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The Killing of a Sacred Deer – Kritik

Aus Cannes kam dieses Jahr keine leichte Kost, sondern unangenehme Dramen wie etwa Michael Hanekes Happy End und Ruben Östlunds The Square. Während der österreichische Regisseur routiniert eine Familie durch den moralischen Fleischwolf drehte, legte sein schwedischer Kollege mit einer noch bissigeren Gesellschaftssatire nach. Vermutlich hatte aber keiner er beiden damit gerechnet, im gleichen Jahr mit The Killing of a Sacred Deer zu laufen, dem neuen Film von Giorgos Lanthimos, der zuletzt mit The Lobster eine eigenwillige Meditation über das Leben, den Tod und die Liebe abgeliefert hat. Inspiriert durch die Tragödie Iphigenie in Aulis des griechischen Dramatikers Euripides inszenierte Giorgos Lanthimos nun ein kaltes Werk, das seine Figuren in sterile Ecke drängt und trotzdem verlangt, dass sie sich ihre Hände schmutzig machen.

Dabei läuft anfangs alles noch nach Plan. Die erste Einstellung, prächtig untermalt mit den gewaltigen Klängen von Franz Schuberts Stabat Mater in F minor, blickt in einen geöffneten Körper und enthüllt dabei ein schlagendes Herz. Ein Anblick wie kein zweiter – der angesehen Herzchirurg Steven Murphy (Colin Farrell) zeigt sich dennoch unbeeindruckt. Routiniert wird die Operation abgeschlossen und das Leben geht weiter. Steven hat alles unter Kontrolle, selbst der nervenaufreibende Balanceakt mit dem Skalpell scheint ihn nicht nervös zu machen. Dissonante Einwürfe auf der Tonspur sorgen dennoch dafür, dass nach und nach ein merkwürdiger Eindruck entsteht, der den Verdacht nahelegt, dass in Stevens Welt trotz seines makellosen Auftretens nicht alles so läuft, wie er es gerne hätte. Nicht lange dauert es, da bekommt der Störfaktor in Form des 16-jährigen Martin (Barry Keoghan) auch ein Gesicht und einen Namen.

Seit sechs Monaten pflegt Steven eine Beziehung zu dem Jungen, dessen Vater auf seinem Operationstisch verstarb. Weitere Informationen verteilt Giorgos Lanthimos nur spärlich. Viele Dinge in The Killing of a Sacred Deer spielen sich vorerst unter der Oberfläche ab, ehe sie nach außen brechen und das große Drama in Gang setzen. Während Steven stets bemüht ist, ein offenes Ohr für Martin zu haben, stellt sich heraus, dass dieser aller Bescheidenheit zum Trotz kein geringeres Ziel als blutige Vergeltung verfolgt. Es fühlt sich beinahe wie eine alternativen Home-Invasion-Story an, wenn Martin, einem unschuldigen Kind gleichend, in Stevens Familie eindringt und dafür sorgt, dass zuerst sein Sohn Bob (Sunny Suljic) und danach seine Tochter Kim (Raffey Cassidy) im Krankenhaus landen. Giorgos Lanthimos zögert dabei geschickt den Punkt heraus, an dem der offensichtliche Terror endlich konkret angesprochen wird.

Viel zu lange reden sich Steven und seine Frau Anna (Nicole Kidman), die als Augenärztin arbeitet, mit diversen rationalen Erklärungen für die merkwürdigen Geschehnisse heraus, die ihre Familie langsam, aber sicher zu Grunde richten. Martin macht allerdings keinen Hehl aus seinem Anliegen und stellt das Familienoberhaupt vor eine klare Entscheidung: Entweder er opfert – wie es der Titel bereits andeutet – eines seiner Kinder oder der gesamte Kreis seiner Liebsten wird den nächsten Tag womöglich nicht mehr erleben. Ist die brutale Versuchsanordnung erst einmal erkannt, entfaltet der zuvor im Hintergrund angedeutete Schrecken seine gesamte Wirkung, sodass The Killing of a Sacred Deer von Minute zu Minute ungemütlichere Züge annimmt. Was folgt, ist ein Film, den aufgrund seiner Rachefantasie biblischen Ausmaßes sicherlich niemand so schnell vergisst. Trotzdem kann der Film kaum sein emotionales Potential ausschöpfen, da sich Giorgos Lanthimos nie vom eingangs etablierten Seziertisch entfernt.

The Killing of a Sacred Deer löst sich zu selten von der abstrakten Geste eines Gedankenspiels und flüchtet mit unterkühlten Gesten in klinische Räumen, die selbst den Hauch einer Emotion unterdrücken. Hoffnungslos und isoliert bewegen sich die Figuren durch präzise gerahmte Einstellungen und wirken bereits verloren, bevor sich ihre Abgründe überhaupt aufgetan haben. Auch im Gespräch kommt eine Unfähigkeit zur Annäherung zum Vorschein. Dialoge, die in einem Wes Anderson-Film für skurrile, liebenswürdige Charaktere sorgen, bringen bei Giorgos Lanthimos sozial inkompetente Menschen zum Vorschein, die sich mit jedem Satz, den sie sagen, mehr voneinander entfernen. Die Stimmung ist bedrückend und schafft ein faszinierend befremdliches Gefühl – nicht zuletzt da die erlösende Katharsis ausbleibt, während die Kamera weiterhin gnadenlos stechende Bilder aus diesem menschlichen Elend zutage fördert und somit den Albtraum nach dem Abspann garantiert.

The Killing of a Sacred Deer © Alamode Film