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A.I. Artificial Intelligence – Kritik

Am Anfang: die Wogen des Meeres, ein Tosen, ein Toben, ein Grollen. Ganz unbarmherzig treffen die Wassermassen aufeinander und brechen in sich zusammen. Ein Gewaltakt der Natur, unabwendbar und dennoch ein Augenblick voller Würde und Vollkommenheit. Elegant, geradezu andächtig geht die Welt zu Grunde. Schlussendlich bleiben von diesem monströsen Schauspiel nur Regentropfen übrig, die sich ihren Weg an einer Glasscheibe entlang bahnen. Unangenehm beruhigend plätschern, strömen und fließen sie nach dem verheerenden Sturm von der unberührt glatten Oberfläche herab und offenbaren die Silhouette von dem, was überlebt hat: eine Gestalt – unkenntlich, ob Mensch, ob Maschine. Der Wandel der Zeit hat alles ins Chaos gestürzt und von althergebrachten Wahrheiten existieren bloß Erinnerungen, am ehesten in Sehnsüchte, Träume und Wünsche verpackt. Die Menschheit durchläuft im fortgeschrittenem Stadium eine Phase, die bereits als Wiederholung gewertet werden kann, wie es eine der Schöpfungen im späteren Verlauf von A.I. Artificial Intelligence im Angesicht des Todes verlauten lässt.

Gefangen im Kreislauf der Existenz, ist es vor allem die Existenzangst, die das Grauen beschwört, die Moral wie Ethik auf die Probe stellt, ja, sie regelrecht herausfordert. Dass alles eine moralische Frage ist, eruiert Steven Spielberg in Windeseile, sogar noch bevor das emotionale Gewicht die Überhand gewinnt. Trotzdem oder gerade deswegen kann es sich der zum Schöpfer gewordene Mensch zu Beginn erlauben, diese undurchsichtige Grenze an Werten zu überwinden und zu provozieren – aus welchen Beweggründen auch immer. Sobald Pinocchio jedoch das Licht der Welt erblickt, beginnt die wahre Prüfung. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen. Egal wie hingebungsvoll sich der Macher dem Mecha widmet, wird es immer diese gewisse Verantwortung geben, die sich jenseits kalkulierbarer Entwicklungen entfaltet. Verantwortung universeller Natur, die womöglich schon die Antwort auf die Frage nach dem Leben, den Sinn und den ganzen Rest in sich birgt. Am Ende versucht das mechanisch-humanoide Überbleibsel der Menschheit, wieder zu seinem Ursprung zurückzufinden, um die elementaren Rätsel der Existenz zu verstehen.

Come away O human child / To the waters and the wild / With a fairy hand in hand / For the world’s more full of weeping / Than you can understand.

Eine richtige Antwort, so scheint es, sucht in dieser Zukunft indes niemand mehr, wenngleich Ausgrabungen unermesslichen Ausmaßes stattfinden. In der Geschichte wühlen, Überreste bergen und Geschehenes rekapitulieren: Das alles sind Maßnahmen, die der Fortschritt von selbst erledigt. Was zum Schluss dieser Odyssee allerdings tatsächlich zählt, sind die Gefühle. Die Gefühle eines Kindes, das eigentlich gar kein Kind ist. David, so der Name des Haley Joel Osment verkörperten Roboters, weiß das aber nicht. Er glaubt an die Erinnerung, die ihm eingepflanzt wurde, obwohl ihm seine Umwelt regelmäßig anderes zu verstehen gibt. Doch dann kündigt sich erneut etwas Unberechenbares in dieser Zukunftsvision an, in der sich die Trennlinie zwischen Mensch und Maschine nahezu komplett aufzulösen droht. Drohen deswegen, weil sich das natürliche, das echte Geschlecht in einer Existenzkrise befindet. Die Möglichkeiten der Utopie sind zum Greifen nahe und dann passiert das Utopische: Die künstliche Intelligenz fängt, zu lieben, fängt an, zu fühlen. Die Kreation setzt sich über sämtliche Erwartungen hinweg und gerät außer Kontrolle, eben weil sie natürlich, eben weil sie echt wird.

Kein Wunder, dass diese Welt aus den Fugen gerät. Nicht einmal der Mond – eine der letzten Konstanten, die überlebensgroß das Irdische überschatten mag – bleibt als Zufluchtsort bestehend. Ganz im Gegenteil entpuppt er sich als leuchtender Flugkörper, der zum Vehikel der Vernichtung avanciert. Ein Erfahrung, die nachhallt und den Jungen mit seinen zwei Begleitern in die Finsternis treibt. Lieber noch einen Schritt tiefer in die Dunkelheit, als zurück in die Glut der menschlichen Hölle: Hier ist sie nämlich wieder, die Kälte, die Nässe, die Unbarmherzigkeit des Anfangs. In den Straßen von Rouge City ist die Tristesse trotz überschwänglichem Neon-Einsatz unverkennbar. Ein Ort, zwischen dystopischen Häuserschluchten und der Faszination des Wunderlands – ganz zu schweigen vom nebligen Dunst, der dem Überblick pulsierend im Weg steht. Zwei Verfolgte und ein Teddy hetzen durch das Gewusel von Menschen und Maschinen. Als würde Gigolo Joe (Jude Law) das Kind durch einen Weltraumhafen führen und dabei das Tor zu einer weit, weit entfernten Galaxie aufstoßen. In Wahrheit bringt die grenzenlose Großstadt jedoch weniger Freiheit als erwartet mit sich.

Schon die Reise dorthin erwiest sich als Einstieg in den Schlund der Verdammnis. Ab jetzt gibt es kein Entkommen mehr, schließlich sind die Brotkrumen gestreut und das Kaninchen hüpft artig in den Kaninchenbau. Am Ende des unterirdischen Ganges, am Ende der Welt wartet der Löwe. Majestätisch thront er über den Überresten des unabwendbaren Niedergangs und lässt die einleitenden Wogen tränenreich über sein stählernes Angesicht laufen. Erhaben wie ein Wasserspeier empfängt er die (un-)gebetenen Gäste. Was dann folgt, ist das erneute Erwachen aus dem Traum der behüteten Emotionen. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit, gnadenlos und zerstörend. Die einzige Reaktion, die David trotzig aus sich herauswürgt, ist Verleugnung. „I’m David, I’m David, I’m David“, brüllt der heimgekehrte Sohn seinem identischen Gegenüber verzweifelt ins Gesicht, bis er dieses in seiner Rage zerschmettert. Frustration und dann der Fall: Eine letzte Träne rollt über die Wangen des (un-)freiwilligen Begleiters, der ebenso ein Ausgeschlossener, ein Gejagter, ein Freund ist.

Am Ende der Welt, in Man-hattan (also jenem Ort, von dem kein Mecha jemals wiederkehrte), sind es echte Tränen aus metallenem Gehäuse, die die Vergänglichkeit des Menschen überleben und selbigen dadurch gleichzeitig für alle Ewigkeit konserviert. Immerhin sind sie das Resultat der Wechselbeziehung beider Geschlechter – gänzlich ungeachtet, welcher Schmerz als verbindendes Element fungiert. Zerreißend ist nur, dass dieses Märchen seinen friedlichen Ausgang in der Versöhnung findet, die nicht viel mehr als eine letzte Erinnerung vor dem Ende ist. Denn dann schläft David neben seiner Mutter, Monica (Frances O’Connor), ein und gelangt endlich an den Ort, an dem Träume geboren werden. Im gleichem Moment schließt eines der legendären Spielberg Faces ein letztes Mal die Augen und muss nie wieder ungläubig staunend das Treiben dieser fremden Welt betrachten.

That was the everlasting moment he had been waiting for. And the moment had passed, for Monica was sound asleep. More than merely asleep. Should he shake her she would never rouse. So David went to sleep too. And for the first time in his life, he went to that place where dreams are born.

A.I. Artificial Intelligence © Warner Bros.