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The Commuter – Kritik

Eine der spannendsten Regie-Karrieren der vergangenen Jahre hat zweifelsohne Jaume Collet-Serra hingelegt. Oft belächelt verbirgt sich hinter seinen Actionfilmen deutlich mehr, als das reißerische Poster erwarten lässt. Dort befindet sich für gewöhnlich ein Mann mit Waffe oder zuletzt die leicht bekleidete Frau im Angesicht des Monsters aus der Tiefe, das sie früher oder später in Stücke reißen wird. Wer sich jedoch auf die Geschichten einlässt, die Jaume Collet-Serra  in seinen Filmen erzählt, erfährt deutlich mehr, als einen exploitativen Aufguss großer Kino-Mythen wie etwas jener des Weißen Haies, der begierig unter der Wasseroberfläche seine Kreise zieht, während die Damsel in distress um ihr Leben rudert. The Shallows mit der wunderbaren Blake Lively in der Hauptrolle entpuppte sich vor zwei Jahren etwa als mitreißendes wie elegantes Survival-Drama, das sich ausgefeilt seiner überschaubaren Prämisse näherte. Anno 2018 schließt sich Jaume Collet-Serra wieder mit Liam Neeson zusammen und ergänzt die im Geiste verbundene Reihe, die er einst mit Unknown Identity, Non-Stop und Run All Night begonnen hat, um einen vierten Eintrag.

The Commuter ist der Titel der jüngsten Kollaboration zwischen dem spanischen Filmemacher und seinem irischstämmigen Hauptdarsteller, der sich erneut als vom Schicksal enttäuschter Familienvater zur falschen Zeit am falschen Ort befindet. Eingeführt als bescheidener Versicherungsmakler, der sich mit den Opfern in seinem Leben arrangiert hat, pendelt Michael MacCauley (Liam Neeson) seit einer gefühlten Ewigkeit mit dem Hudson North Train von einem Vorort von New York City nach Manhattan, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Nach einem langen Tag, an dem er eine weitere Niederlage am eigenen Leib erfahren hat, soll eine Begegnung im Zug sein gesamtes Leben verändern, als die mysteriöse Joanna (Vera Farmiga) ihm ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann. Wenn Michael anhand zweier überaus unspezifischer Hinweise einen Passagier an Bord ausfindig macht, winkt ihm ein beachtlicher Obolus, der sämtliche Geldsorgen tilgen könnte. Sollte ihm dies jedoch nicht vor Ablauf der Frist gelingen, befinden sich sämtliche Mitreisenden sowie seine Familie in Gefahr.

Das Drehbuch aus der Feder von Byron Willinger, Philip de Blasi und Ryan Engle kommt schnell zur Sache und Jaume Collet-Serra kann es gar nicht erwarten, nach der großartigen, einleitenden Montage, in der sein Protagonist sowie dessen Umfeld gekonnt etabliert wird, die verschiedenen Abteile des Hudson North Train zu erkunden. The Commuter offenbart sich dabei in erster Linie gar nicht als der adrenalingeladener Action-Thriller, der aufgeregt von einem Set piece zum anderen hechtet, sondern als interessierte Studie über die Menschen, die sich in den zunehmend klaustrophobisch werdenden Abteilen des Zuges befinden. Manchmal sind die Gesichter, denen Michael im Vorbeigehen begegnet vertraut, manchmal gehören sie aber auch Fremden, deren wahre Anliegen ein Rätsel sind. Alleine durch Jaume Collet-Serras präzise Beobachtungsfähigkeit erfahren wir durch Michaels Augen trotzdem unheimlich viel über die Umgebung – inklusive der Stationen, die verschwommen im Hintergrund vor­bei­rau­schen und aufgrund der Geschwindigkeit unerreichbar wirken. Dennoch hinterlassen die wenigen Details, die aufmerksam eingefangen werden, maximale Eindrücke.

Da wäre zum Beispiel die Hektik der Großstadt, die nach und nach der verborgenen Suburbia-Idylle weicht. Wo sich anfangs die Menschen dicht an dicht ins Abteil quetschen, um nach Feierabend den ersten Zug nach Hause zu erwischen, leeren sich die filmischen Räume im Verlauf der Zeit und die Hochhäuser weichen dem Anblick von Bäumen, die von der untergehenden Sonne vergoldet werden. Die Schein der Übersicht täuscht allerdings, denn Jaume Collet-Serra nimmt nicht das Tempo aus der Erzählung, sondern weiß dieses geschickt zu variieren, sodass The Commuter ungeachtet der Besatzung stets unter Strom steht. Im Großen peitscht die Suche nach der zum MacGuffin deklarierten Person die Spannungskurve nach oben. Im Kleinen sind es die konkreten Auseinandersetzungen, die Michael von einem Abteil ins andere stolpern lassen, als wären die geradlinig aneinandergereihten Wagons ein unendliches Labyrinth, aus dem es kein Entkommen gibt. Dafür schlummern hier die vielen heimlichen Geschichten der Wegbegleiter, die als Komplizen, Gegenspieler und unerwartet Verbündete auftreten.

Mit sicherer Hand führt Jaume Collet-Serra durch diese Welt, die sich geradezu in Echtzeit entfaltet, ehe sie sich im finalen Akt – sprichwörtlich – überschlägt und aus den Fugen gerät. Wo Jaume Sollet-Serra den Überlebenskampf von The Shallows hoch konzentriert bis auf die letzte Sekunde inszenierte, lässt er sich im Fall von The Commuter schlicht von der gewaltigen Energie mitreißen, die sich in der Bewegung dieses polternden Blechmonsters verbirgt, das unabwendbar auf die Endstation zusteuert. Dann folgt Schlag auf Schlag ein enthüllender Moment und Michaels Gerechtigkeitskampf findet in einer deutlich größere Liga statt als jener, in der er bisweilen seine Kämpfe ausgetragen hat. Während sich das Puzzle der Handlung beinahe von selbst vervollständigt, kehrt Jaume Collet-Serra trotz der ausufernden Auflösung in den letzten Atemzügen des Films zum schlichten Beginn des Abenteuers zurück und erfüllt die aufrichtige Vorstellung seines Helden von Gerechtigkeit. Selbst wenn The Commuter ab einem gewissen Punkt mit den eigenen Themen nicht mehr mithalten kann, bleibt an dieser Stelle die packende Fahrt durch Amerikas Unterbewusstsein.

The Commuter © Studiocanal