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Ambulance – Kritik

In den vergangenen 15 Jahren brachte Michael Bay mit seinen Transformers-Filmen regelmäßig die Leinwand zum Beben. Obwohl er zwischendurch mit kleiner angelegten Produktionen wie Pain & Gain und 13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi dem ewigen Kampf zwischen Autobots und Decepticons einen spannenden Kontrast entgegenstellte, sorgte keiner dieser Filme für so viel Aufsehen wie sein Wechsel zu Netflix vor drei Jahren. Auf einmal tobte sich einer der größten Blockbuster-Regisseure unserer Zeit bei einem Streaming-Dienst aus und ließ seinen filmischen Vorlieben freien Lauf.

6 Underground konnte in den ersten 28 Tagen über 200 Millionen gesehene Stunden verzeichnen, was ihn zum achterfolgreichsten Originalfilm aus dem Hause Netflix macht. Wie nur wenige andere Filmschaffende vor ihm nutzte Bay die Ressourcen des Streaming-Diensts für eine ausgelassene Actionorgie (Budget: 150 Millionen US-Dollar), die bei einem traditionellen Studio vermutlich kein grünes Licht erhalten hätte. Mit seinem neusten Film kehrt Bay trotzdem ins Kino zurück – zum Glück! Ambulance ist einer der mitreißendsten Action-Blockbuster jüngerer Vergangenheit geworden.

Das Remake des gleichnamigen dänischen Films aus dem Jahr 2005 erzählt von einem gescheiterten Banküberfall und der anschließenden Flucht mit einem Krankenwagen. Die Bewegung ist somit in der Prämisse verankert: Kaum haben der kriminelle Danny (Jake Gyllenhaal) und sein Bruder Will (Yahya Abdul-Mateen II) den Tresorraum verlassen, beginnt eine halsbrecherische Verfolgungsjagd durch Los Angeles, die den gesamten Film einnimmt. Zwischenstopps kommen nicht infrage, denn die Polizei jagt den beiden mit einer Armada aus Streifenwägen und Helikoptern hinterher.

Als wäre damit nicht genug der Spannung, verkomplizieren zwei Mitfahrende die Situation: Im Inneren des Krankenwagens, den Danny und Will als Fluchtfahrzeug kapern, befinden sich der angeschossene Streifenpolizist Zach (Jackson White) und die Sanitäterin Cam (Eiza González), die mit allen Mitteln versucht, den Verletzten am Leben zu halten. Jeden Augenblick scheint es zur großen Katastrophe zu kommen, doch Bay zögert den Moment des Stillstands bis zur letzten Sekunde hinaus. Geschickt teilt er sich die verschiedenen Eskalationsstufen der Geschichte über den Verlauf des Films ein.

Die Einsamkeit, die im dänischen Original entsteht, wenn der Krankenwagen durch das Laub eines herbstlichen Walds brettert, steht in Ambulance anno 2022 nicht zur Debatte. Selbst die ruhigen Momente, in denen wir uns den zerrissenen Figuren annähern, setzt Bay extrem nervös in Szene. Die Bilder springen und fliegen: Neben den hastig kreisenden Kamerabewegungen arbeitet der Regisseur verstärkt mit entfesselten Drohnen, um uns das Geschehen aus Blickwinkeln zu zeigen, wie man sie in anderen Actionfilmen nicht zu Gesicht bekommen würde. Bay lässt uns fast überall gleichzeitig sein.

Roberto De Angelis‘ Kamera rast nicht nur in Höchstgeschwindigkeit wenige Millimeter über dem Asphalt neben den Fahrzeugen her, sondern katapultiert uns auch in schwindelerregende Höhen, was dem Film eine zusätzliche Dimension verleiht. Eben noch kamen im Krankenwagen die Wände näher, da schleudern wir durch Häuserschluchten, als würde sich Bay für den nächsten Spider-Man-Film bewerben. Durch Ambulance strömt eine unglaubliche kinetische Energie, was nicht zuletzt auf die Montage zurückzuführen ist. Schnittmeister Pietro Scalia lässt die Action fließend ineinander übergehen.

Ambulance ist ein äußerst intuitiver Film, der genauso ausufernd wie konzentriert daherkommt. Wirken die wuchtigen Gewehrsalven zu Beginn wie Bays Versuch, der messerscharfen Inszenierung von Michael Manns Action-Meisterwerk Heat nachzueifern, kristallisieren sich später zwei andere Vorbilder heraus. Auf der einen Seite ist da das Bewegungskino, das George Miller zuletzt mit seinem rastlosen Mad Max: Fury Road perfektioniert hat. Auf der anderen Seite scheint Bay in jener Phase angekommen zu sein, in der sich Tony Scott mit seinem verblüffenden Spätwerk bewegte.

Mehrmals schielt er in die Richtung Unstoppable – einem Film voller Geschwindigkeit, der spektakulär vorbeirauscht und mehr Geschichten erzählt als nur die vom verbogenen Metall im Funkenregen. In einer außer Kontrolle geratenen Situation erforscht der Unstoppable die Grenzgänge von Professionals und die Umgebung, durch die sie sich unaufhaltsam bewegen. In Ambulance ist das nicht anders. Bays Interesse gilt den Menschen und der Stadt, was schon mit der Einblendung des Titels deutlich wird, wenn sich aus Ambulance die Buchstaben „LA“ herausschälen.

In seinem eigenen Schaffen schließt Bay am ehesten an Pain & Gain an. Obwohl die Bodybuilder-Groteske im sonnigen Miami angesiedelt ist, spielt es für Bay keine Rolle, ob er sich in Florida oder Kalifornien bewegt. Er dreht kompromisslose Amerika-Filme, die vor Schönheit und Hässlichkeit strotzen und nie um überlebensgroße Gesten verlegen sind. Was sich verändert hat, ist der Tonfall. An die Stelle des Zynismus, der seine Bad Boys-Filme prägt, tritt etwas unerwartet Aufrichtiges: Inmitten des rasenden Getöses interessiert sich Bay am meisten für Eiza González‘ Sanitäterin.

Beitragsbild: Ambulance © Universal Pictures

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