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Die besten Filme der Berlinale 2019

Obwohl sich das Programm der Berlinale 2019 in den ersten Zügen seiner Ankündigung alles andere als berauschend anhörte, hatte ich am Wochenende vor Festivalbeginn eine stattliche Liste mit Filmen (und Serien) zusammen, die ich unbedingt schauen wollte. Geschafft habe ich leider nur die Hälfte. Schuld ist – wieder einmal – der kalte Februar mit all seinen Viren, die sich fröhlich im Kinosaal ausbreiten. Von Freunden und Kollegen empfohlene Beiträge wie Synonyms, Monos, Varda by Agnès, 37 Seconds und Amazing Grace habe ich dementsprechend nicht mehr geschafft. Dennoch tummeln sich in meiner Letterboxd-Liste aktuell 42 Einträge, von denen ich euch die besten Filme nachfolgend vorstellen will.

Erde (Nikolaus Geyrhalter, 2019)

Im sonnigen Kalifornien werden wir zum ersten Mal Zeugen davon, wenn gewaltige Maschinen ganze Berge versetzen. Die mächtigen Bewegungen sorgen durchaus für Staunen, ebenso beeindrucken die Bilder. Erde strahlt eine hypnotisierende Kraft aus, schlussendlich dominiert aber die hässliche Seite dieser gemachten Welt. Wo Qui-Gon Jinn darauf verweisen würde, dass es immer noch einen größeren Fisch gibt, freuen sich die Protagonisten in Nikolaus Geyrhalters Dokumentarfilm über größere Bagger, noch mehr Dynamit und die geradezu unbegrenzten Möglichkeiten der Technologie. Egal, wie widerspenstig sie ist: Die Natur kann bezwungen werden, doch der Preis dafür wird immer höher.

Farewell to the Night (André Téchiné, 2019)

Nachdem André Téchiné zuletzt mit Being 17 auf der Berlinale begeisterte, wurde er dieses Jahr erneut mit einem entspannt dramatischen Film eingeladen, selbst wenn ihm die direkte Teilnahme im Wettbewerb vorenthalten wurden. Farewell to the Night, der vor allem von der überaus talentierten Léa Mysius als Co-Autorin profitiert, dreht sich um die Französin Muriel, die eine Mandelplantage betreibt und ihr Herz an Pferde verloren hat, die sie ebenfalls züchtet und trainiert. Darüber hinaus hängt ihr Herz an ihrem Enkel Alex, der nun nach Kanada will, insgeheim aber Pläne hegt, sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Mit unglaublicher Ruhe entfaltet Téchiné die komplexe Geschichte und zeigt sich überwiegend an der Menschlichkeit des Drama interessiert.

Mr. Jones (Agnieszka Holland, 2019)

In Mr. Jones erzählt Agnieszka Hollands die Geschichte des britischen Journalisten Gareth Jones, der sich im März 1933 auf den Weg in die Ukraine macht, wo seine Befürchtungen bestätigt werden: Der Kommunismus hat nichts als eine Schneise des Elends geschaffen, auf den Schultern der einfachen Bevölkerung wird die Last der protzenden Schlagzeilen ausgetragen. Doch die Wahrheit erhält mit jedem weiteren Schnitt eine neue Seite, beugt sich in unscharfen Spiegelbildern und zersplittert schließlich in tausend kleine Teile. Atemberaubend sind Tomasz Naumiuks Bilder, die an Steven Spielbergs Historiendrama The Post erinnern. Und irgendwo in diesem spannenden Film versteckt sich auch noch die immer fantastische Vanessa Kirby.

Fourteen (Dan Sallitt, 2019)

Von Alex Ross Perry gab es dieses Jahr leider keinen neuen Film im Forum zu sehen. Dafür verirrte sich Dan Sallitt mit Fourteen auf die Berlinale und erzählte von zwei jungen Frauen. Mara und Jo kennen sich bereits seit über 14 Jahren und sind beste Freundinnen, doch diese Freundschaft entpuppt sich im Verlauf der Geschichte als toxische Angelegenheit. Während Mara zielorientiert Brooklyns Irrwegen strotzt, zieht Jo das Chaos an und will nicht aus ihren Fehlern lernen. Fortan geht es um die Zerbrechlichkeit dieser Freundschaft, während im Schnitt die Jahre in rasender Geschwindigkeit vorbeiziehen. Der Rhythmus der daraus entsteht, ist ein eigenartiger, gleichzeitig ermöglicht er es uns, noch mehr zwischen den Zeilen zu lesen.

Ich war zuhause, aber (Angela Schanelec, 2019)

In einem größtenteils unspektakulären Wettbewerb ist Angela Schanelec die Regisseurin, die für visionäres Kino sorgt und die Grenzen der bewegten Bilder auslotet – vorzugsweise, indem sie der Bewegung durch wie versteinert im Raum stehenden Menschen Einhalt gebietet. Doch seit Astrids 13-jährige Sohn verschwunden und wiederaufgetaucht ist, kann jeder Moment nicht lange genug beobachtet werden. Ich war zuhause, aber gestaltet sich dementsprechend als Meditation über all das, was gerade passiert. Das betrifft sowohl die inhaltliche als auch die formale Ebene des Films. Dieser Film behauptet nie, sondern diskutiert und ringt mit sich. Vor allem aber ist er seinen Figuren nahe, selbst wenn sie die meiste Zeit über unerreichbar scheinen.

Heimat ist ein Raum aus Zeit (Thomas Heise, 2019)

Die Berlinale ist nicht nur ein Ort, um die Welt zu entdecken, sondern oft auch ein Ort, um in die Vergangenheit einzutauchen. Genau das macht Thomas Heise mit seinem 218-minütigen Werk Heimat ist ein Raum aus Zeit, in dem er die Geschichte von vier Generationen seiner Familie erzählt und dabei gleichzeitig auch die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert Revue passieren lässt. Aus dem Off ertönt sein Stimme, die den persönlichen Erlebnissen seiner Vorfahren verschrieben ist. Heise liest Briefe vor, Schulaufsätze und Tagebucheinträge. Später folgen Tonaufnahmen, während sich auf bildlicher Ebene eine private Fotografien mit den einschneidenden Ereignissen aus den Geschichtsbüchern verschmelzen. Was bleibt, ist ein gewaltiges Dokument, das einen nicht selten zittern lässt.

By the Grace of God (François Ozon, 2018)

Dieser Film hat jeden Applaus der Berlinale verdient: François Ozon verfilmt den Fall von Pater Bernard Preynat, der im Jahr 2016 aufgrund sexueller Übergriffe angeklagt wurde, und lässt dabei keine Dimension des Konflikts aus. Präzise wie Spotlight schlüsselt der By the Grace of God die einzelnen Problemfelder auf und zeigt, wie tief der Missbrauch in der katholischen Kirche verwurzelt ist und wie schwer es ist, als Individuum gegen eine jahr­hun­der­te­alte Institution zu bestehen. Ozon balanciert das Emotionale und das Analytische gekonnt, am überwältigendsten ist sein Film aber, wenn beide Seiten mit vereinter Kraft zuschlagen und uns sprachlos im Publikum zurücklassen. Eine einfache Lösung gib es am Ende nicht. Im Hinblick auf den Prozess der Aufarbeitung ist By the Grace of God jedoch ein exzellenter und unfassbar wichtiger Film.

The Souvenir (Joanna Hogg, 2019)

Eben erst hatte er in Sundance seine Premiere gefeiert, da eroberte Joanna Hoggs meisterhafter The Souvenir das Panorama der Berlinale. In ihrem semi-autobiografisches Werk erzählt die britische Regisseurin von einer Filmstudentin Julie, die in den 1980er Jahren versucht, ihre eigene Stimme zu finden, jedoch regelmäßig von ihrer Umwelt an die Wand gedrückt wird. Dazu gesellt sich eine toxische Beziehung zu ihrem Freund und die erdrückende Enge der Räume, in denen sich der Film bewegt. Am liebsten würde Julie ausbrechen, doch von allen Seiten bekommt sie ihr Leben, ihre Arbeit und ihre Beziehungen diktiert. Daraus entsteht das fragmentarische Porträt einer jungen Frau, die fabulös von Honor Swinton Byrne verkörpert wird, ihres Zeichens Tochter von Tilda Swinton, die als Julies Mutter in dem Film zu sehen ist.

Wer noch mehr Texte zur Berlinale sucht, der wird vielleicht drüben bei moviepilot glücklich. Da habe ich u.a. über Jonah Hills tolles Regiedebüt Mid90s, die emotionale Kraft von The Boy Who Harnessed the Wind und Light of My Life von und mit Casey Affleck geschrieben.

The Souvenir © A24