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Avengers: Endgame – Kritik

Ein Fingerschnipsen genügte, um das Marvel Cinematic Universe in seinen Grundfesten zu erschüttern. Das robusteste Franchise der 2010er Jahren fand sich am Ende von Avengers: Infinity War plötzlich in einem Zustand absoluter Ungewissheit wieder – zumindest, wenn wir der erzählten Geschichte mitsamt vernichtendem Cliffhanger Glauben schenken wollen. Bösewicht Thanos (Josh Brolin) hat das halbe Universum ausgelöscht. Vor unseren Augen sind die Helden, die wir in den vergangenen elf Jahren kennengelernt und lieb gewonnen haben, zu Staub zerfallen und nicht einmal Iron Man (Robert Downey Jr.), der Vater des MCU, konnte etwas dagegen unternehmen.

Wenige Szenen haben in den vergangenen Jahren für mehr Diskussionsstoff gesorgt als diese monumentale Momentaufnahme des Verlusts. Zweifeln lässt nur die MCU-Historie, denn Konsequenz und Endlichkeit standen nie im Vordergrund der bisherigen Superhelden-Abenteuer. Dennoch gelingt es Avengers: Endgame, die große Zusammenführung aller bisher erschienenen MCU-Filme, anfangs überraschend gut, die Emotionen des Vorgängers aufzufangen und die Behauptung des Cliffhangers mit dem Schmerz der Überlebenden zu untermauern. Avengers: Infinity War hat ein Trümmerfeld hinterlassen – und daran wird sich so schnell nichts ändern.

Gebrochen sind die Helden, die das Universum beschützen sollten. Eine zermürbende Leere breitet sich aus und drückt die Stimmung. Überrumpelt von Thanos bleiben Captain America (Chris Evans) und Co. nur ratlose Blicke und die Kamera ist überaus bedacht darauf, jeden einzelnen dieser verzweifelten Gesichtsausdrücke aufmerksam zu studieren. Wo Avengers: Infinity War von einer Station zur nächsten hastete und nur selten die Bilder für sich sprechen ließ, weiß Avengers: Endgame um die Ausdauer, die notwendig ist, um das Ausmaß der Niederlage begreifbar zu machen, wenngleich einige MCU-Fäden nach wie vor holprig und wenig einfallsreich zusammengeführt werden.

Ein Balanceakt zwischen den logistischen Herausforderungen eines Mega-Blockbusters und den berührenden, stillen Tönen der Trauer: Was Joe und Anthony Russo hier mit Bedacht zu vereinen versuchen, ist eigentlich unmöglich, da die mächtige Marvel-Maschine im Hintergrund niemals stillsteht. Trotzdem halten die Figuren diesen massiven Film zusammen. In elf Jahren MCU sind schlussendlich doch zu viele Beziehungen entstanden, als dass Avengers: Endgame zur emotionslosen Angelegenheit verkommen könnte. Die Gefühle sind echt und schöpfen aus einer reichen Geschichten, die schließlich wieder an den Punkt gelangt, an dem ein Hoffnungsschimmer am Horizont zu erspähen ist.

Besonders die Figuren, die für gewöhnlich nicht im Mittelpunkt der aufregenden Schlachten stehen, avancieren im ersten Drittel von Avengers: Endgame zum Herz des Films. Da wäre etwa die Tragik von Nebula (Karen Gillan) und War Machine (Don Cheadle), während die Dezimierung Hawkeye (Jeremy Renner) in eine Sinnkrise treibt und regelrecht die eigene Identität aufgeben lässt. Vor allem aber ist es die oft sträflich vernachlässigte Black Widow (Scarlett Johansson), die in Avengers: Endgame endlich einige ihrer großen Momente im Kleinen nachholen darf und diesen Blockbuster, der später förmlich in seinen Möglichkeiten explodiert, in seinen ersten Atemzügen angenehm erdet.

Erst im Anschluss verlieren die Russo-Brüder die Kontrolle, im Hinblick auf das konzentrierte Drama und die Aufarbeitung von Thanos’ schrecklicher Tat. Avengers: Endgame will mehr und größer sein und fördert in diesem Zuge gleich zwei weitere Filme zutage, die sich mitunter gegenseitig im Weg stehen. Zuerst wäre da ein wilder Time-Heist, der die Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit des MCU vereint und sich dabei tonal der Geste einer sprudelnden Best-of-Montage verschriebt, wenn Erinnerung und Nostalgie zum Tanz einladen. Eine bemerkenswerte Energie durchströmt diese Passagen, sodass sich Avengers: Endgame ins ultimativ MCU-Feuerwerk verwandelt.

Christopher Markus und Stephen McFeely, die Drehbuchautoren des Spektakels, lassen wahrlich keine Gelegenheit aus, um uns Seiteneinstiege in dieses riesige Universum zu gewähren, die insbesondere dann spannend sind, wenn sie unseren Figuren die Chance geben, all die klaffenden Wunden zu heilen. Die Rückkehr an Orte, an denen entscheidende Weichen für das MCU gestellt wurden, gestaltet sich als reizvolles, kurzweiliges und verspieltes Unterfangen, vermag jedoch selten, das gesamte Potential der aufregenden Idee dahinter auszuschöpfen. Zu viele Kreise öffnen und schließen sich, was zur Folge hat, dass der Fokus des Auftakts verlorengeht. Avengers: Endgame ist viel zu verliebt in die eigene (Franchise-)Geschichte.

Auch im Finale wälzt sich der Film genüsslich in Möglichkeiten, ohne einen maßgeblichen Durchbruch zu erzielen. Faszinierend: Es ist frustrierend und befriedigend zugleich, denn das Zusammenspiel der verschiedenen Figuren funktioniert einwandfrei und ist die wertvollste Konstante im gesamten MCU. Zudem profitiert Avengers: Endgame gleich von mehreren jener raren konsequenten Entscheidungen, die hingebungsvoll ausgeführt werden und den Endspiel-Charakter verstärken. Wenn sich der Himmel verdunkelt und Thanos vor apokalyptischer Kulisse in Erscheinung tritt, setzen die Russo-Brüder alles daran, um diesen Abschluss von 22 Filmen zu einem würdigen Ende zu führen.

Der Sprung, um Avengers: Endgame, in ein wahres Epos zu verwandeln, gelingt ihnen trotzdem nicht. Entgegen aller Gänsehautmomente und dem Versprechen, dieses Mal alles aufs Spiel zu setzen, sind sie am Ende doch nur begnadete Koordinatoren, aber keine visionären Regisseure, die abseits der intensiven Close-ups angemessene Bilder für den Wahnsinn finden, den sie auf der großen Leinwand entfesseln. Avengers: Endgame ist dennoch mitreißend, bewegend und gigantisch, lädt zum Staunen ein und erschlägt und mit seiner Wucht – im Positiven wie im Negativen. Ein Film, der sättigt, der plättet und überwältigt. Den perfekten Einklang von Marvel’s The Avengers wird das MCU aber wohl nie wieder erreichen.

Avengers: Endgame © Walt Disney Studios Motion Pictures