Deadpool ist frech, Deadpool ist ungezogen. In einer Welt, in der Marvel-Filme – insbesondere im Hinblick auf das Marvel Cinematic Universe – zunehmend an Bissigkeit verlieren, will der von Ryan Reynolds verkörperte Antiheld sein R-Rating in vollen Zügen auskosten und sich darüber hinaus als richtende Instanz über sämtliche Comic-Verfilmungen erheben. Vor zwei Jahren machte sich der vorlaute Frechdachs in rot-schwarzer Montur über seine Superhelden-Kollegen sowie sich selbst lustig und erntete beim Publikum und der Kritik überwiegend Beifall. Sogar als mutig und gewagt wurde der erste Deadpool-Film umschrieben, wusste das Drehbuch stets mit einem weiteren One-liner die Gegebenheiten des Superhelden-Kinos auf den Kopf zu stellen und mit ironischen Kommentar entlarven. Schlussendlich konnte sich aber auch Deadpool den Konvention seiner Gattung nicht entziehen, was einer doppelten Niederlage gleichkommt. Die Fortsetzung Deadpool 2 kämpft mit dem gleichen Problem.
Mit triumphaler Geste glaubte der Klassenclown im Pausenraum der Marvel-Helden eben noch ein selbstionisches Feuerwerk abgefeuert zu haben, da entblößt er sich selbst den eigenen Zwängen und beugt sich einem der ältesten Gesetze der Filmindustrie: Was Erfolg hat bedarf eines zweiten Teils – vor allem dann, wenn das weltweite Einspielergebnis weit über 700 Millionen Dollar beträgt. Obwohl er es weiterhin gerne von sich behauptet, ist Deadpool mit solch stolzen Zahlen definitiv kein Underdog mehr und den jüngsten X-Men-Filme in puncto Lukrativität weit überlegen. So cool wie Wolverine ist er trotz des Box-Office-Vorsprung sowie seiner unerträglich zynischen und ermüdend politisch unkorrekten Sprüche nicht. Das muss er auch gleich zu Beginn seines Sequels feststellen, als er sich an Hugh Jackmans wahrlich erhabene Abschiedsvorstellung in Logan erinnert. Bereits mit dieser Erkenntnis hat Deadpool 2 jedoch im Grunde schon verloren, denn über den Schatten kann er sich nie hinwegsetzen.
Deadpool 2 besitzt erschreckend wenig Eigenleben und fokussiert sich stattdessen in erster Linie darauf, große Gesten nachzuahmen. Das Timing könnte – gerade im Bezug auf Avengers: Infinity War und Josh Brolins doppelte Antagonisten-Pflicht – kaum besser sein. Dennoch erweist sich der Film als enttäuschender Kommentar auf den Status quo der Superhelden-Landschaft, die durchaus ein paar aufwühlende Worte vertragen könnte. Die meisten Gags wirken jedoch dermaßen überholt, dass mit jeder weiteren Minute, die vergeht, der Wunsch nach einem Wiedersehen mit The LEGO Batman Movie größer wird. Denn dieser vermochte es nicht nur, seine Vorbilder durch den Kakao zu ziehen, sondern sich selbst in einen richtig guter Batman-Film zu verwandeln. Wie schon sein Vorgänger scheitert Deadpool 2 bei diesem Balanceakt, ganz egal, wie verzweifelt im Off-Kommentar behauptet wird, dass es sich hier um eine persönliche, eine emotionale Familiengeschichte handelt, die raffiniert Erwartungen unterläuft.
Was folgt, ist jedoch ein unglückliches Wirrwarr an unüberlegten Sequenzen, die bestenfalls im Augenblick funktionieren, auf die Distanz aber bloß im Widerspruch zueinander stehen. Natürlich könnte bei einem altklugen Zeitgenossen wie Deadpool argumentiert werden, dass dieses Chaos alles Teil des Konzepts ist, gegen des holprigen Verlaufs der Erzählung hilft diese Entschuldigung trotzdem nur bedingt. Wenigstens erweist sich Atomic Blond-Regisseur David Leitch als Bereicherung auf dem Regiestuhl, der Tim Millers unterirdische Inszenierung des ersten Teils mit einigen visuellen Ideen entgegentritt, obgleich er sein Können – auch in den Actionszenen – viel zu selten demonstrieren kann. Die Hauptattraktion dieses blutigen Unterfangens ist nach wie vor Ryan Reynolds, der hingebungsvoll mit seiner Rolle verschmilzt, es damit seinen Co-Stars allerdings schwer macht, eigene Akzente zu setzen. Besonders Zazie Beetz, die aktuell in der FX-Dramedy Atlanta begeistert, kann ihre Domino kaum vernünftig als neue Figur im Ensemble etablieren.
Das verschwendete Talent in der Deadpool-Reihe nimmt von Minute zu Minute zu, während ebenso rasant Versprechen gebrochen und Chancen vertan werden. Niemals verwandelt sich der Film in eine anarchische Bestie, die sich in den Bereich des Bodenlosen wagt und wirklich dafür sorgt, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Zwar mag Deadpool 2 oberflächlich anecken, tief in seinem Inneren verfolgt er aber doch die Harmonie einer klassischen Superhelden-Geschichte inklusive dem Streben nach einem moralischen Kompass. Im Zusammenspiel mit den derben Gewaltausbrüchen resultiert daraus ein extrem uneinheitliches Bild, das im besten Fall irritierend, im schlimmsten Fall verklärend und bedenklich ist. Von Konsequenz ist hier keine Spur zu entdecken. Stattdessen lässt sich die Handlung biegen und dehnen, bis jeglicher Anspruch auf das eingangs erwähnte Image verloren ist. Deadpool 2 ist nicht frech und auch nicht ungezogen, sondern höchstens ein Missverständnis, das sich trotzdem feiert.
Deadpool 2 © 20th Century Fox
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