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Festivalbericht: Around the World in 14 Films 2017

Vom 23. November bis zum 2. Dezember 2017 fand in Berlin das zwölfte Around the World in 14 Films-Festival statt und bereicherte das CineStar in der Kulturbrauerei mit exquisiten Filmen, die im Lauf des vergangenen Jahren auf diversen Festivals unterwegs waren und nun für einen kurzen Zwischenstopp in der Hauptstatt vorbeigeschaut haben. Als Eröffnungsfilm gab es Andrey Zvyagintsevs Leviathan-Nachfolger Loveless zu sehen. Mein erster Film sollte The Florida Project werden – allerdings liegt die Betonung auf sollte. Nachdem bereits meine Pläne, Sean Bakers neustes Werk auf dem Filmfest Hamburg zu sehen, glorreich gescheitert sind, hat es leider auf dem 14 Films auf nicht geklappt. Trotz dieser anfänglichen Niederlage offenbarten sich die Besuche danach aber stets als feine Bereicherung meines Kinojahres.

Mittwoch, 29. Oktober 2017

Das erste Highlight des Abends ist das Q&A über einen Film, den ich gar nicht gesehen habe. Da ich viel zu früh in der Kulturbrauerei aufgeschlagen war, entpuppt sich das Gespräch mit Denis Côté, der über seinen Locarno-Beitrag A Skin so Soft referiert, als willkommener Zeitvertreib. Der kanadische Filmemacher  spricht unter anderem über das Zusammenspiel von dokumentarischen Aufnahmen und bewusst inszenierten Elementen, die miteinander verschwimmen. Ebenfalls faszinierend: Die Beschreibung der Beziehungen, die er vorsichtig zu den sechs Bodybuildern, die scheinbar Gegenstand seines Films sind, aufgebaut hat. Denis Côté erläutert, dass es gar nicht so einfach war, in Kontakt mit diesen zu kommen und deren Vertrauen zu gewinnen.

Vor allem ein Eingeständnis seitens des Regisseurs beschäftigt mich Tage später immer noch: Die Angst, dass die Bodybuilder (stellvertretend für alle Beteiligten bei einer solchen Produktion) gar nicht begreifen, von was sie da Teil sind. Denis Côté beschreibt das Gefühl, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die zwar begeistert bei der Sache sind, diese jedoch aus einer völlig anderen Perspektive wahrnehmen. Einer der Bodybuilder habe ihm ein Video geschickt, wie er am liebsten in Szene gesetzt werden würde, schilderte Denis Côté. Hochkontrastierte Schwarz-Weiß-Bilder und technoartige Musik haben jedoch nicht in den fertigen Film geschafft. Dennoch seien bei der Premiere Freunde und Familie der Bodybuilder sowie diese selbst anwesend und total begeistert gewesen. Ein faszinierender Einblick in einen Film, der bisher nur anhand dieser Aussagen in meinem Kopf existiert.

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Danach geht es auf in Saal 8: The Day After von Hong Sang-soo steht auf dem Plan, auf den ich mich bereits seit seiner Cannes-Premiere sehr gefreut habe. Valeska Grisebach, die zuletzt mit Western ihren eigenen Cannes-Erfolg feiern konnte, stellt den Film auf sympathische Weise vor, obgleich sie einleitend gesteht, abseits des von ihr eingeführten Films kein anderes Werk von Hong Sang-soo gesehen zu haben. Dafür erzählt sie von einer Begegnung mit Hong Sang-soo in New York, bei der sie mehr über die Arbeitsweise des Regisseurs gelernt hat. Ihre Beschreibung deckt sich mit vertrauten Geschichte, die man über den südkoreanischen Regisseur kennt. Er schreibt bis vier Uhr in der Nacht an seinen Szenen für den folgenden Tag, ehe er um sieben Uhr seinen Schauspieler_innen 40 Minuten Zeit lässt, um sich die Texte einzuprägen.

Was Valeska Grisebachs Einführung dennoch unheimlich spannend macht, ist der Umstand, diese Geschichte aus der Sicht einer eigenen Filmemacherin zu hören. Bisher habe ich Hong Sang-soo nur selbst über seine Schaffensweise reden hören bzw. über diese in Texten von Filmkritiker_innen gelesen. Nun teilt eine Regisseurin ihre Faszination für diese wahrlich unkonventionelle Vorgehensweise, die zudem auf ein kleines, familiäres Team setzt, das sich stets aus den gleichen wiederkehrenden Persönlichkeiten zusammensetzt. Gefallen hat mir The Day After im Anschluss auch. Der Film wirkte melancholischer als etwa Yourself and Yours, der mich letztes Jahr in Hamburg sehr begeistert hat. Besonders schön funktioniert The Day After als Companion Piece zu Hong Sang-soos diesjährigen Berlinale-Beitrag On the Beach at Night Alone.

Donnerstag, 30. Oktober 2017

Am Donnerstag verschlägt es mich mehr oder weniger geplant (ein Dank geht an Michael fürs Überreden) in Ava, der in Cannes im Rahmen der Critic’s Week seine Premiere gefeiert hat. Ziemlich unvorbereitet gehe ich in diesen Film, lediglich mit dem Wissen ausgestattet, dass es sich um eine Coming-of-Age-Geschichte handelt und ein Szenenbild daraus das Festival-Poster ziert. Eine Stunde und 45 Minuten später bin ich sehr begeistert von diesem intensiven Trip, in dem ich mich wirklich verlieren konnte. Kurz darauf erfahre ich beim Q&A mit Regisseurin Léa Mysius und Hauptdarstellerin Noée Abita, dass es sich um einen Abschlussfilm handelt, was die ganze Angelegenheit noch beeindruckender macht. Ava hat mindestens eine potentielle Szene des Jahres und begeistert darüber hinaus mit starken Bildkompositionen, die sich wohl überlegt aufbauen, ehe sie ihre gesamte Pracht entfalten.

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Léa Mysius spricht auch sogleich davon, wie wichtig es für sie war, den Film auf 35mm zu drehen. Dieser Umstand ist auch dafür verantwortlich, dass der schwarze Hund, der gelegentlich durch die sonnigen Bilder läuft, wie ein schwarzes Loch wirkt, das alles um sich herum aufsaugt. Aus dem Publikum kommen Fragen hinsichtlich der Finanzierung und Entstehung des Films. Ebenfalls gefragt wird, welches Motiv sich hinter der Entscheidung verbirgt, die Protagonistin nach und nach erblinden zu lassen. Léa Mysius erläutert, dass sie die Arbeit am Drehbuch erst zwei Woche vor Abgabe angefangen hat und dabei bis tief in die Nacht schreiben musste. Dadurch entstanden – quasi den äußeren Umständen geschuldet – Überlegungen hinsichtlich der Einschränkung des Sichtfelds ihrer titelgebenden Heldin, die sich mit Einbruch der Dunkelheit auf ihre verbleibenden Sinne verlassen muss.

Noée Abita berichtet derweil vom Casting-Prozess und wie sie sich in ihre Rolle eingefunden hat. Es ist ihr erstes Engagement dieser Art – und mit Sicherheit nicht das letzte. Drei Filme konnte sie seit der Fertigstellung von Ava umsetzen. Auch Léa Mysius, die eigentlich als Drehbuchautorin ihre Karriere begonnen hat, war abseits der Ava-Tour nicht untätig, sondern werkelte schon an einigen Folgeprojekten, unter anderem an einem mit André Téchiné. Nach Ava ist ihrer Stimme jeder Erfolg gegönnt.

Samstag, 2. Dezember 2017

Beinahe wäre es nicht zu diesem abschließenden Kinobesuch gekommen, da sich Lynne Ramsays diesjähriger Cannes-Film You Were Never Really Here in Deutschland unter dem Titel A Beautiful Day versteckt. Nachdem ich mir am Donnerstag aber noch einmal genauer das Programm zu Gemüte geführt hatte, wurde noch spontan eine Karte gekauft, denn We Need to Talk About Kevin hatte mich damals ziemlich mitgenommen. You Were Never Really Here ist nicht weniger eine Wucht und nach dem tollen Good Time von den Safdie-Brothers bereits der zweite Film dieses Jahr, der NYC mit einer rauen Pracht einfängt, die einfach nur atemberaubend ist. Und dann wäre da noch Jonny Greenwoods eigenwilliger Soundtrack, der den Film perfekt abrundet beziehungsweise aufbricht. Als letzter Film des Festivals wurde danach in der Closing Night The Killing of a Sacred Deer gezeigt, über den ich an dieser Stelle schon geschrieben habe.

Ava © F Comme Film