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Anne at 13,000 ft – Kritik

Über den Wolken ist Anne (Deragh Campbell) komplett bei sich. Lange hat sie trainiert für diesen Augenblick. Jeder noch so kleine Fehler kann verheerende Konsequenzen nach sich ziehen, doch Anne atmet genauso entspannt und kontrolliert ein, wie sie es im Training gelernt hat. Und dann befindet sie sich im freien Fall. Regisseur Kazik Radwanski interessiert sich allerdings weniger für den Fallschirmsprung an sich, sondern nutzt ihn als Ausdruck für die Rastlosigkeit, die im Inneren seiner Protagonistin schlummert. Zwischen Ruhe und Chaos entfaltet sich Anne at 13,000 ft dabei mit geradezu hypnotisierender Kraft.

Die Kamera ist immer ganz nah am Geschehen, manchmal sogar unerträglich nah. Sie schleudert uns als Zuschauer mitten in die Kindertagesstätte, in der der Anne arbeitet. 27 Jahre ist sie alt, ihr Leben hat sie aber nur bedingt im Griff. Mal wirkt sie konzentriert, mal verloren: Obwohl der Film jeder ihrer Bewegungen folgt, fällt es schwer, die Figur einzuschätzen, so schnell wechseln sich bewusste Entscheidungen und impulsive Reaktionen ab. Mitunter erweckt Anne das Gefühl, selbst noch eines der Kinder zu sein, die sie betreut, ehe sie sich wieder als aufmerksame, empathische Erzieherin erweist.

Nachfolgend tauchen wir in verschiedene soziale Situationen ein, durch die sich Anne ihren Weg bahnt. Zahlreiche Close-ups versetzen uns direkt in ihre Perspektive und geben Einblick in die plötzlichen Gefühlsschwankungen. Anne befindet sich auf der Suche und droht, an den vielen Informationen zu zerbrechen, die minütlich auf sie einprasseln. Mit jeder weiteren Minute steigt ihre Verunsicherung in dieser Welt, die voller Regeln und immer unzufrieden mit ihr ist. Trotzdem ist schwer zu sagen, ob jene eingangs beschriebene Rastlosigkeit von Anne oder ihrer Umwelt ausgeht. Uns bleiben nur Kazik Radwanskis Beobachtungen.

Seine Inszenierung ist sehr unmittelbar und wird oft von einem harten Schnitt unterbrochen. Dadurch kommt eine rohe Seite zum Vorschein, die Anne at 13,000 ft authentisch, fast dokumentarisch wirken lässt. Als Dokumentarfilmer versteht sich Kazik Radwanski aber nur bedingt: Bewusst greift er auf filmische Mittel zurück, um seine Protagonistin zu fassen, auch wenn er bloß Bruchstücke ungefilterter Emotionen einfängt, die erst aus der Distanz betrachtet ein erhabenes Mosaik ergeben. Doch diese Distanz baut der Film in den seltensten Momenten auf. Wichtiger sind hier die Einzelteile.

Anne at 13,000 ft erzählt von einem ständigen Davonlaufen, auch wenn der Film niemals vollständig ergründet, was Anne aufwühlt und antreibt, sowohl in den hoffnungsvollen als auch in den niederschmetternden Situationen ihres Leben. Bis zum Schluss behält sich Anne dieses Geheimnis, ehe deutlich wird, dass es Annes eigenwillige Direktheit ist, die in den Bann zieht und gleichzeitig so klar wie verschlüsselt ist. Deragh Campbell spielt diese Anne mit einer unbändigen Wucht, dass man sich Anne at 13,000 ft nicht entziehen kann und schließlich das gleiche Glück empfindet, obwohl völlig unklar ist, wo der Film landen wird.

Anne at 13,000 ft © Medium Density Fibreboard Films/The Cinema Guild