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Guava Island – Kritik

Guava Island steht als Sinnbild für das Paradies, bis der Mensch seine eigenen Schattenseiten entdeckt und die Natur ausbeutet. Aus der Insel wird eine große Fabrik mit hohen Schornsteinen, die mit dem Rauch, den sie ausstoßen, den Himmel verdunkeln. Trotzdem gibt es sie noch, die Träumer, die sich entgegen der unterdrückenden Ordnung des Kapitalismus an die Unbeschwertheit des Lebens erinnern. Der Musiker Deni Maroon (Donald Glover) ist einer dieser Träumer und will mit einem Musikfestival das Paradies Guava Island wiederherstellen.

Eingebettet in eine Gute-Nacht-Geschichte, die uns in Form des animierten Prologs die Hintergründe über die fiktive Insel erzählt, entspinnt sich fortan ein Abenteuer, das ganz dem Moment verschrieben ist. Selbst wenn Deni durch die Straßen hastet, weil er schon wieder zu spät dran ist, durchströmt Guava Island eine unglaubliche Leichtigkeit und Lebensfreude. Deni genießt jeden dieser kostbaren Momente und inspiriert die Menschen durch seine Gelassenheit. Donald Glover geht sichtlich auf in dieser Rolle und avanciert schnell zum Herzschlag des Films, mal naiv, mal gerissen, aber immer aufrichtig.

Mit seinen 55 Minuten fühlt sich Guava Island dabei selbst wie ein einziger Moment an, der vor unseren Augen geformt wird und uns in eine Welt entführt, die sich zwischen märchenhaften Sonnenuntergängen und der bitteren Realität abspielt. Das Systemkritische schwingt stets im Hintergrund mit, unter Umständen kommt es aber auch sehr deutlich zur Sprache, etwa dann, wenn Donald Glovers This Is America in variierter Form aus einer Szene heraus entsteht, den Film mit seinen aufwühlenden Impulsen ins Wanken bringt und ein mulmiges Gefühl hinterlässt.

Die Summertime, von der Deni eben noch gegenüber seiner Freundin Kofi (Rihanna) schwärmte, ist plötzlich komplett verschwunden. Bereits Hiro Murais Musikvideo zu This Is America verstand es ausgezeichnet, provozierende, aufwühlende Bilder zu finden, die den Song eine beunruhigende, geradezu verstörende Ebene hinzufügen. Die Einbettung des Songs in Guava Island, der ebenfalls von Hiro Murai inszeniert wurde, besitzt allerdings noch einmal eine ganz neue, unerwartete Dynamik und spiegelt thematisch die Motive der America-Hymne aus West Side Story.

Hoffnungen, Wünsche und Träume kollidieren mit dem echten Leben. Das tänzerische Element bringt die Schönheit und Rastlosigkeit des Augenblicks zum Vorschein. Sowohl in Guava Island als auch in West Side Story können wir staunen, wenn die Musik den Film in Bewegung versetzt, gleichzeitig aber auch erschrecken, wenn sie die Wahrheit hinter den vermeintlich traumhaften Aussichten offenbart. Trotz all der lässigen Gesten und dem Schlendern im Sonnenschein vergisst Guava Island nie diese zweite Ebene, diesen düsteren Kern.

Inspiriert wurden Donald Glover und sein Bruder Stephen Glover, der das Drehbuch schrieb und zusammen mit Hiro Murai ebenfalls zu jenen Künstlern zählt, die Glovers Schaffen in den unterschiedlichsten Feldern seit einer ganzen Weile begleiten, von Werken wie Touki Bouki, City of God, Black Orpheus und Purple Rain. Trotzdem findet Guava Island eine eigene Stimme und fügt die vielen verschiedenen Einflüsse zu etwas Neuem zusammen, das fraglos in seinen Bann zieht und immer wieder neue Ausdrucksformen für die angesprochenen Konflikte findet.

Dass Hiro Murai ein ausgezeichneter Regisseur ist, muss er an diesem Punk in seiner Karriere niemandem mehr beweisen. Angefangen bei seinen Musikvideos bis hin zu der Finesse, mit der er einzelne Episoden von Donald Glovers FX-Serie Atlanta in Szene setzt: Gefilmt im 4:3-Format entfaltet auch Guava Island zwischen verträumten und bedrohlichen Ereignissen eine poetische Bildsprache, die zugleich Zeugnis von Schwerelosigkeit und Niederlage ist. Dann fällt ein Schuss und erschüttert das Paradies erneut in seinen Grundfesten. Der Tanz geht trotzdem weiter.

Guava Island © Amazon