches Gemälde zeichnet, das sich vom hektisch London der 1910er Jahre bis in die staubigen Schützengräben an der Westfront in Belgien erstreckt. Dazu kommt die fantastische Kulisse der Insel Themyscira, wo die spätere Heldin eine behütete Kindheit verbringt, ehe das Paradies von deutschen Soldaten wie jeder andere Strand Europas im blutigen Sturm erobert wird. Schon hier liegt ein große Schmerz verankert, als Diana zum ersten Mal in ihrem Leben Zeugin von Leid, Unrecht und Tod wird. Es ist nur eine von vielen schicksalhaften wie prägenden Erfahrungen, die sie im Lauf der Geschichte machen wird. Besonders bemerkenswert ist dabei ihr instinktiver Drang Gutes zu tun – und wie er im gleichen Atemzug von seinen Geistern in Frage gestellt wird.
Die Begegnung mit dem abgestürzten Pilot Steve (Chris Pine), der eine deutsche Uniform trägt, sich dann jedoch als US-amerikanischer Spion zu erkennen gibt, fungiert hierbei als Schlüsselereignis, denn die Beziehung und Dynamik, die sich zwischen den beiden aufbaut, dominiert einen Großteil des Films. Dabei geht es nicht nur um das gegenseitige Kennenlernen fremder Welten, sondern ebenfalls um den emotionalen Kern des Geschehens, ganz zu schweigen davon, dass Wonder Woman so leichtfüßig wie nur wenige gegenwärtige Blockbuster Geschlechterrollen diskutiert und stereotype Darstellungen unterwandert. Zwischen den absolut spektakulären Actionszenen verstecken sich in diesen 140 Minuten einige kleine, heimliche, ja, wunderschöne Momente, die sämtliche Figuren des Ensembles – völlig unabhängig von Herkunft und Geschlecht – mit dem behutsamen Einsetzen fallender Schneeflocken vereinen. Wonder Woman verfolgt dabei zahlreiche Ideale, lässt diese aber regelmäßig mit einer grausame und historisch eingebetteten Realität kollidieren.
„To the war!“ So lautet einer der vielen verblüffenden Sätze, die Diana in ihrem naiven Tatendrang von sich gibt, ehe sie die wahre Bedeutung der neuen Worte und Dinge versteht, die sie auf ihrer Reise kennenlernt. Selbstbestimmung und die Suche nach einer eigenen Identität sind entscheidende Themen, die auf er Odyssee im Kriegsgebiet zu tragen kommen und den Film auf eine größere Ebene bringen, als das simple Weltenretten vermuten lässt. Wenngleich in Wonder Woman Gut und Böse eindeutig voneinander zu unterscheiden sind, katapultieren Dianas persönlichen Konflikte das Gezeigte in ungeahnte Dimensionen, die vor der Tragik eines Superman oder eines Captain America kaum zu unterscheiden sind. Auch Diana bewegt sich in einem komplexen Geflecht aus Träumen, Opfern und Niederlagen, sodass sie ihre Geschichte rückblickend mit folgendem Fazit einleitet: „I used to want to save the world, this beautiful place. But the closer you get, the more you see the great darkness within. I learnt this the hard way, a long, long time ago.“
Abseits all der unverwundbaren Augenblicke zerbricht in Diana etwas Gewaltiges, wenn sie im Finale auf dem Rollfeld zwischen der geballten Kraft einer Supernova und Casablancas unbeschreiblich wehmütigen Ende schwankt. Patty Jenkins entfacht ein tosendes Inferno, um die Entwicklung ihrer Superheldin zu vervollständigen, nachdem diese zuvor im Niemandsland zwischen trostlosem Stacheldraht und durch Gewehrkugeln aufgepeitschte Erde eine der wohl eindrücklichsten Szenen auf diesem Weg erlebte. Auf einmal herrscht nicht bloß die Unbesiegbarkeit der Zeitlupe, sondern ein mächtiger Energieschub, der den Götterkampf in apokalyptische Dimensionen voller Hoffnung drängt. Dann steht Diana vor flammendem Hintergrund und strahlt genauso wie Gal Godot, die diesen Film unerschöpflich als Leading Woman stemmt und bestimmt, als würde sie jede einzelnen Sekunde mit voller Hingabe genießen. Es gibt kaum ein schöneres Bild, das ein Superheldenfilm erschaffen kann.
Wonder Woman © Warner Bros.
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