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The Hate U Give – Kritik

Wenn der Vater in den ersten Minuten von The Hate U Give, der Verfilmung von Angie Thomas gleichnamigen Roman, seinen Kindern „The Talk“ gibt, lauert der Tod bereits im Verborgenen. Herzzerreißend gestaltet sich der Prolog, denn Maverick Carter (Russell Hornsby) berichtet davon, wie man sich als Schwarzer bei einer Polizeikontrolle verhalten soll, um nicht erschossen zu werden. Der drastische Einstieg dient als Vorbote der tragischen Ereignisse, die einige Jahre später das Leben der jungen Starr (Amandla Sternberg) erschüttern: Das Wiedersehen mit einem Freund aus Kindheitstagen, Khalil (Algee Smith), endet mit der eingangs beschriebenen Situation – und einem Schuss, der Welten zum Einsturz bringt, obwohl der Junge nur nach ein Bürste gegriffen hat.

Dieser Moment versetzt den Film in eine Schockstarre, während Regisseur George Tillman Jr. und Drehbuchautorin Audrey Wells die emotionale Tragweite sowie die sozialen Hintergründe begreifbar machen. The Hate U Give setzt an einem komplexen Punkt ein, schreckt jedoch keineswegs davor zurück, die angerissenen Themen angemessen aufzuarbeiten und zu vertiefen. Der Diskurs geht dabei von Polizeigewalt und der Black Lives Matter-Bewegung über die Doppelmoral von System und Gesellschaft bis hin zum Code-Switching und den Problemen, die aus Bandenkriminalität entsteht. Zahlreiche Konflikte tun sich hier auf – und trotzdem verliert der Film zwischen seinen großen Fragestellungen nie den Fokus auf seine Protagonistin.

Starr ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Ihre Erlebnisse, ihre Gefühle bestimmen den Verlauf des Gezeigten, obwohl es über viele Passagen hinweg so wirkt, als würde ihr gesamtes Leben ausschließlich von der (Rassen-)Gewalt um sie herum definiert werden. Sowohl in Garden Heights, dem schwarzen Viertel, in dem Starr mit ihrer Familie lebt, als auch in der privaten High School Williamson Prep, die sich in einer weißen Gegend befindet, ist sie eine Außenseiterin, die jeden Tag mit dem Teufelskreis konfrontiert wird, der sich aus der angespannten Situation ergibt und in Anlehnung an Rapper Tupac Shakur auch im Titel des Films verewigt ist. Während ihr Vater an eine Zukunft in Garden Heights glaubt, sieht ihre Mutter lediglich die Opfer, die dieser Optimismus fordert.

Über die sehr gut ausgearbeiteten Nebenfiguren transportiert The Hate U Give folglich viele bekannte Argumente der grundlegenden Diskussion, während Starr versucht, ihre eigene Stimme zu finden. Ab hier funktioniert The Hate U Give genauso gut als Coming-of-Age-Geschichte wie als Sozialdrama, ohne eine der beiden Seiten zu vernachlässigen. George Tillman Jr. vermag es, die vielen verschiedenen Aspekte erzählerisch mit einer unglaublichen Ruhe und Überzeugung zu vereinen, selbst wenn er die zwei Welten seines Films dafür inszenatorisch auseinanderreißen muss, um die Unterschiede aufzuzeigen. Am deutlichsten wird das durch die warmen, lebendigen Farben, in die sich Garden Heights hüllt. Auf der Williamson Prep dominiert derweil ein kühles, reserviertes Blau.

In beiden Welten ist Starr aufgewachsen. Fließend spricht sie die Sprachen ihrer Umgebung und weiß, sich anzupassen bzw. unsichtbar zu werden. Je weiter die Handlung aber voranschreitet, desto weniger fühlt sie sich in einer dieser zwei Welten zu Hause. Freundschaften zerbrechen, ihre eigene Familie gerät unter Druck und der Medienapparat provoziert mit seiner Neugier. Eine bedrohliche Unruhe breitet sich aus, denn auf der Suche nach ihrer eigenen Stimme, ihrer Identität beginnt Starr, den ungeschrieben Gesetzen von Garden Heights und Williamson Prep zu widersprechen. Wo sie anfangs verängstigt ihr Smartphone fallen lässt, nachdem sie grob von einem Polizisten dazu aufgefordert wurde, will sich Starr nicht mehr länger verstecken.

Wenn Starr das zweite Mal ihr Smartphone hervorholt, um die brutalen Handlungen der Polizei zu filmen, sieht alles so aus, als würden wir ein Déjà-vu dieser schicksalhaften Begegnung erleben. Doch dann platzt es aus ihr heraus: „I have a right to record this.“ Worte, die lauter sind als Schüsse und den gesamten Film über nachhallen: Meisterhaft baut George Tillman Jr. Momente wie diesen auf und beschäftigt sich im Anschluss mit den Folgen der aufwühlenden Ereignisse. Nur durch dieses Sichtbarmachen und den Mut, den es dafür braucht, ist Veränderung möglich. The Hate U Give erweist sich dabei als eloquent vorgetragenes und überaus reflektiertes Werk, das den Dialog fördert und auf einer zutiefst menschlichen Ebene berührt.

The Hate U Give © 20th Century Fox