August Diehl stand im Regen, als er mit Terrence Malick telefonierte. Kurz zuvor erhielt er die Zusage für die Rolle des Franz Jägerstätter in Malicks neuem Film, A Hidden Life, der hierzulande unter dem Titel Ein verborgenes Leben in die Kinos kommt. Da sprach er nun mit einem der größten Filmemacher unserer Zeit über Gott und die Welt und suchte unter einem Hauseingang Zuflucht vor den auf die Erde prasselnden Regentropfen, wie er einer Gruppe von Journalisten am Ende eines langen Interviewtags im Dezember in Berlin erzählt.
Inzwischen befindet sich August Diehl in den Vorbereitungen für ein neues Theaterstück, das im Januar seine Premiere feiern soll. Dennoch findet er dieser Tage immer wieder zurück in die Welt von A Hidden Life und erinnert sich an eine außergewöhnliche Erfahrung, die seit über drei Jahren andauert. Selbst wenn die Dreharbeiten längst abgeschlossen sind und die Uraufführung bei den Filmfestspielen von Cannes ebenfalls einige Monate zurückliegt, ist die Reise für August Diehl noch lange nicht abgeschlossen.
Als „ewigen Austausch“ beschreibt er die Gespräche, die er nach wie vor mit Terrence Malick führt, allerdings nicht mehr hektisch an einem regnerischen Tag mitten auf der Straße. Stattdessen wirkt er ruhig und gelassen, bei vielen Fragen nachdenklich und gewissenhaft, auch wenn ihm die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben steht. Sobald er über die Zusammenarbeit mit Terrence Malick redet, die er als „wunderbar“ und „wunderschön“ bezeichnet, berichtet er jedoch begeistert von einer „eigenwilligen“, aber niemals „schwierigen“ Produktion.
Terrence Malick lädt zum Filmemachen ein
„Er ist jemand, der einen unglaublich einlädt und es schafft, dass man ihn kennenlernt“, skizziert August Diehl den Regisseur, der zuletzt vor allem schwebende Orte der Unendlichkeit erforschte. Mit A Hidden Life entfernt sich Terrence Malick wieder ein bisschen von den assoziativen Bilderstürmen, die sein Schaffen seit The Tree of Life auszeichnen. Viele der behutsamen, intimen Beobachtungen von Berührungen, wie sie zuletzt auch Song to Song in eine einnehmende Kinoerfahrung verwandelt haben, sind trotzdem geblieben.
Und ist die Kuh heute gut drauf?
Besonders die Vertrautheit und Wärme, die Terrence Malick schafft, weiß August Diehl zu schätzen. “Das ist eine ganz große Qualität von ihm. Er ist einfach ein unglaublicher Mensch.“ Sein Schaffensprozess kann jedoch ebenso zu Verunsicherung führen, hält er sich keineswegs an die Konventionen des Filmemachens. Für August Diehl war es aber kein Problem, das notwendige Vertrauen gegenüber dem Regisseur mitzubringen und sich somit vollständig auf den Dreh einzulassen.
„Man denkt gar nicht mehr so stark während dem Drehen darüber nach: ‚Was wird das jetzt für ein Film?‘ Wir waren so stark in dieser Sache drin, dass wir diese Aussensicht gar nicht mehr hatten. Ich kann mich erinnern, dass es ganze Tage lang so war, dass man nur zur Arbeit fuhr, aber nicht zu einem Set. Man hat irgendwann darüber nachgedacht, dass man das Heu da oben am Hang noch wenden muss, weil es sonst fault. Und ist die Kuh heute gut drauf?“
Auf den Spuren von Franz Jägerstätter
Um die Geschichte des österreichischen Landwirts Franz Jägerstätter zu erzählen, der aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigerte und dafür 1943 von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde, hat sich August Diehl nicht nur mit dem Lesen von Briefen vorbereitet, die Franz Jägerstätter aus der Gefangenschaft schrieb. Stattdessen ging es ebenfalls darum, das landwirtschaftliche Handwerk zu erlernen. „Wir haben richtig auf dem Land gearbeitet“, stellt August Diehl rückblickend auf die Dreharbeiten in den Dolomiten fest. „Es war eigentlich ein richtiges Leben als Bauer.“
Aufmerksam hat Terrence Malick alles beobachtet, was er in der Gebirgsgruppe entdecken konnte. „Die Takes hatten eine Durchschnittsdauer von 28 Minuten“, erläutert August Diehl, ehe er den kniffligsten Teil der Dreharbeiten offenbart: „Als Schauspieler kann man 10 Minuten was machen und denkt: ‚Das ist interessant.’ Dann aber fällt man in ein Loch und es wird alles langweilig. Irgendwann weiß man gar nicht mehr weiter, sitzt auf einer Bank und guckt ins Tal runter – und das ist unter Umständen genau der Moment, den er wollte.“
August Diehl beschreibt den Prozess als das „Eintauchen in eine Welt und eine bestimmte Art von Stimmung und Musik.“ Als Schauspieler ist genau dieses Eintauchen ein entscheidender Teil seiner Aufgabe. „Ich habe irgendwann gar nicht mehr darüber nachgedacht, was wegfällt. Was ein ganz positiver Effekt ist: Man kontrolliert sich nicht mehr und denkt gar nicht mehr darüber nach, was spannend oder nicht spannend, was gut oder schlecht ist. Darum geht es gar nicht.“
Ich glaube, ich wäre beunruhigt gewesen, wenn niemand mehr dagesessen wäre und ich allein auf der Wiese gelegen hätte.
Sich auf diese Reise mit einem Regisseur einzulassen, kann mitunter auch anstrengend werden. So anstrengend, „dass ich einmal auf der Wiese einfach eingeschlafen bin.“ Als er aufwachte, war da plötzlich die Kamera und beobachtete ihn. „Ich glaube, ich wäre beunruhigt gewesen, wenn niemand mehr dagesessen wäre und ich allein auf der Wiese gelegen hätte“, beendet August Diehl die Anekdote vom Set. Nach dem Abschluss der Dreharbeiten war er aber noch über 25 Mal im Tonstudio, um diverse Voice-over-Spuren aufzunehmen.
Der Mut, sich gegen den Konsens zu stellen
Intensiv hat sich August Diehl mit der Person von Franz Jägerstätter auseinandergesetzt. Vor allem das „Nein“ hat ihn nicht mehr losgelassen: „Wir leben in einer Zeit, in der das ‚Nein‘ und das unbequeme ‚Ich nicht‘ immer weniger werden.“ Dabei bräuchte es genau wieder diesen Mut, sich gegen den großen Konsens zu stellen und die politische Komponente einer persönlichen Entscheidung in Kauf zu nehmen. Einfach „Nein“ sagen – das ist „die leiseste Art von Widerstand“ und trotzdem oder gerade deswegen die schwierigste.
Doch wozu sagt August Diehl „Nein“? Für einen Moment zieht sich der Schauspieler in seine Gedanken zurück. „Da sehen Sie, da fängt es schon an. Weiß ich nicht. Müsste ich mal drüber nachdenken“, gesteht er nach einer kurzen Pause. Anschließend kommt er auf den religiösen Aspekt des Films zu sprechen. Hier geht es um die Frage nach dem Glauben und wie sehr dieser mit der Institution der Kirche verbunden ist. „Überhaupt nicht“, lautet die knappe Antwort. Stattdessen versteht Diehl die Glaubensfrage vielmehr als Gewissensfrage.
Dass Menschen zu töten falsch ist – das würde kein Kind diskutieren.
„Es geht um etwas ganz Einfaches, es ist das, was wir als Kind alle hatten, nämlich das ganz klare Bewusstsein davon, was richtig und was falsch ist. Jedes Kind auf dem ganzen Planeten weiß, was richtig und was falsch ist. Dass Menschen zu töten falsch ist – das würde kein Kind diskutieren. Nicht einmal eine Sekunde. Aber wenn wir älter und erwachsen werden und so viele verschiedene Blickpunkte und Informationen haben, die das Thema relevant machen, dann fangen wir plötzlich an zu diskutieren.“
Leidenschaftlich steigert sich August Diehl in die Perspektive von Franz Jägerstätter hinein, der dieses innere Kind nie verloren und dadurch einen Widerstand geleistet hat, mit dem die erwachsene Welt um ihn herum überfordert war. Eine gewisse Sturheit ist dabei von Nöten. Doch August Diehl kann sie sehr gut nachvollziehen. Auch als Schauspieler hat er manchmal das Gefühl, seine Kindheit einfach fortzusetzen und sich dem Erwachsenwerden zu verweigern.
Das Filmemachen als gemeinsames Entdecken
Abseits der gewichtigen Themen von A Hidden Life taucht später eine praktische Frage im Bezug auf den Einsatz der Sprache auf. Entgegen der historischen Hintergründe sprechen die Schauspieler vorrangig Englisch, nur im Hintergrund sind vereinzelt deutschsprachige Satzfetzen zu vernehmen. Es ist eine Mischung, die den Zuschauer durchaus irritieren, womöglich sogar aus dem Film herausreißen kann. August Diehl ist das anfangs auch aufgefallen, doch schon bald hatte er diese Diskrepanz komplett vergessen.
Das Licht, würde ich sagen, ist das Allerwichtigste in all seinen Filmen.
„Bei Terrence geht es gar nicht so stark wie bei anderen Regisseuren um Sprache als Information, sondern es ist eher etwas Musikalisches.“ Dabei betont er ebenfalls den Unterschied zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Gerade bei der Adaption eines historischen Stoffs verschwimmen hier die Grenzen, doch „in einem Spielfilm geht es überhaupt nicht darum, wie es wirklich war, sondern um eine persönlich Sichtweise des Regisseurs, der auf eine bestimmte Art und Weise eine Geschichte erzählt.“
Die Geschichte, die Terrence Malick am liebsten erzählt, ist womöglich aber weder die der Sprache noch die des Glaubens und des Gewissens. „Das Licht, würde ich sagen, ist das Allerwichtigste in all seinen Filmen“, resümiert August Diehl an anderer Stelle. „Es gibt nichts, das wichtiger ist. Es kommt erstmal das Licht. Und dann kommt lange nichts und dann vielleicht die Schauspieler.“ Ausgegrenzt wird trotzdem niemand. Als etwas Gemeinschaftliches versteht Terrence Malick das Filmemachen. August Diehl nennt es „das gemeinsame Entdecken.“
Das Interview wurde zur Leserlichkeit gekürzt und verdichtet. A Hidden Life startet am 31. Januar 2019 in den deutschen Kinos.
A Hidden Life © Pandora Filmverleih
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