Seit ein paar Tagen ist das Harry Potter-Universum um einiges größer geworden. Nachdem J.K. Rowling bereits im Sommer diesen Jahres mit Harry Potter and the Cursed Child die Geschichte des Jungen, der überlebte, um ein weiteres Kapitel erweitert hat, entführt Fantastic Beasts and Where to Find Them in einen völlig neuen Winkel der Zaubererwelt, den wir so bisher noch nicht auf der großen Leinwand gesehen haben. Das pulsierende New York der 1920er Jahre dient als Kulisse für Newt Scarmanders erstes Abenteuer. Von Hogwarts ist kaum noch die Rede. Nur in beiläufigen Referenzen fällt der Name der berühmten Schule für Hexerei und Zauberer, die sich im Herzen Schottlands befindet. Dabei waren diese alten Mauern eine Dekade lang die erste Anlaufstelle für ganz besondere (Kino-)Momente, die uns verzaubert haben. Welches die magischsten dieser Momente sind? Diese Frage habe ich ein paar Filmschreibenden gestellt und an dieser Stelle ihre wundervollen Antworten gesammelt.
Alex Matzkeit (@alexmatzkeit, real virtuality):
Obwohl ich sie fasziniert verfolgt habe, fand ich die Harry-Potter-Filme selten mehr als adäquate Bebilderungen der Bücher. Und ähnlich wie Rowlings Romane die meisten am Ende nicht durch ihren Plot beeindruckten, sondern durch ihre Ideen und Charaktere, waren das beste an den Filmen eigentlich immer die Schauspieler. Insofern ist auch mein magischster Moment nicht von Budenzauber geprägt, sondern kommt sogar ohne sichtbare Effekte aus. In „The Prisoner of Azkaban“ ist Hermione so wütend über den Plan, den Greifen Buckbeak zu töten, dass sie Draco Malfoy erst mit dem Zauberstab bedroht und ihm dann einen Sucker Punch verpasst.
Die drei Hauptfiguren tauchen hier zum ersten Mal seit langem nicht in Roben, sondern in Alltagskleidung auf. Die zu den Dreharbeiten gerade 13-jährige Emma Watson lässt erahnen, was für eine charismatische und schöne Frau mal aus ihr werden wird. Und von Hermione, die für mich immer die größte Identifikationsfigur war, bekommen wir endlich eine Seite jenseits der nervigen Besserwisserei zu sehen – als stolze Kämpferin für das Gute und grimmige Freundin. Das alles vor der neu gestalteten Hogwarts-Geografie von Alfonso Cuarón, die ohne Zuckerguss auskommt – über all die Jahre ist mir keine Szene so im Gedächtnis geblieben.
Rochus Wolff (@rrho, Kinderfilmblog):
Einer der wunderbarsten Zauber an J.K. Rowlings Welt war für mich immer, das sonst gewöhnliche Dinge auf einmal besonders werden konnten – so dass zum Beispiel Fotos und Gemälde in Bewegung geraten, sogar ein eigenes Leben haben. In den Büchern spielt das immer wieder eine große Rolle, aber das Magische an den Filmen ist, dass es sich als Alltagsgeschehen in den Hintergrund schleicht und so die Magie in der Welt von Harry Potter spürbar wird. Ein Beispiel: In Harry Potter und der Gefangene von Azkaban ist auf einmal die „Fat Lady“ verschwunden, die für gewöhnlich die Tür zum Gemeinschaftsraum von Gryffindor bewacht: Ihr Bild wurde zerstört. Nicht nur die Schüler und Lehrer sind aufgeregt, auch in allen Bildern rundherum ist Bewegung, Schrecken – eine Giraffe läuft sogar durch mehrere Bilder zugleich. Purer Zauber.
Hendrik Ruben Busch (@hokkaidokuerbis, moviepilot):
J. K. Rowling hat ja zu verstehen gegeben, sie bereue es, nicht Harry an der Stelle von Ron mit Hermine gepaart zu haben. Ich finde das schade, denn ich mag die Freundschaft zwischen Harry und Hermine, die in den Filmen fast noch ein wenig besser ausformuliert wird als in den Büchern, was vor allem an dieser einen Szene aus 7.1 liegt. Erst noch leise knackt darin ein melancholischer Song aus dem Zauber-Transistorradio, mit dem der abtrünnige Ron Todesnachrichten herbeigefürchtet hatte. Eine niedergeschlagene Hermine sitzt daneben, um sie herum die durch die dünnen Zeltwände spürbare Düsternis. Hoffnungslosigkeit steht dieser jungen Frau ins Gesicht geschrieben, die immer, gerade in diesem Teil, für alles eine Lösung findet.
Harry nähert sich ihr, legt seine Hände um ihren Hals und hätte sie jetzt auch küssen können, womit er den schlimmsten Befürchtungen seines besten Freundes nachkommen würde, aber er befreit Hermine lediglich von der Last des Medaillons und beginnt albern zu tanzen, worauf sich ein widerwilliges Lächeln in Hermines Gesicht schleicht. Dann drängt der Song, es ist Nick Cave mit O Children, aus der Diegese. Viele Schnitte, Lachen und aufrichtige Zuneigung zerstreuen alles Bedrohliche. Die eigentliche Errungenschaft dieser Szene ist aber ihre Beschreibung einer unfassbar reinen Freundschaft, zwischen einem Einzelkind, das seine Eltern vergessen ließ, dass es existiert, und einem Jungen, dessen einzige Familie schon immer seine Freunde waren.
Jenny Jecke (@gafferlein, The Gaffer):
Was genau ist magisch in den Harry Potter-Filmen? Szenen, die suggerieren, Magie werde ausgeübt? Geschwungene Hölzer, fluffige Bits und Bytes, bizarre Styling-Entscheidungen? Diese Fragen rauben mir nicht den Schlaf, aber ein Ansatz wäre: Die Columbus-Filme betrachten die Dursleys ebenso als „fantastische“ Wesen wie die peitschende Weide. Das kommt von Rowlings Dickens-Verehrung. Magie, das dezidiert Abwegige, ist überall und damit nirgends. Bei Cuarón wirkt der Dursley-Haushalt durchschnittlicher und in seiner Durchschnittlichkeit bestechend fies, ein bissel Kitchen Sink-Drama schleicht sich ein. So wird ein ästhetischer Bruch zwischen Muggel-Alltag und Magie ermöglicht, als Harry die bösartige Tante Marge cartoonartig aufbläst und davon fliegen lässt. Vielleicht nicht der magischste Potter-Moment, dafür der erste echte magische Moment der Reihe, passenderweise dank eines Angry Young Man.
Katrin Doerksen (@katrindoerksen, L’âge D’or):
Sich nur einen persönlichen magischsten Moment aus den Harry Potter-Filmen auszusuchen, ist in etwa so schwierig wie sich endgültig zwischen Schokofröschen oder Kesselkuchen zu entscheiden: unmöglich. Immer im Kopf geblieben ist mir aber das Ende des sechsten Teils – Harry Potter und der Halbblutprinz. Snape hat gerade Dumbledore umgebracht und die Bewohner Hogwarts’ versammeln sich vor der Schule, um des Schulleiters zu gedenken. Todtraurig, schon bei der Lektüre des Buches hatte ich nicht an mich halten können. Es ist keine Szene, die auf bloße sentimentale Überwältigung abzielt.
Sie ist beim ersten Schauen traurig – und beim zweiten Mal in Kenntnis der vollen Wahrheit um die Konstellation Harry-Snape-Dumbledore und alle damit verbundenen Opfer umso mehr. Aber dieser Traurigkeit wohnt das Magische inne, das die Harry Potter-Story im Kern ausmacht. Nicht nur, dass sie so reich ist, dass man bei jeder Neusichtung andere Details und Perspektiven entdeckt. Sie funktioniert auch so gut als gigantische Parabel. Im Angesicht des ultimativen Grauens versammelt sich die Gesellschaft, um in kollektiv empfundener Trauer die Zauberstäbe zu erheben. Die Symboltat als Ankündigung des tatkräftigen Kampfes. Ob wir das vielleicht auf die Realität übertragen könnten?
Lucas Barwenczik (@Kinomensch, Longtake):
Als ich in die fünfte Klasse ging, trug ich eine offizielle Harry-Potter-Brille mit Blitz auf dem Steg. Eigentlich ein seltsames Produkt: Eine Narbensimulation, eine virtuelle Versehrung. Ich kann mich vage darin erinnern, Daniel Radcliffe als Harry abzulehnen. Ich selbst, so dachte ich, wäre mit meinen wirren schwarzen Haaren doch eine deutlich treffendere Wahl gewesen. So sah ich die ersten beiden Filme mit kühler Distanz, und redete mir in einem Anfall von präpubertärer Überheblichkeit ein, dem Alter für Zauberei längst entwachsen zu sein. (Zumindest auf der Leinwand, gelesen wurde natürlich weiterhin).
Meinen magischen Moment erlebte ich also erst Jahre später, im Heimkino. In einer der zentralen Szenen aus „Der Gefangene von Askaban“ gelingt Harry zum ersten Mal der mächtige Patronuszauber. Er tritt in die Fußstapfen seines Vaters, ohne die Jugend abzulegen. Die große Heldengeste, die das Bildschirmdunkel mit Licht erfüllt, offenbarte mir plötzlich die Figur aus den Büchern, die ich jahrelang unterbewusst mit mir selbst besetzt hatte. Vor meinen Augen verwandelte sich ein Scharlatan in einen Helden. Wahrscheinlich ist es einfacher, falsche Narben und gespielten Wagemut anzuerkennen, wenn sie einem selbst nicht mehr so viel bedeuten.
Nikolas Friedrich (@noergolas, Lethal Critics):
Das Logo der Warner Brothers inmitten schwarzgrauer Gewitterwolken. Ein fernes, unheilvolles Donnergrollen. Dann Kamerablitze, so ohrenbetäubend laut wie Kanonenschläge. Harry Potter, der Junge der überlebt hat, steht nur wenige Momente nach dem Tod seines Patenonkels im aggressiven Paparazzilicht. Sein Blick ist starr, leer, ungläubig. Wenn Steve Kloves und David Yates zu Beginn des sechsten Teils noch einmal den traumatischen Tod von Sirius Black aufgreifen, beschwören sie eine finstere, poetische Traurigkeit herauf, die die Potter-Reihe bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen hat – und erzählen in kurzer Zeit und mit wenig Worten mehr über Harrys tragisches Schicksal und seine Beziehung zu Dumbledore als je zuvor. Ein ewiger Gänsehautmoment, der Abgesang auf die Unschuldsmagie früherer Abenteuer und vermutlich die beste Szene der ganzen Reihe.
Sascha Brittner (@reeft, PewPewPew):
Es sagt wahrscheinlich viel über meine Beziehung zum Stoff aus, genau den Moment aus den acht Filmen zu wählen, der weder Magie noch den für die Potter-Reihe typischen Charme versprüht. Meine Wahl fällt nämlich auf die Verfolgungsjagd im Wald aus Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 1, der etwas vergessene Potter-Film kurz vor dem Ende, ohne dessen Vorlage das Finale tonal nicht funktionieren würde. Im Grunde genommen handelt es sich um einen Detektiv/Heist-Film in einer magischen Dystopie, deren Konsequenzen glaubhaft real realisiert wurden. Im Kontext der Reihe ist dieser Teil enorm düster, trostlos und vor allem unnachgiebig sowie knallhart hinsichtlich der Gewaltdarstellung und den Konsequenzen des illegalen Regimewechsels.
Yates gelingt es in dieser Episode eine dunkle Welt zu kreieren, gefüllt mit wunderschön trostlosen Bildern, die das Scheitern der Mission der Hauptfiguren gefühlvoll untermalen. Gerade als es dann mal danach aussieht, als ob Harry und seinen Freunde ein kleiner Fortschritt gelingt, stürzt Yates die geliebten Hauptfiguren in eine kompromisslose Verfolgungsjagd. Die sonst großartige Filmmusik von Alexandre Desplat wagt sich gar nicht erst, die Realität dieses Moments zu unterlegen. Die Dissidenten werden vom System gejagt, realweltliche Bezüge – sofern bisher nur erahnt – werden schlagartig bewusst. Und so konzentriert man sich auf das Leiden der Figuren.
Auf ihr Hecheln, auf die verängstigten Schreie, auf die Geräusche des Waldes, wie die Äste, die unter den schnellen Schritten und nahe einschlagenden Zaubersprüchen zerbersten. Deathly Hallows Teil 1 ist ein Film über das Verlieren, über den Zusammenhalt im Augenblick des Verlusts. Insofern ist es keine Überraschung, dass die Snatcher Harry, Hermine und Ron am Ende einholen und in den Kerker werfen, wo sie später gefoltert werden. Während die epischen Belange der Filmreihe zuvor oft nur in groben Zügen gelangen, erfährt Harrys Mission hier eine ungeschminkte Wahrheit: Entweder gelingt das Vorhaben, oder die Welt verweilt in diesem dunklen Zeitalter.
Matthias Hopf (@Beeeblebrox, Das Film Feuilleton):
Eigentlich wollte ich ebenfalls die O Children-Szene nennen. Nachdem Hendrik nun schneller war und ich das andernorts schon getan habe, nutze ich die Chance, um einen Moment zu erwähnen, der mir beim letzten Rewatch der Filme so bewusst in Erinnerung geblieben ist wie noch nie zuvor. Am Ende von Harry Potter and the Order of the Phoenix, nachdem Sirius’ Tod bereits ein emotionales Vakuum hinterlassen hat, erschafft David Yates eine weitere Sequenz, die gleichermaßen Magie entfesselt wie Tränen provoziert. Zuerst ist da dieses überlebensgroße Duell zwischen Voldemort und Dumbledore, das in den unterirdischen Gängen des Zaubereiministeriums die Elemente in ihren Grundfesten erschüttert und ein unglaubliches Schlachtfeld übrig lässt.
Atemraubende Farben und Formen vereinen sich in einem furiosen Bewegungssturm, der schlussendlich von einem der zerbrechlichsten Augenblicke überhaupt abgelöst wird: Harry liegt verkrampft am Boden, im Staub des bevorstehenden Weltuntergangs, und Voldemort hat Besitz von ihm ergriffen. Eine Gefahr, die den ganzen Film über gelauert hat, ist aller verhindernden Maßnahmen zum Trotz eingetreten und droht, die letze Bastion des Widerstand aus dem Inneren heraus zu zerstören. Nicholas Hoopers eindringliche Komposition Possession offenbart die vernichtende Tragweite dieser Übernahme. Doch es geht nicht darum, wie sehr sich Harry und Voldemort ähneln. Es geht darum, wie sehr sie sich unterscheiden: „You’re the weak one. And you’ll never know love, or friendship. And I feel sorry for you.“
Vielen Dank an alle Beitragenden! ♥
Harry Potter © Warner Bros.
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